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US-Filmemacher Wes Anderson in Cannes, wo er mit seiner zartbitteren Komödie "Moonrise Kingdom" vergangene Woche das 65. Internationale Filmfestival eröffnete.

Foto: ap / Jonathan Short

STANDARD: "Moonrise Kingdom" spielt im Jahr 1965, also kurz bevor sich in den USA vieles verändern wird. Warum haben Sie sich für diesen Zeitpunkt entschieden?

Anderson: Es ist tatsächlich eine Ära in Amerika, in der sich Weichen gestellt haben. Mir gefiel allerdings diese Idee, an einen Ort zu gehen, an dem die alte Welt noch konserviert erscheint. Es ist so, als ob man sich im Zwielicht bewegt. Dieses ländliche, Norman-Rockwell-ähnliche Amerika, die Pfadfinder, all das schien hier noch intakt zu sein.

STANDARD: Waren Sie denn selbst Pfadfinder?

Anderson: Nicht wirklich, ich war kein großer Camper. Ich war auch nicht lange genug dabei, um einen Rang zu ergattern.

STANDARD: Das junge Paar der Zwölfjährigen bricht gemeinsam in die Natur aus. Was hat es mit dieser Flucht auf sich?

Anderson: Ihre Gefühle stoßen in der Familie auf Skepsis. Ich sehe es als eine Rebellion, allerdings eine, die für etwas steht - eine Liebe, die beide ausleben wollen; es hat aber auch etwas von einem Abenteuer. In gewisser Weise gründen die beiden ihr eigenes Land mit eigenen Regeln.

STANDARD: Das Motiv erinnert ein wenig an Filme mit einem kriminellen Paar auf der Flucht - Nicholas Ray hat einen frühen gemacht ...

Anderson: ... "They Live By Night", genau; ich kenne diese Filme, es mag auch etwas davon in meinem sein. Meist ist es aber so, dass es viele unbewusste Einflüsse gibt, die ich gar nicht benennen kann. Ich bilde mir lieber ein, ich hätte das alles selbst erfunden. Als Kind habe ich gewiss von einer solchen Flucht fantasiert. Das sind Geschichten, an denen man im Kopf arbeiten kann wie an einem Bild.

STANDARD: Viele Ihrer Filme spielen in abgeschlossenen Welten: in großen Häusern, die wie Puppenhäuser wirken, auf U-Booten, dieser nun auf einer Insel. Warum?

Anderson: Die Idee des Puppenhauses gefällt mir, weil es eine Bühne ist. Ich suche wohl stets Welten, die ich selbst aufbauen kann und die dabei etwas Theaterhaftes behalten. Tatsächlich habe ich nie in meinem Leben Theater gespielt. Außerdem kehre ich auch gerne an Orte zurück, an denen ich schon einmal war, obwohl sie in der Regel enttäuschen, weil alles zerstört ist. Aber es gibt auch solche, an denen sich etwas bewahrt hat, das man wieder erwecken kann.

STANDARD: Das führt mich zur Nostalgie in Ihren Filmen. Haben Sie Sehnsucht nach der Vergangenheit?

Anderson: Ich bin definitiv zufriedener mit älteren Zeiten ... Ich empfinde allerdings keine Nostalgie gegenüber den 60er-Jahren, eher gegenüber den 20er- oder den 30er-Jahren. Es muss keine Zeit sein, die es wirklich gegeben hat. Mir gefällt der Look bestimmter Objekte besser, das Handwerkliche daran, das auch von den Menschen erzählt. Dies mag ein romantischer Gedanke sein. Ich könnte vermutlich mit vielen Dingen gar nicht richtig umgehen.

STANDARD: Ist die Musik Ihrer Filme auch so ein Behältnis von Zeit?

Anderson: Die Musik ist auch ein Mittel, um den Eindruck des Bühnenhaften zu betonen. Mit der Nummer von Françoise Hardy, zu der sich die beiden das erste Mal küssen, verbinde ich selbst allerdings gar nicht so viel. "The Young Person's Guide to the Orchestra", diese Benjamin-Britten-Schallplatten, besaß ich selbst, mit ihnen verbinde ich bestimmte Erinnerungen, deshalb mussten es auch die Aufnahmen von Leonard Bernstein sein, die um 1960 entstanden sind. Sie waren ein zentraler Ausgangspunkt für den Film.

STANDARD: Ihre Arbeit teilt mit dem Theater auch die Idee eines Ensembles. Erleichtert das etwas in der Gestaltung?

Anderson: Das Ensemble lässt mich freier arbeiten. Man muss nicht jedes Mal von vorne anfangen, es gibt ein Grundvertrauen. Es hat tatsächlich etwas Familienhaftes, was allerdings nicht jedermann gefällt - es gibt eben auch Familien, in denen man sich unwohl fühlt. Ich suche allerdings immer Harmonie.

STANDARD: Wie leicht haben sich Neulinge wie Edward Norton oder Bruce Willis in Ihre Truppe eingefügt?

Anderson: Mit Edward Norton verbindet mich schon eine längere Freundschaft. Wir haben mit Kameramann Robert Yeoman auch eine Zeit lang gemeinsam gewohnt, um die Rolle des Scout Master Ward vorzubereiten - ein intensiver, schöner Prozess. Edward ist als Typus wie geschaffen für dieses ländliche Amerikabild. Bruce Willis hatte weniger Zeit zur Verfügung, aber das Überraschende an ihm war, dass er eine sehr klare Vorstellung von seiner Rolle als Polizist hatte.

STANDARD: Die szenischen Auflösungen sind bei Ihnen sehr ausgeklügelt. Ist das auch eine Rebellion gegen gängige Erzählkonventionen?

Anderson: Ich habe immer ein paar Bilder im Kopf, die für den Film von Bedeutung sind und denen ich dann hinterher jage. Das Setting der einzelnen Szenen, die Kamerabewegungen, all das verdankt sich auch unbewussten Ideen - es ist wie eine Handschrift. Allgemein geht es mir in der Umsetzung darum, das Intendierte am besten zum Ausdruck zu bringen. Aber lieber sehe ich es natürlich als Rebellion, weil das als Idee etwas Wagemutiges und Bewegendes hat. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 24.5.2012)