Die SPÖ, das war einmal: Schauspieler und Kabarettist Erwin Steinhauer sieht bei der Sozialdemokratie "starke neoliberale Züge", und er hat "Angst davor, dass die SPÖ die FPÖ permanent rechts überholt".

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STANDARD: Lesen Sie noch den innenpolitischen Teil der Zeitungen ?

Steinhauer: Ja, zum Ärgern.

STANDARD: Was ist Ihre Einschätzung der Politik in Österreich?

Steinhauer: Im Moment kümmert sich die Innenpolitik wie schon so oft überhaupt nicht um die Menschen. Es geht um Transparenzregeln und ab wie viel Euro Parteispenden veröffentlich werden müssen. Das geht doch völlig an den Menschen vorbei. Mit diesen Themen hat die breite Masse der Menschen, nämlich die Schwächeren in der Gesellschaft, nichts zu tun.

STANDARD: War das früher anders?

Steinhauer: Mir fällt es jetzt halt stärker auf. Ich glaube schon, dass es schlimmer geworden ist. Die Politik ist getrieben von den Machenschaften der Finanzmärkte oder von Brüssel.

STANDARD: Verstehen die Menschen die Finanzkrise überhaupt?

Steinhauer: Nein. Fragen Sie doch einen Menschen, wie viele Nullen eine Million hat. Und dann, wie viele Nullen eine Milliarde hat. Das sind leere Worthülsen. Aber das hat natürlich damit zu tun, dass die Sprache, die heute gesprochen wird, nur mehr dazu dient, um die Wahrheit zu verschleiern. Die Politik ist nur mit sich selbst beschäftigt und nicht mit den Menschen. Auf Dauer ist das demokratiegefährdend. Die Menschen werden den Wahlen fernbleiben, dann werden sie sich neue Ausdrucksmöglichkeiten suchen. Das könnte bis in soziale Unruhen gehen.

STANDARD: Sind die Piraten eine solche Ausdrucksmöglichkeit?

Steinhauer: Wenn man sich die Piraten bei uns ansieht, ist mir noch nichts aufgefallen, wo ich sagen würde, das ist jetzt interessant.

STANDARD: Was bräuchte es denn?

Steinhauer: Es bräuchte in erster Linie eine Politik, die die Umverteilung wieder umkehrt. Jetzt gibt es eine ganz klare Umverteilungspolitik von unten nach oben. Es müsste eine Regierung kommen, die sagt: Ab jetzt geht es andersrum. Es ist nicht einzusehen, dass zehn Prozent der Menschen 70 bis 80 Prozent des Vermögens verdienen. Oder dass Menschen nur von Kapitaleinkünften leben und 25 Prozent Steuern zahlen und jeder, der arbeiten muss, bis zu 50.

STANDARD: Sehen Sie bei der Sozialdemokratie da keine Anknüpfungspunkte?

Steinhauer: Sie doch auch nicht.

STANDARD: Aber rhetorisch steht die SPÖ dafür ein.

Steinhauer: Ich sehe bei der SPÖ nach wie vor starke neoliberale Züge. Dieser neoliberale Sprech fällt ihnen selbst kaum mehr auf, wenn heute etwa von der Unverrückbarkeit des Sparens die Rede ist. Jetzt kommen auf einmal ein paar Leute drauf, dass man vielleicht auch Wachstum bräuchte. Oder wenn es heißt, wir müssten mit den Lohnnebenkosten runter. Klares neoliberales Vokabular. Was heißt denn das? Weniger Geld für die Rentner, für die Kranken, für die Pflegebedürftigen. Die sind gemeint! Da weiß man wieder, wer zahlen soll. In der momentanen Konstruktion kann es für ein Land allein nicht funktionieren, da bräuchte es einheitliche europäische Sozial- und Steuergesetze.

STANDARD: Die SPÖ spricht sich immerhin für eine Finanztransaktionssteuer aus.

Steinhauer: Ja, aber es passiert nichts. Die SPÖ bewegt nichts.

STANDARD: Das ist auch mit der ÖVP schwierig.

Steinhauer: Vielleicht bräuchten wir wirklich ein Mehrheitswahlrecht. Dann könnte man die Schuld der Unmöglichkeit des Regierens nicht immer wegschieben. Dann hätte eine Partei die Verantwortung.

STANDARD: Und dass dann Heinz-Christian Strache plötzlich Kanzler ist, davor hätten Sie keine Angst?

Steinhauer: Angst habe ich davor, dass die SPÖ die FPÖ permanent rechts überholt. Das ist mindestens so gefährlich wie der durchschaubare Radikalismus der FPÖ. Die SPÖ hat schon erkannt, dass ein Großteil ihrer Wähler stockkonservativ und anfällig für gewisse Tendenz ist. Aber was sind dann Wahlen? Wer von den Idioten die meisten Stimmen erhält? Idioten meine ich jetzt nicht als Schimpfwort, sondern im literarischen Sinn. Das ist doch eine traurige Aussicht. Es hat überhaupt keine Notwendigkeit gegeben, dass die SPÖ aus der Opposition den Fremdengesetzen von Schwarz-Blau zugestimmt hat.

STANDARD: War das der Zeitpunkt, als Sie sich von der Sozialdemokratie abgewandt haben?

Steinhauer: Es hat unter Franz Vranitzky schleichend begonnen. Und vom Personal her ist es dann immer schlechter geworden. Wie ich überhaupt glaube, dass vom Theatersprech ausgehend die Besetzung auf den Länderbühnen besser als im Bund ist - mit Ausnahme von Kärnten. Wien ist anders, heißt es, aber Kärnten ist ganz anders.

STANDARD: Aktuell stehen Sie auf der Bühne und singen. Politisches Kabarett ist keine Option mehr?

Steinhauer: Wir planen für 2014 ein neues musikalisches Programm, das sich ausschließlich mit dem Erfolg des Scheiterns auseinandersetzen wird. Das ist doch ein absolut ein politisches Thema. (Peter Mayr/Michael Völker, DER STANDARD, 19./20.5.2012)