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In Polen wird ans offizielle Antlitz der EURO letzte Hand angelegt. Den Pessimisten gehen die Argumente aus.

Foto: AP/Sokolowski

Polen lieben Hiobsbotschaften. Als die Uefa 2007 Polen und der Ukraine die EURO 2012 zusprach, kannte der Jubel an der Weichsel keine Grenzen: Was für eine wunderbare Katastrophe würde das geben, ein Fiasko, wie es die Welt noch nicht gesehen hat! Die ideale Ausgangslage: In Polen gab es keine Stadien, fast keine Autobahnen, und die Nationalmannschaft lag in der Weltrangliste abgeschlagen auf Platz 65. Fünf Jahre lang klagten, zeterten und unkten die Polen um die Wette.

Aber jetzt geht es tatsächlich los, in zwei Wochen, am 8. Juni, tritt Gastgeber Polen im Eröffnungsspiel gegen Griechenland an. Und die Skeptiker müssen zugeben, dass das neue Nationalstadion in Warschau mit knapp 60.000 Plätzen rechtzeitig fertig geworden ist. Das ausfahrbare Dach kann geöffnet und auch wieder geschlossen werden. Die Treppen werden unter der Last tausender Fans nicht zusammenbrechen, wie noch vor einigen Monaten befürchtet. Der Rasen auf dem Spielfeld gedeiht wider Erwarten prächtig, und sogar die Haltestelle "Stadion" ist kaum wiederzuer-kennen, strahlt seit Tagen neu und picobello in der Sonne.

Auch die anderen Stadien sind fertig geworden, die meisten Straßen, fast alle Hotels, ja sogar die Grünanlagen. Den Gästen aus aller Welt wird ein breites Kultur-, Sport- und Freizeitprogramm angeboten. Im Prinzip gibt es kaum noch einen Grund für die in Polen so beliebte Schwarzseherei. Aber es gibt ja noch die Politik. Und die Ukraine.

Doch nicht mitgefangen

Vor kurzem drohte noch ein Boykott der Spiele im Nachbarland. Westliche Politiker wollten nicht einmal die eigenen Mannschaften anfeuern, manche drohten gar, der EM ganz fernzubleiben und also auch Polen für die Politjustiz in der Ukraine abzustrafen. Der Aufschrei in Warschau, Danzig, Breslau und Posen war gewaltig. Jetzt, wo alles fertig ist und die Nationalmannschaft mit dem Schwung ihrer Legionäre vom deutschen Meister Borussia Dortmund vielleicht doch ins Viertelfinale vorstoßen könnte. Keine Promis, nur Plebejer, würden kommen. Ein Desaster. In den vergangenen Tagen deutete sich aber an, dass ein paar der wichtigen Premiers und Präsidenten zumindest Polen beehren wollen, am Ende, das ist die große Hoffnung, vielleicht sogar alle.

Ungelöst ist nach wie vor ein anderes Problem. Das russische Team hat sich im ersten Hotel am Platz in Warschau eingemietet. Dagegen wäre nichts zu sagen, wenn das Bristol nicht neben dem polnischen Präsidentenpalast läge. Dort finden seit der Flugzeugkatastrophe vor Smolensk vor zwei Jahren an jedem Monatszehnten antirussische Demonstrationen statt. Viele Anhänger der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) glauben ja, dass die Russen in einem Komplott mit dem polnischen Premier Donald Tusk das Flugzeug vom Himmel geholt haben. Der damalige Präsident Lech Kaczynski, die gesamte polnische Armeeführung und zahlreiche der PiS nahestehende Funktionäre seien einem russischen Anschlag zum Opfer gefallen.

Polen und Russland schmücken die Vorrundengruppe A, treffen am 12. Juni aufeinander. Sollten die Gäste verlieren, könnte Moskau auf die antirussische Demo vor dem Mannschaftshotel zwei Tage zuvor verweisen. Dann hätte Polen, das für die Sicherheit, für Ruhe und Ordnung verantwortlich ist, als Gastgeber versagt. Seit Wochen versucht daher Sportministerin Joanna Mucha, den Russen ein anderes, ähnlich luxuriöses Hotel schmackhaft zu machen. Bislang erfolglos. Denn kein anderes Hotel liegt so zentral in Warschau, direkt neben Polens Präsidentenpalast und bietet eine so schöne Chance auf einen richtigen EURO-Skandal. (Gabriele Lesser, DER STANDARD - 25.5. 2012)