Vereinspräsident Kamran Rzayev (2. v. r.) und Aktivisten von "Gender & Development".

Foto: Marco Schreuder

Buttons, die in Baku verteilt werden.

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Im Grunde kennt der Eurovision Song Contest zwei Arten von Fans. Diejenigen, die sich den Event vor dem Fernseher ansehen - das sind Jung und Alt, Männlich, Weiblich (und alles, was es dazwischen noch gibt), Arm und Reich, Ost und West. Und dann gibt es noch die Fans, die jedes Jahr hinfahren, um den Event vor Ort zu erleben. Der Anteil schwuler (selten lesbischer) Fans ist dort besonders hoch.

Aserbaidschan ist ein mehrheitlich muslimisches Land, zumal ein schiitisches. Gleichzeitig ist es das laizistischste und säkularste Land der muslimischen Welt. Daher stellt sich für viele Reisende zwangsläufig die Frage: Wie geht das Gastgeberland denn überhaupt mit dem Thema Homosexualität um? Der Iran wettert jedenfalls schon heftig gegen den "Gay Event" Eurovision Song Contest und kritisiert eine Gay Parade in Baku, die es allerdings noch nie gegeben hat. Die Mullahs warnen vor Rache der muslimischen Welt aufgrund dieses unislamischen Events. Die Reaktion der Aseris: Demonstrationen vor der iranischen Botschaft, und die israelischen Fans sind über die Gastfreundschaft mehr als überrascht. Der iranische Botschafter in Baku wurde übrigens am Dienstag aus dem Land abgezogen.

Legal seit 2000

Bis 2000 wurden homosexuelle Akte noch mit Gefängnis bestraft - allerdings schon damals ausschließlich Analverkehr. Lesben hatten also kaum mit Verfolgung zu rechnen. Das Gesetz wurde damals geändert - nunmehr sind ausschließlich Vergewaltigungen strafbar -, und somit ist männliche Homosexualität seit zwölf Jahren vollkommen legal. Das Schutzalter liegt für Hetero- und Homosexualität generell bei 16 Jahren.

Gender & Development

In Baku ist eine lesbisch-schwule Organisation aktiv, die auch Projekte in anderen Städten Aserbaidschans gestartet hat. "Uns gibt es seit 2006. 2007 wurden wir staatlich anerkannt", so Kamran Rzayev, der Vereinspräsident. Zufällig traf man bei einer Veranstaltung den Justizminister und bat um offizielle Bestätigung des Vereins, die sie prompt bekamen. Er war es auch, der ihnen den Vereinsnamen vorschlug. Wohl kein Zufall, dass die Wörter "schwul" und "lesbisch" nicht vorkommen. Danach unterstützte sie die niederländische Regierung, sie konnten ein Büro aufmachen und es entstanden viele Projekte mit der niederländischen Organisation COC Nederland.

Eine der wesentlichsten Schwerpunkte liegt auf der Aids-Prävention: "Es gibt viele transsexuelle Sexarbeiterinnen in Aserbaidschan. Wir verteilen Kondome und Gleitmittel und werden diesbezüglich auch vom Gesundheitsministerium unterstützt."

Keine Politik

Die Demokratie-Bewegung rund um "Sing for Democracy" unterstützen die Aktivisten nicht. "Sie haben recht mit ihrer Kritik. Aber wir haben Angst, dass unser Thema dann für einen anderen Zweck benutzt wird und die Regierung unsere Aktivitäten stoppt. Diese Arbeit muss aber weitergehen!"

Antidiskriminierungsgesetze, Gay Pride oder Partnerschaftsrechte wären schon schön, so meinen die Aktivisten, aber darum geht es derzeit in Aserbaidschan einfach noch nicht. Als politische Gruppe definieren sie sich auch nicht. "Wir sind keine Anwälte. Wir wollen, dass sich Lesben und Schwule vernetzen können, sich treffen können, und im Notfall wollen wir einfach helfen."

Passend dazu hat Baku seit einigen Monaten auch das erste Schwulenlokal, in dem in diesen Tagen auch viele Eurovisionsfans anzutreffen sind. Dort verkehren vor allem Transgender und Schwule. Für Lesben gibt es schon länger zwei Bars.

Das aktuellste Projekt von "Gender & Development" richtet sich an JournalistInnen. Ein Preisausschreiben für den besten Artikel für Respekt gegenüber Lesben, Schwulen und Transgendern wurde ausgeschrieben. "Es haben sich viele daran beteiligt. Eine Online-Plattform hat etwa Interviews mit PassantInnen in Baku dazu geführt und Fragen gestellt. Etwa ob eine Gay Pride in Baku akzeptabel wäre."

Mord und Raub

Die meiste Hilfe, die "Gender & Development" leisten muss, ist brutaler Natur. Auch schwule und transsexuelle AserbaidschanerInnen suchen Sexpartner gerne auf Online-Seiten. Vor allem russische Webseiten sind sehr populär. Voriges Jahr gab es eine Reihe von Überfällen. Bei vorgetäuschten Dates wurden Menschen in Wohnungen brutal misshandelt und ausgeraubt. Auch Morde sind passiert. "Die Polizei ist aber hilfreich in diesen Fällen", beteuern die Aktivisten. Einer der Anwesenden war selbst einmal Opfer eines solchen Überfalls, als er sich zufällig in der Wohnung einer transsexuellen Freundin befand. Die Täter wurden zumeist gefasst und verurteilt.

Kulturelle Vorteile

Auf die Frage, ob es für ein gleichgeschlechtliches Paar ein Problem sei, Hand in Hand auf der Straße zu gehen, erntet man vor allem Lacher: "In Aserbaidschan ist es üblich, dass Männer Hand in Hand, umarmt und wangenküssend auf der Straße herumlaufen. Da fällt es gar nicht auf, wenn es sich dabei um ein schwules Paar handelt. Frauen machen das auch." Es gibt sogar einen Riesenvorteil für Lesben und Schwule: Wenn man etwa als unverheiratetes heterosexuelles Paar ein Hotelzimmer bucht, kann das zu großen Problemen führen. Ein gleichgeschlechtliches Paar fällt hingegen gar nicht auf.

Hotelzimmer und Reisen sind allerdings für viele Paare notwendig. Denn auch in Aserbaidschan ist es üblich, dass man das Elternhaus erst zur Hochzeit verlässt. Dieses Problem kennt man aber auch in Italien.

Party

Die Aufmerksamkeit der Medien in diesen Tagen ist groß. Geduldig beantworten die Jungs immer dieselben Fragen. Etwa ob es auch Lesben in ihrer Organisation gebe. Ja, die gebe es. Sie konnte allerdings leider nicht zum Treffen kommen. Sie ist Psychologin und hilft auf diesem Gebiet. Am meisten freuen sie sich aber derzeit auf die vielen Gäste aus dem Ausland. Also sind die Abende im neuen Club gerade so richtig heiß. Diese Wochen ist vor allem eines wichtig: Party! (Marco Schreuder, derStandard.at, 23.5.2012)