Der Dalai Lama kann von erfrischend-irritierender Unberechenbarkeit sein, besonders wenn er es mit vor Ehrfurcht ersterbenden Westlern zu tun hat. Beim Waldzell-Seminar in Melk vor ein paar Jahren antwortete er einmal auf eine elendslange, komplizierte Frage, was er über den Sinn des Lebens und verwandte Themen mitteilen könne, mit: "Nothing".

Mitteilungen über das Schicksal seiner Landsleute unter chinesischer Herrschaft begleitete er mit bass-dröhnendem Lachen: "My people are killed, ho ho ho ...". Kenner weisen darauf hin, dass es sich vermutlich um das asiatische Verlegenheitslachen angesichts besonders unsubtiler Fragen der Langnasen handelt.

Wie berührt ihn wohl die Mischung aus Dalai-Lama-Schauen und Die-Chinesen-nicht-Verärgern der heimischen Politiker? Er betrachtet das vermutlich als Preis für die Aufrechterhaltung des Interesses an Tibet und der tibetischen Kultur.

Die Wut und Verbissenheit der chinesischen Führung gegenüber dem geistigen Oberhaupt der Tibeter speist sich aus einer tiefen Furcht vor einem Zerfall des chinesischen Reichs, die historisch erklärbar ist. Sehr viele Tibeter leben außerhalb der tibetischen Grenzen in chinesischen Provinzen. Die Einheit Chinas, die den außenstehenden Beobachtern ja nicht gefährdet erscheint, ist die tiefste Sorge der Führung in Peking. Deshalb Furcht und Hass gegenüber einem "einfachen buddhistischen Mönch".(Hans Rauscher, DER STANDARD, 19./20.5.2012)