Jerusalem Day: Israelische Jugendliche feierten 2011 den Jerusalem-Tag auch in Ostjerusalem, mit reichlich Flaggen.

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Am Jerusalem-Tag feiern viele Israelis die Eroberung Ostjerusalems als "Wiedervereinigung" der Stadt. Doch Jerusalem ist heute vieles, nur nicht geeint, sagt der israelische Historiker und Autor Abraham Rabinovich.

derStandard.at: Was feiert Israel am heutigen Jerusalem-Tag?

Rabinovich: Israel feiert die Eroberung Jerusalems während des Sechstagekrieges im Juni 1967. Das wird heute als Wiedervereinigung gefeiert. Nur entspricht das nicht der Realität, weil Araber nicht Teil dieses geeinten Jerusalems sind. Ironie trifft dabei Ironie. Umfragen haben gezeigt, dass sehr viele Palästinenser in Ostjerusalem bei einer Zweistaatenlösung lieber Teil Israels wären, während in Israel viele bereit sind die arabischen Viertel aufzugeben.

derStandard.at: Was bedeutet dieser Tag für Sie als Historiker?

Rabinovich: Ich habe keine emotionale Verbindung zum Jerusalem-Tag. Im Gegenteil, ich bin besorgt über die schlechte Lage, in der sich die Stadt befindet. Die israelische Besetzung des arabischen Ostjerusalems bringt nichts als Spannungen. In der Vergangenheit gab es Ministerpräsidenten, die bereit waren, Ostjerusalem aufzugeben. Doch unser heutiger Premierminister denkt anders.

derStandard.at: Was wäre heute anders, wenn Israel 1967 das von Jordanien kontrollierte Westjordanland und Ostjerusalem nicht erobert hätte?

Rabinovich: Der Punkt ist, dass Israel nie vor hatte ganz Jerusalem und das Westjordanland einzunehmen. Eigentlich wollte Israel, dass sich Jordanien aus dem Krieg raushält. Man war ja eher besorgt um Ägypten. Sogar Stunden, nachdem jordanische Artillerie den jüdischen Teil Jerusalems angegriffen hatte, war Israel immer noch an einem Waffenstillstand mit Jordanien interessiert. Erst als später im Radio gemeldet wurde, dass Jordanien den strategisch wichtigen Skopus Berg eingenommen hatte, ging Israel in die Offensive. Zur gleichen Zeit hat man Ägypten im Süden besiegt.

derStandard.at: Wollte Israel die Altstadt von Jerusalem ursprünglich auch nicht einnehmen?

Rabinovich: Ja. Der Grund, der offiziell in der Regierungsdebatte vorkam, war die internationale Gemeinschaft. Besonders die Kalkulation, dass die christliche Welt nie jüdische Autorität über die heiligen Stätten akzeptieren würde. Doch als der Krieg voran ging und die Truppen immer näher kamen, hat sich ein anderes Gefühl breit gemacht. Der jüdische Staat konnte die historische Möglichkeit, die Altstadt wieder einzunehmen, nicht mehr ignorieren.

derStandard.at: Und wenn Israel Ostjerusalem nicht eingenommen hätte?

Rabinovich: Dann hätten wir heute vielleicht immer noch ein Jerusalem, das in einen israelischen Westen und einen jordanischen Osten geteilt wäre. Der Onkel des jordanischen Königs hatte ihm 1967 geraten nicht in den Krieg zu ziehen, weil er ihn nicht gewinnen könne. Aber König Hussein wusste auch, dass er es genauso wenig überleben würde, nicht in den Krieg zu ziehen. Der Druck der arabischen Öffentlichkeit war zu groß. (Andreas Hackl/derStandard.at, 20.5.2012)