Foto: Hackl

Wer glaubt, dass Tel Aviv cooler ist als Jerusalem, irrt. Das meint zumindest die Bewegung "Hitorerut" in Jerusalem. Das hebräische Wort Hitorerut bedeutet Erwachen. Aufwachen soll dabei vor allem die Stadt Jerusalem, die in den Augen der jungen Aktivisten und Aktivistinnen oft zu verschlafen, religiös und gespalten ist.

"Wir wollen das Positive am Pluralismus in Jerusalem hervorheben. Die Stadt muss für junge nichtreligiöse Leute attraktiver werden", sagt der Aktivist Ehud während einer Straßenparty am Jerusalemer Mahane-Yehuda-Markt. Hitorerut hat hier vergangenen Monat für Live-Musik gesorgt und Bier in den Straßen ausgeschenkt, damit so auch das Nachtleben "erwacht".

Seite an Seite

Der Mahane-Yehuda-Markt wurde dabei nicht zufällig ausgewählt: Hier leben ultraorthodoxe Juden und religiöse Hippies Seite an Seite mit nichtreligiösen Jerusalemern aller Art. So hat es nicht überrascht, dass orthodoxe Männer im Vorbeifahren sichtlich erstaunt auf die Bauchtänzerin starrten, die auf einer improvisierten Bühne zu arabischer Musik tanzte.

"Jerusalem war immer schon eine pluralistische Stadt. Sie hat auch eine komplexe Identität. Die Stadt zwingt dich förmlich zur Auseinandersetzung mit jenen, die anders sind. Das hat Tel Aviv nicht zu bieten", meinte Shahar Fischer, ein Mitgründer der Bewegung. Während des Festes waren hinter dem Bierstand natürlich auch die gelben Banner von Hiterorut aufgespannt. Immerhin ist die Bewegung auch eine Art Partei.

Billiges Wohnen

Bei der Stadtratswahl 2008 hat sie 17.000 Stimmen erhalten und ist mit zwei Sitzen in den Jerusalemer Stadtrat eingezogen. Dabei hat sich die Bewegung für mehr Jobs und billigeres Wohnen in Jerusalem eingesetzt. Probleme, deren Lösung auch bei den israelischen Sozialprotesten im vergangenen Sommer gefordert wurden.

Doch für viele junge Israelis, die Jerusalem in Richtung Tel Aviv verlassen, geht es weniger um Jobs und Wohnen, sondern vor allem um eines: Lebensstil. In einer Stadt, die nicht nur in Palästinenser und Israelis, sondern auch in Religiöse und Nichtreligiöse aufgeteilt ist, existiert das Liberale und Alternative zunehmend in kleinen Inseln.

Hiterorut kämpft zwar für ein liberaleres und säkulares Jerusalem, unterstreicht aber trotzdem, dass der Pluralismus in der Stadt etwas Positives sei. Doch während viele junge Säkulare auswandern, bleiben vor allem die Religiösen: Nur 19 Prozent der jüdischen Jerusalemer über 20 Jahren haben sich im Jahr 2010 in einer Umfrage des israelischen Zentralbüros für Statistik als säkular bezeichnet. Hingegen sahen sich 18 Prozent als traditionell und weniger gläubig, 13 Prozent als traditionell und gläubig, 21 Prozent als religiös und 29 Prozent als ultraorthodox. (Andreas Hackl, derStandard.at, 16.5.2012)

 

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