Nestroy als Blasius Rohr, 1861.

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Anfang: "Wohlgeboren is' das dümmste Wort, denn jeder Sterbliche ist wehgeboren." (Johann Nestroy)

Beginn: Um ein Haar hätte die Karriere des Possenschreibers Johann Nepomuk Nestroy (1801- 1862) in einem Ministerialbüro oder in einer Anwaltskanzlei geendet. Nestroy war das Kind eines bettelarmen Wiener Hofnotars. Der hochaufgeschossene Jüngling betrieb halbherzig ein Jusstudium, ehe ihn seine angenehme Erscheinung und eine leidliche Baritonstimme in das Theaterfach überwechseln ließen.

Auf Jahre der Wanderschaft folgte 1831 Nestroys Engagement im Bühnenimperium des Direktors Karl Carl. In dessen Biedermeier-Reich, das damals das Theater an der Wien und das Leopoldstadt-Theater umfasste, gingen die Laternen niemals aus. Nestroy zerriss sich förmlich für seinen Arbeitgeber. Er stand praktisch jeden Abend auf einer der Bühnen und lieferte in "guten" Jahren bis zu fünf Stücke - zumeist mehraktige Possen mit Gesang - ab.

Besserungsproblematik Als Nestroy zu dichten begann, wurde der Spielplan von eher treuherzigen Erzeugnissen der Volkskultur dominiert. In den Zaubermärchen Ferdinand Raimunds saßen die Feen noch auf Wölkchen. Die Menschen mussten charakterlich gebessert werden. Von solchen Liebenswürdigkeiten stachen Nestroys Figurengestaltungen durch ihre radikale Aufrichtigkeit ab.

Nestroy, der privat als zurückhaltend und schüchtern beschrieben wurde, verstand sich auf der Bühne vorzüglich aufs Extemporieren. Selbst harmlos klingende Sätze wurden durch seine Grimassenschneiderei zu "Zoten", die aufgrund ihres politischen Gehalts die Zensurbehörde des Fürsten Metternich auf den Plan riefen. Der Dramatiker und Schauspieler ging wiederholt in die Arrestzelle, von dort meist direkt auf die Probe.

Ehe/Ersatz: "Wer eine Neapelreis' z' kostspielig find't, um den feuerspeienden Vesuv zu sehen, der schaut sich um a zornige Kräutlerin um ..." (aus: "Der Unbedeutende", 1846).

Gedankenblitz: Nestroy schrieb geschwind wie der Wind. Die Stoffe zu seinen Volkskomödien entlehnte er bedenkenlos bei in- und ausländischen Kollegen und reicherte sie mit lokalem Kolorit an. Die Schärfe seines satirischen Witzes aber beruht auf dem Wörtlichnehmen von Phrasen: Hoher Ton und niedrige Gesinnung stehen dann in groteskem Missverhältnis zueinander.

Lorbeer: Nestroy machte sich wenig Illusionen über den Ewigkeitswert einer an die Erfordernisse des Tages gebundenen Dichtkunst. Das Trachten nach dem Lorbeer galt ihm wenig: "Das is' g'rad so, als wenn einer ein' Zwetschgenkrampus macht, und gibt sich für einen Rivalen von Canova aus." Canova: italienischer Bildhauer (1757-1822).

Repertoire: Zwischen 1831 und 1854, dem Jahr, in dem Carl starb und Nestroy von ihm die Direktion übernahm, wurden zumindest 55 abendfüllende Nestroy-Stücke in Wien uraufgeführt. Auf Triumphe wie "Lumpacivagabundus" (1833) folgten lange Misserfolgsserien.

Urheberschaft: Der laxe Umgang mit Fragen geistiger Urheberschaft gehörte Mitte des 19. Jahrhunderts zur gängigen Praxis. Schlüpfte Nestroy in einem nicht von ihm stammenden Stück in eine komische Rolle, schrieb er sich meist eigenhändig die passenden Coupletzeilen auf den Leib. Couplets wurden von den Mimen schon allein deshalb geschätzt, weil diese nach jeder Strophe abgehen und damit ihren "Herbeiruf" provozieren konnten.

Weiler, Marie: Diese lebenspraktische Gefährtin tröstete Nestroy über das Scheitern seiner in jungen Jahren eingegangenen Ehe hinweg. Sie gebar ihm nicht nur zwei Kinder, sondern sang ganz erträglich und führte ihm während seiner Direktionszeit das Theater. Er dankte ihr die Müh' mit Affären, die er auf komplizierte Art und Weise vor ihr zu verhehlen trachtete, oft genug erfolglos. Ein weiterer Anlass zur Sorge war seine Kartenspielsucht.

Zauberposse: Es führt ein weiter Weg vom Vorstadtdichter Nestroy zum vielleicht wichtigsten Sozialsatiriker seiner Epoche. In Nestroys Welt kündigen sich die Umwälzungen der Hochmoderne an. Während im Vormärz noch das stille Glück der "Häuslichkeit" gepriesen wurde, entstanden parallel die städtischen Massen der Lohnabhängigen und Verarmten.

Nestroy besaß ein feines Ohr für die Verlogenheit einer Sprache, die mit der Neueinrichtung dieser Welt nicht Schritt hielt. Nestroys Dichtung, die erst Jahrzehnte später von Fürsprechern wie Karl Kraus wiederentdeckt wurde, ist nahe am Zynismus gebaut. Sie ist aber stets zu klug, um nichts als zynisch zu sein: "Es sagt so vieles das gemeine Volk, was mit der Gemeinheit gar nichts gemein hat!" (Ronald Pohl, DER STANDARD, 25.5.2012)