Amir Khalil mit einem Team der Stray Animal Care bei der Arbeit.

Foto: Vier Pfoten

Bislang wurden rund 600 Hunde kastriert.

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Das Schwierigste ist das Einfangen.

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Manche Hunde lassen sich mit Nahrung locken.

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Doch Streuner, die schon schlechte Erfahrungen mit Menschen gemacht haben, sind misstrauisch.

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Khalil schult zudem ukrainische Kollegen, um das Kastrationsprogramm langfristig zu sichern.

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Denn nur so kann die Zahl der Hunde nachhaltig und human reduziert werden.

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Berichte über fahrbare Krematorien, in die Straßenhunde lebend geworfen werden, oder private Hundejägerteams, die die Tiere mit Äxte und Knüppeln erschlagen, haben im Vorfeld der Fußball-EM für Proteste gesorgt. Das sei jedoch nicht für das ganze Land repräsentativ: Die meisten Ukrainer wollen das Straßenhundeproblem auf humane Weise lösen, berichtet Tierarzt Amir Khalil im Gespräch mit derStandard.at. Er kastriert für die Tierschutzorganisation Vier Pfoten die Streuner. Das sei die einzige humane, aber auch effiziente Methode, um die Zahl der Tiere nachhaltig zu reduzieren. Im Moment schult das Team der Stray Animal Care (SAC) zudem ukrainische Veterinärmediziner, um das Projekt langfristig sicherzustellen.

Der Tierarzt berichtet zudem vom harten Leben der herrenlosen Hunde: Sie ernähren sich von Abfall, während der langen Kälteperioden verenden viele. Khalil ist jedoch zuversichtlich: Die Position der Tierschützer sei in den vergangenen Monaten gestärkt worden und im Moment werde sogar auf Gesetzesebene an einer neuen Rechtslage zugunsten des Tierschutzes gearbeitet.

derStandard.at: Gibt es Schätzungen, wieviele streunende Hunde es zur Zeit noch in der Ukraine gibt und wie viele vergangenes Jahr getötet wurden?

Khalil: In der Ukraine gibt es mehrere hunderttausend Hunde. Aber es gibt unterschiedliche Schätzungen. In Kiew gibt es zum Beispiel zwei verschiedene Zahlen: Laut Stadtverwaltung sind es 40.000, laut den Tierschützern 10.000 Tiere.

derStandard.at: Wie ist die Situation im Moment: Sieht man noch viele Hunde oder Katzen auf den Straßen der Hauptstadt?

Khalil: Im Zentrum von Kiew sieht man eher weniger Hunde, sogar sehr wenige. Am Rande des Stadtgebietes bei Baustellen, verlassenen Häusern oder etwa Fabriken gibt es viele Hunderudel. Im Winter waren selten Hunde zu sehen, es hatte unter minus 30 Grad, natürlich sind da viele Hunde gestorben. Jetzt im Frühling sieht man wieder mehr Hunde.

derStandard.at: Berichte über gezielte Tötungen sorgten weltweit für Empörung: Mit welchen Methoden wurden die Hunde getötet?

Khalil: Es gibt hauptsächlich Vergiftungen, aber auch die sogenannten Hundejäger, sowie Privatgruppen, die Hunde mit grausamen Methoden töten. Manchmal mit Messern, einer Axt oder Metallstangen. Es gab sogar Berichte über mobile Krematorien, in denen die Hunde bei lebendigem Leib verbrannt werden.

derStandard.at: Wieso kam es im Vorfeld der EM überhaupt zu so drastischen Maßnahmen? Solche Tötungsaktionen gab es in der Vergangenheit immer wieder vor großen Ereignissen, haben die Veranstalter daraus nichts gelernt?

Khalil: Ich glaube, die Geschichte zeigt uns: Menschen lernen nie, speziell Politiker. Die Politiker dachten sich wohl, sie reinigen alle vier Städte, in denen die EM stattfindet, mit grausamen Methoden von Hunden, um das Stadtbild zu verschönern. Und sie erreichten das Gegenteil: Diese Aktion hat weltweit Proteste ausgelöst und das Image der Ukraine beschmutzt.

derStandard.at: Vergangenes Jahr wurden weltweit Proteste gegen diese Massentötungen der Hunde laut: Was hat sich seither geändert?

Khalil: Nach der Verbreitung der Nachrichten über Hundetötungen und den Massenprotesten hat sich die Regierung verhandlungsbereit erklärt und erkundigte sich, welche anderen Methoden es gibt, um das Problem zu lösen.

Das Umweltministerium hat im Februar eine Absichtserklärung mit Vier Pfoten unterschrieben, das Stray Animal Care (SAC) Programm zu unterstützen. Kurz danach haben sich die Bürgermeister von Kiew, Lemberg und einigen anderen Städten dazu entschlossen, ebenfalls eine Absichtserklärung zu unterzeichnen.

derStandard.at: Denken Sie, dass es zu langfristigen Verbesserungen kommen wird, oder nach der EM das Thema wieder einschläft und es weiter zu Hundetötungen kommen wird?

Khalil: Es kommt auf jeden Fall zu Verbesserungen. Im Moment wird gerade auf Gesetzesebene gearbeitet, um die Rechtslage zugunsten des Tierschutzes zu ändern. Auch wurde die Position der Tierschützer gestärkt. Die Tierschützer kooperieren stärker und sprechen nun mit einer Stimme.

Außerdem hat Vier Pfoten gerade einen starken Einsatz in der Ukraine und betreibt viel Öffentlichkeitsarbeit, um Bewusstsein in der Bevölkerung für die friedlichere Lösung zu schaffen. Wir schulen außerdem die ukrainischen Veterinärmediziner, sodass sie unser Programm auch ohne unsere Hilfe langfristig implementieren können.

derStandard.at: Wie gehen die Tierärzte im Zuge des Kastrationsprogramms vor?

Khalil: Die Ausbildung von den lokalen Tierärzten schreitet gut voran, momentan sind unsere Tierärzte in Kiew und in Lemberg tätig, in den nächsten Tagen wird ein weiteres Team in Donetsk und Zaporizhia mit ihrer Arbeit anfangen. Das Schwierigste hier in der Ukraine sind nicht die Operationen, sondern das Hundefangen.

Im alten System, in dem Hunde noch getötet wurden, war die einzige Zeit, in der es erlaubt war, Hunde zu fangen, von 5 bis 7 Uhr in der Früh und von 17 bis 21 Uhr. Die Regierung in Kiew erlaubt es Vier Pfoten allerdings jetzt, den ganzen Tag Hunde zu fangen. Ein weiteres Problem ist, dass die Regierung die Nutzung von Betäubungsmittel wie Ketamin ab 1. Juni verbieten möchte. Damit wird unsere Arbeit erheblich erschwert bzw. unmöglich gemacht.

derStandard.at: Wie viele Tiere wurden schon behandelt?

Khalil: Wir steuern gerade auf die 600 zu. Am Anfang des Projektes lag unser Fokus vor allem auf dem Training unserer jungen, ukrainischen Kollegen. Ein Team kann um die 20 Hunde täglich operieren. Im Laufe des Projektes kommen bis zu sechs Teams gleichzeitig zum Einsatz.

derStandard.at:  Ist es nicht so, dass Tiere sich verstärkt fortpflanzen, wenn ein Teil der Population stirbt? In diesem Sinne wären diese Massentötungen, zynisch ausgedrückt, sogar ineffizient.

Khalil: Die Hunde zu töten kann nicht die Lösung sein. Unsere Aktionen werden von Infoständen begleitet, unsere Volontäre händigen Flyer mit Informationen aus. Denn werden Hunde aus ihrem Revier entfernt, werden die dortigen Ressourcen wie Lebensraum oder Nahrung frei. Dadurch vermehren sich die Hunde nur zahlreicher und schneller.

Werden viele Hunde kastriert, können sie sich nicht fortpflanzen. Als erster Schritt wird so die Vermehrung gestoppt. Langfristig wird dann die Zahl natürlich erheblich reduziert.

derStandard.at: Wie würden sie die Beziehung vieler Menschen in der Ukraine zu Hunden allgemein bzw. speziell zu Straßenhunden beschreiben? 

Khalil: Viele Menschen wollen das Straßenhundeproblem auf humane Weise lösen. Außerdem habe ich persönlich noch keinen abgemagerten Hund auf der Straße gesehen. Das heißt, dass die Hunde von den Menschen gut ernährt werden - aber leider können sie sie nicht mit in ihre Wohnungen nehmen. (derStandard.at, 22.5.2012)