Neue Entwicklungen in der Murdoch-Abhöraffäre nähren Zweifel am Urteilsvermögen von Premier David Cameron. Die Staatsanwaltschaft klagte am Dienstag die frühere Murdoch-Managerin Rebekah Brooks sowie deren Ehemann Charles, einen alten Schulfreund des Premierministers, wegen Justizbehinderung an. Damit kommt es in Kürze zum ersten Mal zu einem Strafprozess in dem Skandal, der die britische Öffentlichkeit seit Monaten in Atem hält. Die Ankläger werfen dem Duo sowie vier früheren Mitarbeitern vor, sie hätten auf dem Höhepunkt der Affäre belastendes Material beiseitegeschafft.
Das Ehepaar Brooks beteuerte seine Unschuld und verurteilte die Anklage als "schwache und ungerechte Entscheidung".
Erst vergangene Woche hatte Brooks vor der Untersuchungskommision über ihre engen und freundschaftlichen Beziehungen mit dem konservativen Regierungschef ausgesagt. "Halt den Kopf hoch", habe Cameron nach ihrem Rücktritt als Geschäftsführerin der Murdoch-Tochterfirma News international ausrichten lassen.
Ermittlungen gegen mehrere Dutzend Mitarbeiter von Murdochs News Corporation
Sorglos zeigten sich der Premier und seine Beamten offenbar auch im Umgang mit Geheimhaltungsvorschriften. Der Ausschuss geht der Frage nach, warum Camerons langjähriger Medienberater und früherer Murdoch-Chefredakteur Andy Coulson in der Downing Street Geheimakten einsehen durfte, ohne dafür notwendige Sicherheitsüberprüfung durchlaufen zu haben.
Scotland Yard ermittelt gegen mehrere Dutzend Mitarbeiter von Rupert Murdochs News Corporation. Dabei geht es um Justizbehinderung, Bezahlung korrupter Polizisten sowie Verletzung des Fernmeldegesetzes im Umkreis der mittlerweile eingestellten Sonntagszeitung News of the World sowie bei der Tageszeitung The Sun.
Das Delikt der Justizbehinderung kann im Extremfall lebenslänglichen Freiheitsentzug nach sich ziehen. Bis zu ihrem Rücktritt war Brooks eine der mächtigsten Personen Großbritanniens. Sie pflegte engen Kontakt mit Cameron sowie dessen Labour-Vorgängern Tony Blair und Gordon Brown. Bei privaten Treffen mit Cameron und Kabinettskollegen betätigte sich Brooks als Lobbyistin für die Übernahme des lukrativen Bezahlsenders Sky durch News Corp. Der Deal ist an der Affäre vorläufig gescheitert. (Sebastian Borger aus London, DER STANDARD, 16./17.5.2012)