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Ein Werk der deutschen Zwillinge Uwe und Gert Tobias im New Yorker Moma. "Sie beschäftigen sich mit der Geschichte der Kunst, mit dem Surrealismus und mischen das mit Erlebnissen ihrer Herkunft", sagt Karl-Josef Pazzini über sein ästhetisches Vergnügen.
STANDARD: Was passiert denn mit uns, wenn wir vor einem Bild stehen?
Pazzini: Nun, jemand geht in eine Ausstellung vermutlich mit dem Wunsch, etwas zu sehen, was man noch nicht kennt. Meistens ist der Anlass ein nicht genau definiertes Begehren. Dann kommt es darauf an, wie weit man sich von dem Gesehenen überraschen lassen kann. Können wir den Wunsch durchhalten, wenn sich vom Bild her gesehen nicht alles gleich einordnen lässt? Nun gibt es aber eine Kunstvermittlung, die genau da einspringt und sagt: Ich sage dir, was das ist. Da wird eine Identifikationsbrücke gebaut, die Werke werden passend gemacht zu dem, was ich ohnehin schon denke. Das halte ich für unproduktiv.
STANDARD: Eine Stelle offenhalten, das muss man vor allem im Umgang mit Kunst.
Pazzini: Eben. Und in der Partizipationskunst gibt es da manchmal Beteiligungskurzschlüsse, das finde ich nicht sehr hilfreich. Partizipation heißt ja wörtlich: sich seinen Teil zu nehmen. Das Gegenteil einer "Partidonatio" gibt es ja nicht: seinen Teil zu geben. In der Partizipation steckt auch etwas von Kontrollierenwollen, sich gleichzeitig aber auch exkulpieren. Auch wenn ich als Künstler keine tolle Idee habe, kann ich dennoch teilnehmen. Das hat etwas Vampiristisches. Das dann umstandslos als demokratische Errungenschaft auszugeben, sehe ich so nicht unbedingt.
STANDARD: Psychoanalyse und künstlerische Moderne sind ja ungefähr gleich alt. Ist das eigentlich nur Zufall?
Pazzini: Ich habe den Eindruck, die Psychoanalyse reagierte auf eine Überlastung des individuellen bürgerlichen Subjekts, das ja als autonom gedacht wird, als Singular, der erst nachträglich in Kontakt mit anderen tritt. Das ist eine relativ junge Auffassung, dadurch sterben andere Konzeptionen ab oder werden in die irrationale Ecke gedrängt: Mystik und alles "Paranormale", die gerade in dieser Zeit aber auch wieder interessant werden. Es fängt eine große Suche an: Wie entsteht eigentlich Verbindung? Die Ausdrucksmittel dafür wurden durch den Wissenschaftsschub doch sehr eingeschränkt. Die Kunst vollzieht nun einen großen Wechsel: Sie wird performativ, sie will nicht mehr nur etwas schon Vorhandenes repräsentieren, zum Beispiel in der Malerei. So ähnlich sagt Freud: Es gibt eine psychische Realität, die im Kontakt immer neu evoziert wird und ihre Wirkung bekommt. In der Übertragung passiert mit den Leuten etwas, was sie vorher nicht waren. Das ist ja die einzige Chance, etwas zu verändern. So ähnlich machen das die Künstler.
STANDARD: Wie verhält es sich denn mit Übertragung und Identifikation? Unsere Kultur beruht doch besonders stark auf Identifikationsprozessen.
Pazzini: Identifikation ist ein Moment eines jeden Übertragungsprozesses. Wenn ich mit einem Fremden in Verbindung trete, brauche ich etwas, das ich schon kenne - ich identifiziere. Das kann ein einziger Zug sein, eine Augenlinie, eine Geste, eine Haarwelle. Wenn es aber dabei bleibt, wenn ich darauf beharre, dass etwas so ist, wie ich es sehe, wird ein Verständigungsprozess unmöglich. Es muss eine Fähigkeit einsetzen, diese Identifikation wieder zu durchbrechen. Durch Reflexion muss etwas umgearbeitet werden. Identifikation ist ja Gleichmachen, das funktioniert nur, indem ich eine ganze Menge weglasse. Wichtiges Moment des psychoanalytischen Arbeitens sind Trauerprozesse, auch da geht es darum, dass ich nicht alles kontrollieren muss. Das widerspricht vielleicht meinem Größenwahn, aber ich verzichte darauf, alles kontrollieren zu müssen. Bei einer Kunstbetrachtung fange ich mir Partisanen im Gebälk meines Gehirns ein, die ich dann weitermachen lassen kann.
STANDARD: Überlastung ist auch ein Kennzeichen des heutigen Kunstbetriebs: große Ausstellungen, riesige Stoffmengen, unverständliche Theorie. Was ist Ihre Meinung zu diesem Thema?
Pazzini: Das stellt mich persönlich vor große Probleme, denn ab einem gewissen Zeitpunkt muss ich mir eine Disziplin auferlegen, um noch reflektieren zu können, um denkerisch Wirkungen nachzuspüren. Dadurch kann ich mir manche Sachen nicht anschauen, obwohl ich eigentlich hinmüsste. Ich lebe ja in der Hauptsache in Berlin, da könnte man den ganzen Tag in wichtige Ausstellungen gehen. Vielleicht werden auch die Kataloge deswegen so dick, weil sie das beherrschen wollen, was in der Ausstellung gezeigt wird. Sie schaffen es nicht, das im Offenen zu lassen.
STANDARD: Moment der Kur wäre also: Durch die Documenta gehen und daran nicht verzweifeln, sondern sie auszuhalten.
Pazzini: Bildende Kunst ist sehr wichtig für das psychoanalytische Arbeiten. Ich muss da ja Zerreißproben aushalten. Das perlt nicht an mir ab, die ganzen Paradoxien des Leids, mit dem ich da konfrontiert bin. Ich kann mir durch Lektüre oder durch Supervision helfen, das mache ich aber auch ganz wesentlich durch Kunst. In Ausstellungen kriege ich Dispositive, die mir das Aushalten von Spannungen in dem anderen Job ermöglichen. In der Kunst ist das oft noch verbunden mit einem sinnlichen Vergnügen. Deswegen bestehe ich auch darauf, dass es Kunst gibt, die mir ein ästhetisches Vergnügen bereitet. Nur eine Kunst über Kunst über Kunst ist nicht das, was mich vom Hocker reißt.
STANDARD: Gibt es eine Position, die Sie dabei namentlich nennen würden?
Pazzini: Zuletzt habe ich im Hamburger Kunstverein über die Brüder Gert und Uwe Tobias gesprochen. Sie beschäftigen sich mit der Geschichte der Kunst, mit dem Surrealismus, vor allem mit Max Ernst. Sie mischen das mit den Erlebnissen ihrer Herkunft und kombinieren das neu auf einer Fläche. Das scheint erst mal harmlos, wenn man aber rangeht, merkt man, wie sie sich mit Gewalt auseinandersetzen. Sie formulieren ein Leid, offenbar eine Gewalt, die sie erlebt haben, dabei aber auch viel Feinfühligkeit. Das ist ein Stückchen Trost, der nicht billig ist. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 16.5.2012)