"Jeder in diesem Land kann ein Mateschitz werden", rief ÖVP-Chef Michael Spindelegger bei seiner Ho-ruck-Rede. Eine rhetorische Figur, natürlich. Nicht jeder ist ein Marketinggenie und hat vor allem den Blick, ein Produkt mit dem Potenzial von Red Bull zu erkennen. Nicht jeder kann Multimilliardär werden.

Spindelegger, der aus dem ÖAAB kam, als Berufslaufbahn das Beamtentum wählte und immer für die Belange der Beamten da war, hat aber Grundsätzliches erkannt: Die typische Karriere eines/einer besser gebildeten Mittelschichtlers/Mittelschichtlerin gibt es immer seltener, weil die klassischen Jobs weniger werden. Der öffentliche Dienst hat vor zwei, drei Jahrzehnten noch 70 Prozent der Hochschulabsolventen aufgenommen. Das ist vorbei, weil die Bürokratie nicht noch weiter aufgeblasen werden kann. Typische Bürokarrieren werden auch seltener, weil die großen Unternehmen abwandern oder die EDV nach Osteuropa und Asien outsourcen, die technologische Entwicklung viele Tätigkeiten überflüssig macht und weil viele Angestelltenposten zu teuer geworden sind. Man blicke auf das Heer der gutausgebildeten Prekariatler, die sich von Teilzeitjob zu Werksvertrag zu (unfreiwilliger) Selbstständigkeit weiterhanteln.

Damit ist ein Stichwort gefallen: Selbstständigkeit. Sie ist oft der einzige Ausweg, weil die Jungen keine Anstellung kriegen und die Älteren hinauskomplimentiert werden. Viele davon haben diesen Weg unfreiwillig gewählt. Sie sollten ihn aber besser freiwillig wählen, und die ÖVP sollte ihnen dabei helfen.

Es gibt rund 240.000 EPUs (Einzelpersonenunternehmen), die in der Wirtschaftskammer registriert sind - außerhalb der Kammer sind noch viel mehr. Sie machen bereits rund 50 Prozent der Unternehmen überhaupt aus.

Die können nicht alle ein Mateschitz werden, wollen es vielleicht auch gar nicht. Sie wollen nur als Selbstständige anständig leben, und die offizielle Politik hilft ihnen nicht dabei. Für Gewerkschaft, Arbeiterkammer und SPÖ, zum Teil auch für die Grünen sind sie Klassenfeinde (obwohl da bei den Grünen ein Umdenken einsetzt). Die eigene gewerbliche Sozialversicherung verfolgt sie unnachgiebig. Steuerbehörde und Gewerbebürokratie sind, gelinde gesagt, nicht besonders hilfreich - siehe etwa die gesetzliche (!) Bestimmung, wonach das Finanzamt annimmt, dass der Selbstständige jedes Jahr um neun Prozent mehr verdient. Um diesen Prozentsatz werden dann die Vorauszahlungen hinaufgesetzt.

Vorrangig ist ein Paradigmenwechsel innerhalb der Partei selbst. Die Energien der ÖVP sind derzeit vorrangig darauf ausgerichtet, dass es dem öffentlichen Dienst und den Bauern gut geht. Das ist der Grund, warum der Wirtschaftsbund kocht und es da und dort (z. B. Tirol) Überlegungen zu einer Abspaltung gibt.

Die ÖVP hat bisher nicht allzu viel Gehirnschmalz und Energie drauf verwendet, die Selbstständigkeit attraktiver zu machen. Der gesellschaftliche Wandel erzwingt es aber. Es muss nicht jeder ein Mateschitz werden. Ein erfolgreicher kleiner Selbstständiger genügt. (Hans Rauscher, DER STANDARD, 16./17.5.2012)