Das Leben als Dichter ist janusgesichtig, um nicht zu sagen sphingenhaft. Werden wir nicht zu Literaturtreffen eingeladen, sind wir zutiefst gekränkt. Werden wir eingeladen, sind wir unglücklich. Sind wir allein, sehnt man sich nach dem verständnisvollen, klugen Ohr von Schicksalsgenossen. Sind wir viele auf einen Fleck, würden wir uns, ausgenommen die besonders begehrenswerten Exemplare, am liebsten an die Gurgeln gehen. Einerseits wird der Austausch gesucht, andererseits will jeder nur das Seine austauschen, was keine Diskussion, sondern Kakofonie ergibt.
Überbewertet ist man natürlich sowieso. Ab 500 mehr verkauften Exemplaren als der andere. Hat man 300 weniger verkauft, ist man ein Lulu. Ein Harem ist ein Dreck gegen eine Versammlung von Dichtern. Da wird Honig geschmiert und Dolch gewetzt, dass Shakespeare alle Hände voll zu tun hätte. Eifersüchtig wird beobachtet: mit wem hat der Verleger, die Veranstalterin länger gesprochen? Bedeutungsvollere Blicke gewechselt? Ist man heil von so einem Festival wieder zurück und erleichtert, fühlt man sich bereits einsam, während man sich noch den Schweiß von der gefurchten Stirn wischt. Denn sich immer zu selbst zu spiegeln ist ein wenig wie geistig Masturbieren.
Da braucht man schon ein Gegenüber oder zumindest faule Äpfel. Die Äpfel können mir persönlich gestohlen bleiben. Das einzig Wahre sind Hundeleiber, die sich an nackte Füße schmiegen, während man im Mondlicht am Schreibtisch sitzt. Üblicherweise werde ich dann vier Stunden später vom Kind geweckt, das ein schultaugliches Brötchen haben möchte, und der Hund hat entweder Rückenprobleme oder Durchfall, und die Arbeit ruft laut wie der Watzmann, während ich fluchend andere Aufgaben des Lebens erledige.
Aber wehe, man hat den ganzen Tag tatsächlich Zeit, so wie man geplant hat: Mit Garantie sitzt man stundenlang vor dem Computer, während nichts, absolut nichts passiert, und man kämpft gegen den überwältigenden Wunsch, ein besonders blutrünstiges Computerspiel anzuwerfen und ganze Horden von Orks zu erledigen, wenn einem nicht sofort, sofort! ein paar interessante Ansätze zur Kunstgeschichte des 18. Jahrhunderts einfallen.
Apropos Einfälle: Auch der Leser ist so gnadenlos wie das Leben. Hat man etwas produziert, das man wochenlang konstruierte, finden sich mindestens vier, die sofort penible Autobiografie darin verorten. Vor allem, wenn es sich um Gewaltexzesse, Sexrausch und Geisteskrankheiten handelt. Schreibt man, was einem tatsächlich passiert ist, schreit jemand garantiert "Haltet den Dieb!" und wirft einem Ideenklau vor, bevor man bis drei zählen kann. Ich korrigiere mich: Nicht der Schriftsteller ist die Sphinx. Der Leser ist es. (Julya Rabinowich, Album, DER STANDARD, 26./27./28.5.2012)