Wien - Er hat das Angebot ausgeschlagen. Mitte der 80er-Jahre hätte Andreas Salat zum Schweizer Spitzenklub Bern wechseln können, der ihm viel Geld bot, doch Salat ist lieber in Wien geblieben. Das hatte weniger mit dem WEV zu tun, für den er also zeit seiner Karriere im sogenannten Kasten stand, als mit dem Medizinstudium, das er vorantrieb. " Eine prinzipielle Entscheidung. In der Chirurgie war es damals besser, vor dem 30. Geburtstag anzufangen. Das wäre sich mit einem Wechsel nach Bern eher nicht mehr ausgegangen."
Mit 25 Jahren, fast in der Mindestzeit, hat Salat dafür sein Studium beendet, bemerkenswert für einen Spitzensportler. "Ich bin ein optischer Typ, hab beim Lernen ganze Seiten praktisch innerlich abfotografieren und sie mir so merken können." Diese Gabe war auch sportlich hilfreich, sie versetzte den Goalie in die Lage, im Training bestimmte Szenen zu verinnerlichen und das jeweils benötigte Bild im Spiel abzurufen. "Ich habe oft intuitiv richtig reagiert, weil ich wusste, was passieren würde." Richtig reagierte er auch, als einmal ein Gegenspieler nach einem Check bewusstlos auf dem Eis lag und zu ersticken drohte, weil sich die Zunge quergelegt und die Luftzufuhr abgeschnitten hatte. Salat: " Ich war wenige Meter entfernt, hab gemerkt, was passiert ist, und geholfen."
Weltmeisterschaften und Olympische Spiele
Mit dem WEV hat Salat zwei Finale bestritten und keines gewonnen, es gab zu dieser Zeit kein Vorbeikommen am KAC, dem Erzrivalen. Das war für den WEV, der seit der Bundesliga-Gründung 1965 nie Meister wurde, schon ein Trauma, für Salat weniger. Er war stets Realist, spielte mehrere Weltmeisterschaften, manchmal als Nummer eins, oft als Nummer zwei hinter Brian Stankiewicz, dem sogenannten Hexer. 1988 belegte das Nationalteam bei den Olympischen Spielen in Calgary den neunten Platz, da war Salat schon wieder in Wien, er hatte gegen die UdSSR einen Kreuz- und Seitenbandriss im linken Knie erlitten. Die Operation war doppelt einschneidend. "Ich war einer der ersten Arthroskopiepatienten von Rudi Schabus. Und gut war's, ich hab seither überhaupt keine Beschwerden."
Zunächst waren der WEV und Andi Salat in der Donauparkhalle daheim. Sie wurde 1991 wegen der vier Jahre später geplanten Expo abgerissen, zur Expo kam es dann nicht, das befragte Volk hatte etwas dagegen. Der WEV übersiedelte in die Hopsagasse, es folgten katastrophale Jahre für das Wiener Eishockey. Salat: "Die politische Lage in Wien war schwierig für einen schwarzen Verein." Kein schlechter Zeitpunkt jedenfalls, um als Goalie aufzuhören und im AKH als Chirurg zu beginnen. Damals habe es viel weniger Ausbildungsplätze gegeben als heute, dafür " Wahnsinnsarbeitszeiten. Bis zu hundert Stunden im Wochenschnitt waren ganz normal. Das war schon anstrengend, dafür hat man damals aber wirklich Chirurgie gelernt."
In der Chirurgie hat sich Salat auf den Bauch spezialisiert und im Bauch auf den Darm, man könnte auch sagen, sein Fachgebiet innerhalb der Viszeralchirurgie ist die Coloproktologie. Der 47-Jährige ist als Oberarzt im AKH angestellt und führt seit zehn Jahren eine eigene Ordination, darauf achtend, dass die Anzahl der Patienten im überschau- und behandelbaren Bereich bleibt. Termine gibt es nur nach Anmeldung. " Die Chirurgie ist kein Straßengeschäft." Nicht zuletzt steht Salat der Arbeitsgemeinschaft Coloproktologie (ACP) vor, einer 1995 gegründeten Untergruppe der Österreichischen Gesellschaft für Chirurgie.
Vienna Pride
Ebenfalls am Herzen liegt Salat der Verein CSD Vienna. CSD steht für Christopher Street Day und organisiert vom 12. bis 16. Juni die Vienna Pride, laut Eigendefinition "das größte österreichische Event der LesBiSchwulen- und Transgendercommunity". Die Veranstaltung umfasst ein " Village" auf dem Rathausplatz, Diskussionen, Vorträge, Shows und natürlich die Regenbogenparade am Samstag auf der Ringstraße. Salat hält den Vortrag "Proktologie - Alles für den Arsch" und rechnet, freilich bei der Vienna Pride insgesamt und bei Schönwetter, mit 150.000 Menschen.
Ein öffentliches Outing ist weder früher für den Eishockey-Goalie noch später für den Mediziner ein Thema gewesen. Schließlich habe die Sexualität "weder mit dem Sport zu tun noch mit der Medizin". Im Freundes- und Bekanntenkreis hat sich Salat mitgeteilt, natürlich wissen mittlerweile die meisten Kollegen Bescheid. Auch egal. "Im Eishockey ist die Frage, ob du Spiele gewinnst. Und in der Chirurgie geht's darum, eine Operation durchzuführen." Salat ist seit Jahren fix liiert, amtlich verpartnert hat er sich nicht, um nicht den Anschein zu erwecken, mit der rechtlichen Lage Homosexueller zufrieden zu sein. "Es wird Schritt für Schritt besser. Aber bis zur völligen Gleichstellung ist es noch ein weiter Weg."
Dass es auf der Med-Uni Wien oder in immer mehr Firmen wie Bank Austria oder IBM bereits Regenbogengruppen gibt, nimmt Salat mit Freude wahr. Dass immer wieder das Thema "Homosexualität im Fußball" aufkommt mit dem Wunsch, es möge sich doch endlich ein prominenter schwuler Kicker outen, versteht er nicht. "Wenn sich einige fragen, warum sich kein Fußballer outet, frage ich mich, wieso er das tun sollte. Wieso soll sich das ein Einzelner umhängen lassen?"
Den Life Ball übrigens hat sich Salat mehrmals gegeben, diesmal aber ausgelassen. "Der Schlaf um Mitternacht ist mir wichtig geworden", sagt er. "Und da geht der Life Ball erst los." Mag sein, gibt er zu, dass es sich da um eine Alterserscheinung handelt. Zweifelhaft sei ja auch die Ehre, in gewissen Standard-Serien vorzukommen. "Das zeigt ebenfalls, dass man nicht mehr der Jüngste ist." (Fritz Neumann, DER STANDARD, 21.05.2012)