Bei der Debatte um die Zukunft des Fiskalpakts und der Eurozone schwebt immer eine große Frage im Hintergrund: Welche Politik erwarten sich die Finanzmärkte von den überschuldeten Mitgliedsstaaten?
Entgegen dem, was man oft von Politikern hört, haben die Märkte ein entscheidendes Mitspracherecht. Schließlich sind sie es, die den Staaten Milliarden geborgt haben und dies auch in Zukunft tun sollen.
Sind sie unzufrieden, dann werden Staatsanleihen in großem Umfang verkauft, dann steigen die Zinsen und damit auch die ohnehin schon hohe Zinsbelastung für die Staaten. Aus diesem Teufelskreis kommen die Eurostaaten nur heraus, wenn sie auf die Märkte horchen.
Das Problem ist viel eher: Niemand weiß genau, was die Märkte wollen. Bestehen sie auf einem strikten Sparkurs, auch wenn in manchen Staaten die Konjunktur zusammenbricht und die Schulden dadurch weiter steigen? Oder sehen sie in dieser Politik einen großen Fehler und würden daher eine Abkehr vom allzu radikalen Einschnitten begrüßen? Wären sie sogar bereit, mit neuen Krediten einen Wachstumsschub zu finanzieren?
Eine Antwort auf diese Fragen wäre äußert hilfreich für die EU-Staats- und Regierungschefs, die über Spar- und Wachstumsmaßnahmen beraten.
Experten wie Daniel Gros vom Center for European Policy Studies sind überzeugt, dass der Markt nach Defizitabbau verlangt. Seine Argumentation folgt der Logik der Schule der rationalen Erwartungen: Investoren wissen, dass der Rückgang im BIP durch Defzit-Abbau kurzfristig ist, die Konsolidierung aber langfristig wirkt. Deshalb würden sie die Verschlechterung der Budgetzahlen ignorieren und sich auf die langfristigen Folgen konzentrieren.
Das klingt logisch, aber stimmt es? Die Erfahrungen der vergangenen Monate sind uneinheitlich. Ein massiver Abverkauf von Staatsanleihen fand Anfang März in Spanien statt, als der neue Premier Mariano Rajoy verkündete, dass Spanien seine Defizitziele verpassen werde. Gleichzeitig wurde das Sparprogramm verschärft.
Niemand kann genau sagen, ob Anleger spanische Papiere verkauften, weil sie über Rajoys fehlende Budgetdisziplin enttäuscht waren oder weil sie sich von den Folgen des neuerlichen Sparens fürchteten.
Das liegt daran, dass die Märkte kein Hirn, keine Persönlichkeit und keine Stimme haben. Sie sind nichts anderes als die Summe von Millionen von Einzelentscheidungen.
Aber einiges lässt sich dennoch inzwischen feststellen: Investoren wollen vor allem, dass die Staaten die Schulden in vollem Umfang zurückzahlen. Märkte reagieren daher ganz schlecht auf politische Unsicherheit und Instabilität, was etwa Italiens Premier Mario Monti zu spüren bekommt, seit er auf immer mehr Widerstand stößt.
Die Einschätzung der Ratingagenturen sind ihnen nicht so wichtig, sonst hätte Österreich jetzt nicht niedrigere Zinsen als vor dem Verlust des Triple-A bei Standard & Poor’s. Wenn Ratingänderungen die Anleihemärkte bewegen, dann deshalb, weil die Einschätzung der Agentur von vielen Anlegern geteilt wird.
Märkte bestrafen nicht Politiker, die Wachstum forcieren wollen, wie etwa den neuen französischen Präsidenten Francois Hollande. Die befürchtete Kapitalflucht aus Frankreich hat nach den Wahlen nicht stattgefunden. Aber das kann auch daran liegen, dass Hollande am Ziel der Defizitreduktion eisern fest hält.
Offenbar wissen die Märkte – sprich die Investoren - genauso wenig wie Politiker und Ökonomen, wie sich eine drastische Sparpolitik auf die langfristige Schuldenentwicklung auswirkt. Die anfängliche Hoffnung, allein die Ankündigung des Sparens werde ausreichen, um die Zinsen zu drücken, haben sich bisher nicht erfüllt.
Aber noch illusionärer erscheint die gegenteilige Meinung – dass sich hochverschuldete Staaten durch eine Art von wachstumsorientierten „Crowding-in“ durch neues Schuldenmachen aus der Schuldenfalle befreien können. Dass Märkte an dieses Szenario glauben, dafür gibt es schon überhaupt kein Anzeichen.