Bild nicht mehr verfügbar.

Wer in Familienfreundlichkeit investiert, der profitiert laut der Studie.

Foto: APA/dpa/Steffen

"Befriedigend": So lautet die Schulnote, die der deutsche Wirtschaftsforscher Helmut Schneider Österreichs Unternehmen geben würde in puncto Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Im Fokus der Untersuchung, die Schneider im Auftrag des Wirtschaftsministeriums durchführte und die Anfang der Woche präsentiert wurde, standen betriebswirtschaftliche Kriterien. Also die harten Zahlen, mit denen sich Unternehmen am ehesten von der Sinnhaftigkeit solcher Maßnahmen überzeugen lassen. Profitieren Firmen oder nicht? Schneider möchte die Analyse keinesfalls auf den finanziellen Aspekt reduzieren, wie er im Gespräch mit derStandard.at erläutert, die Antwort ist dennoch klar: Für Firmen lohnt es sich. Und zwar enorm.

Unterschiede bei 15 von 19 Indikatoren

Zum Untersuchungsdesign sagt Schneider: "Wir wollten der Frage auf den Grund gehen, wie sich Maßnahmen zur Vereinbarkeit auswirken." Analysiert wurden 411 österreichische Betriebe anhand von 19 Indikatoren wie Mitarbeiterbindung, Jobzufriedenheit, Motivation, Krankenstandstage oder wie viele Bewerber auf eine offene Stelle kommen. Die Ergebnisse sind repräsentativ. "Bei 15 der 19 Indikatoren konnten wir signifikante Unterschiede feststellen", resümiert Schneider. In betriebswirtschaftlicher Hinsicht: "Es ist nicht schlimm, wenn es Firmen aus sozialer Verantwortung machen, aber es lohnt sich auch tatsächlich."

Um "familienfreundlich" und "weniger familienfreundlich" mit Daten füttern zu können, wurden die jeweils 25 Prozent am oberen und am unteren Ende der Skala miteinander verglichen. Das Resultat ist ein "Familienindex". Im Durchschnitt kamen Österreichs Firmen auf 66,7 von 100 möglichen Punkten. Sie rangieren mit dieser Punkteanzahl vor Unternehmen aus der Schweiz und Deutschland. Allerdings wurde die Situation in diesen Ländern bereits vor ein paar Jahren untersucht. Tendenziell nehme das Bewusstsein für Familienfreundlichkeit zu, meint Schneider, deswegen solle sich Österreich auch nicht als Spitzenreiter fühlen. In ein paar Jahren könne sich schließlich viel ändern.

Weniger Fehltage

Ein klein scheinender Unterschied, der aber große Auswirkungen hat, ergibt sich alleine aus den Fehltagen. Mitarbeiter in familienfreundlichen Betrieben haben im Schnitt 2,8 krankheitsbedingte Fehltage pro Jahr weniger als andere Beschäftigte. "Ich bin kein Freund davon, alles in Euros zu transformieren, aber hier ist es relativ einfach", sagt Schneider mit Verweis auf den Kostenfaktor von Absenz. Ein Betrieb mit 100 Mitarbeitern kommt so auf ein Minus von 280 Krankenstandstagen pro Jahr. Die Bruttowertschöpfung pro Kopf und Tag beträgt in etwa 250 Euro, erklärt Schneider, der das Forschungszentrum Familienbewusste Personalpolitik (FFP) in Münster leitet: "Bei 100 Mitarbeitern sind das fast 70.000 Euro pro Jahr. Das ist schon sehr viel."

Weniger Kündigungen

Neben den Fehltagen ist die Fluktuationsrate noch eine "harte Währung", die sich in betriebswirtschaftliche Zahlen gießen lässt. In familienfreundlichen Betrieben ist die Kündigungsintensität deutlich geringer. Familienfreundliche Unternehmen mit 500 Beschäftigten verlieren jährlich ungefähr fünf Mitarbeiter weniger als ihre familienunfreundlichen Pendants. Wie viel Geld ist im Spiel, wenn sich Beschäftigte verabschieden? Das sei natürlich abhängig von Faktoren wie dem Arbeitsmarkt und der Qualifikation, führt Schneider aus, was sich jedoch sagen lässt: "Laut einer Studie betragen die Kosten bei mittlerer Qualifikation ungefähr 20.000 Euro pro Person, die durch eine Kündigung ausscheidet." Bis der Ersatz angeworben und zum Qualitätsniveau des Vorgängers geführt wird, vergeht viel Zeit. Zeit, die Geld bedeutet, denn bei fünf Mitarbeitern kommt man auf die stolze Summe von 100.000 Euro jährlich.

"Man kann und soll nicht immer das Geld in den Vordergrund stellen", warnt Schneider vor einfachen Rechenbeispielen, aber: "Bei der Anzahl an Krankenstandstagen und der Mitarbeiterfluktuation geht es einfacher." Den zweiten Bereich, nämlich die Bindung von Beschäftigten an die Firma, hält er für essenziell: "Für Unternehmen ist es extrem wichtig, betriebsspezifisches Know-how aufzubauen." Das gehe nicht über die Ausbildung: "Das entsteht erst im Job."

Was bei der Untersuchung noch zutage gefördert wurde, sind Unterschiede bei der Karenzdauer: "Bei den familienfreundlichen Betrieben ist die Karenz um neun Prozent kürzer als im Durchschnitt, bei den weniger familienfreundlichen um sieben Prozent länger."

Handel schneidet besser ab als Industrie

Gibt es Branchen, die besonders familienfreundlich sind? Das lasse sich nicht generalisieren und auf viele Metiers aufschlüsseln, mahnt der Wirtschaftsforscher, weil die Fallzahl zu klein war, nur so viel: Der Bereich Handel/Dienstleistungen schneidet signifikant besser ab als die Industrie, also das produzierende Gewerbe. Warum das so ist, kann er nur vermuten: "Das dürfte zwei Gründe haben: Erstens ist der Anteil von Frauen ist in diesen Branchen besonders hoch, und zweitens sind die Mitarbeiter qualifizierter." Das heißt, Firmen mit gut qualifizierten Mitarbeitern sind familienbewusster als der Rest. Abgänge schmerzen mehr. Kleinere Unternehmen erzielen höhere Werte als große.

Der Maßnahmenkatalog zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie kann vielseitig sein, sagt Schneider. Nicht jedes Unternehmen werde sich einen Betriebskindergarten leisten. Entscheidend seien andere Aspekte wie beispielsweise "innovative Arbeitszeitmodelle" oder Ad-hoc-Hilfe bei Pflegefällen. Maßnahmen, die laut der Befragung mit rund 40.000 Euro pro Jahr und Unternehmen zu Buche schlagen. Würde man das einfach mit dem Plus durch weniger Fehltage etc. gegenrechnen, so sei klar, dass alle Beteiligten profitieren. Auf eine "Rendite" für Firmen will sich Schneider nicht festnageln lassen: "Das geht nicht, weil so viele Variablen im Spiel sind."

Drei Säulen entscheidend

Das Prädikat "Familienfreundlichkeit" basiert für Schneider auf drei Säulen. Zum einen der Leistungskomponente, die konkrete Maßnahmen wie Arbeitszeitmodelle oder Betreuungseinrichtungen umfasst. Die zweite Säule ist die Kommunikation. "Was nützt alles, wenn das Unternehmen gar nicht weiß, wie die Bedürfnisse der Beschäftigten aussehen?" Zum Beispiel, wie es um die Familiensituation oder den Pflegebedarf bestellt ist. Unternehmenskultur heißt der dritte Punkt: "Ein Betrieb kann noch so viel anbieten, im Alltag muss es gelebt werden." Diese drei Dimensionen seien gleich wichtig.

Um Unternehmen den Weg in Richtung Familienbewusstsein zu ebnen, wurde ein eigenes Instrumentarium entwickelt, der sogenannte "berufundfamilie-index". Das Selbstdiagnose-Analysetool fußt auf 21 Fragen. Es soll dazu dienen, Stärken und Schwächen zu identifizieren. Ermittelt wird der Stand der Dinge anhand von bestimmten Kriterien wie Mitarbeitergröße, Dialogkultur und  Spannungen zwischen Mitarbeitern mit und ohne Familienpflichten. Bevor man mit der Implementierung von Maßnahmen beginnt, sollte eine Bestandsaufnahme gemacht werden, rät Schneider, denn: "Gerade in der Dialogkomponente unterscheiden sich besonders gute von besonders schlechten Firmen." (Oliver Mark, derStandard.at, 24.5.2012)