Initiative gegen die Initiative: Seit 2001 gibt es in Europa Proteste gegen das geplante Acta (Anti-Counterfeiting Trade Agreement) der EU. Für 9. Juni sind die nächsten angesagt.

Foto: Standard/Heribert Corn

Ein Essay über Kunst, Künstler und die Urheberrechtsfrage.

 

"wie verrückt arbeiten alle an romanen und / wie verrückt an neuen theaterstücken und wie / verrückt an neuen gedichten": So beginnt Ernst Jandls Gedicht wie verrückt aus dem Jahr 1983. Darin bringt der im Jahr 2000 verstorbene Dichter einiges von dem zur Sprache, was die derzeitige Diskussion um kreative Arbeit, geistiges Eigentum, Urheberrecht und ökonomische Verwertung beherrscht. Denn wie verrechnet eine global und medial vernetzte Gesellschaft Produkte, die keinen bestimmten Nutzwert haben, sehr wohl aber von einer Vielzahl an Nutzern konsumiert werden? Diese Frage stürzt nicht zuletzt die künstlerisch Schaffenden und Arbeitenden in ein Dilemma: Dem Verlangen nach einer möglichst weiten Verbreitung der eigenen Erzeugnisse steht die Notwendigkeit entgegen, die existenziellen Grundbedürfnisse finanziell abzusichern.

Jandls Gedicht wischt diesen Verwertungszusammenhang in der radikalen Sprache der Poesie zunächst beiseite. "und die maler malen wie verrückt an ihren neuen bildern und / die bildhauer hämmern wie verrückt auf ihren stein", heißt es im Gedicht. Die wild draufloswerkelnden Künstler scheinen sich, mit Verlaub, einen feuchten Dreck darum zu scheren, ob ihr Tun in irgendeiner Form existenzsichernd sein könnte. Hier ist eine Produktivität am Werk, die weit über herkömmliche Wertschöpfungsprozesse hinausreicht und sich zudem in aller Form vom Geniekult verabschiedet hat. Anstelle von hochsensiblen Ästheten begegnen uns anarchische Kunstarbeiter, deren Virtuosität vor allem in der Intensität ihres Tuns liegt.

Das wiederkehrende "wie verrückt" suggeriert eine zugleich heitere und bedrohliche, in jedem Falle hemmungslose Aktivität. Jandl lenkt unsere Aufmerksamkeit auf den Akt des Schöpfens, dem die darauffolgende Erschöpfung schon eingeschrieben ist. "und die komponisten tragen wie verrückt ihre häßlichen noten ein / und die musiker tag und nacht blasen wie verrückt in ihr saxophon / ihre trompete ihre posaune klarinette flöte oboe fagott": Damit endet das Gedicht und legt gleichzeitig nahe, dass die schöpferische Verausgabung unendlich weitergehen könnte. Der Hinweis "tag und nacht" unterstreicht dies - und legt abermals nahe, dass den wilden Kunstarbeitern keine Zeit für irgendeine Form der Selbstorganisation oder -vermarktung bleibt. In diesem Punkt erweist sich Jandls Gedicht gleichzeitig als blind und hellsichtig:

Denn erfahrungsgemäß sind heutzutage künstlerisch tätige Menschen zu einem Gutteil mit den Agenden der Verwaltung und Bewirtschaftung ihrer Erzeugnisse befasst, falls sie nicht ohnehin noch mit kunstfernen Arbeiten ihr Auskommen sichern müssen. Andererseits scheint aber gerade dieser Sachverhalt in den Selbstdarstellungen von Kunstschaffenden einer Art von Abspaltung unterworfen: Er bildet den verdrängten Subtext im Fluss des reinen Wirkens - wohl auch deshalb, weil in dessen Preisgabe das Eingeständnis eines vermeintlichen Scheiterns oder eines Defizits liegen würde: "Ich kann von dem, was ich schaffe, nicht leben." Ernst Jandl selbst scheute eine solche Selbsterkenntnis so sehr, dass er es lange nicht wagte, seinen Brotberuf als Gymnasialprofessor an den Nagel zu hängen.

Doppelte Grenzwertigkeit

Man kann Jandls Gedicht angesichts dessen hin und her wiegen und sich die Frage stellen, ob es in seiner Tendenz eher zur fröhlichen Utopie eines kollektiven künstlerischen Aktionismus neigt oder aber zur ironischen Distanzierung von solch selbstgefährdender Hyperaktivität. Jedenfalls erzählt es von einer doppelten Grenzwertigkeit und trifft damit die Situation künstlerischer Produktivität ins Mark: Deren Verrücktheit liegt eben nicht bloß in der wunderbaren Anmaßung dessen, was man Autopoiesis nennt. Denn die schöpferische Autonomie ist eben auch ständig vom Risiko des Abstürzens bedroht: durch kreativen Stillstand ebenso wie durch psychische und/oder körperliche Erschöpfung. Künstlerisches Schaffen ist Berufsrisiko an und für sich. Die Fähigkeit der Selbsterschaffung bedingt auch die Gefahr der Selbstauslöschung.

Der/die auf freiwillige Selbstausbeutung setzende Künstler/Künstlerin ist nicht zuletzt deshalb zum "role model" einer Ökonomie der Innovation geworden. Nicht zufällig verwendet Ernst Jandl in seinem Gedicht ein einziges Adjektiv zur Beschreibung der Qualität für ausnahmslos alle künstlerischen Prozesse: "neu" sind sie, die Romane, Bilder, Plastiken und Kompositionen. Nicht mehr und nicht weniger. Wie es zu diesen Neuigkeiten kommt, bleibt das Produktionsgeheimnis der Kunst - und zugleich ihr hochriskanter Spieleinsatz.

Denn was ist das "Neue" wert, wenn keine und keiner danach gefragt hat? Wenn es kein Bedürfnis deckt, keinen Wunsch erfüllt - außer dem fundamentalen Ausdrucksbedürfnis dessen, der schafft? Genau in diesem Punkt aber scheint sich die ursprünglich radikale Autonomie der Kunstproduktion jener Ökonomie der wissensbasierten Gesellschaft anzunähern, welche sich längst schon angeschickt hat, die traditionelle Ökonomie der Massengüterproduktion abzulösen. In einer "Ökonomie des Überflusses verkümmern die Bedürfnisse, wenn sie nicht in Wünsche verwandelt werden. Die Notwendigkeiten büßen ihre Dringlichkeit ein." So formulierte es der italienische Wirtschaftstheoretiker Enzo Rullani, der unlängst auf Einladung des Forschungs- und Beratungsunternehmens 4dimensions in Wien einen Vortrag über die "Wertschöpfung durch Wissen" hielt.

Nicht bloß Kunstschaffende

Mit Rullanis Gedanken lässt sich nun eine theoretische Brücke zwischen Ernst Jandls räudiger Kunstfabrik und der Frage der ökonomischen Stabilisierung der Produktionsverhältnisse schlagen: Denn was uns Jandl in seinem Gedicht in Form einer beinahe psychedelischen Vision schildert, kommt der hitzigen Dynamik des zeitgenössischen Netzwerkkapitalismus gespenstisch nahe. Die Form dieser Produktivität mag in Jandls Gedicht noch anarchisch und ungerichtet anmuten:

In jedem Fall hat sie sich von einer konkurrierenden in eine soziale Produktivität verwandelt, in der es möglich scheint, die Inhalte, Ressourcen und Verwertungen ebenso zu teilen wie die Erfahrung des künstlerischen "Verrücktwerdens". Das Gedicht steuert auf die Form eines kollektiven Produzierens zu, das wohl noch Spezialisten kennt, den Blick jedoch auf den Zusammenhang lenkt: Künstler existieren bei Jandl nur noch im Plural, und überhaupt: Was heißt hier Künstler? Fast könnte man es überlesen, dass das künstlerische Subjekt bei Jandl nicht mehr und nicht weniger als "alle" umfasst. Und "alle", das sind nicht bloß die Kunstschaffenden in ihrem Anspruch auf Neuheit, sondern auch die Konsumierenden, die ihren eigenen, nicht quantifizierbaren Nutzen aus diesen Neuheiten ziehen. Um genau zu sein:

Sie konsumieren nicht bloß, sondern produzieren jene "Wünsche", von denen Enzo Rullani spricht. Das können so elementare Wünsche wie jener nach gesellschaftlicher Veränderung, sozialer Gerechtigkeit oder alternativen Lebensentwürfen sein. Nichts von alledem stellt künstlerische Produktivität per se als Ware bereit - aber wer könnte sich der verführerischen Atmosphäre des Gedichts wie verrückt so einfach entziehen? Es macht etwas mit uns, und das in einem durchaus ambivalenten Sinn: Die Fröhlichkeit des Textes jazzt uns an wie ein feurig flirrendes Saxofonsolo (jenes Instrument, das Jandl so liebte). Und zugleich geht von wie verrückt ein Charme der Gefahr aus: Wehe, wenn du dich auf dieses wilde Treiben einlässt - dann ist es um dich geschehen! Dann lässt dich alles liegen und stehen, was dich bislang zusammengehalten hat. Auf die stabilen Milieus von Familie, Schicht und Nation folgen die labilen, unberechenbaren Netzwerke der umherschweifenden Produzenten.

Wollen wir eine solche Entfesselung der Produktivkräfte nicht mit dem Einsatz unserer psychischen und physischen Gesundheit bezahlen, brauchen wir eine gänzlich neue Regulierung der Verteilung von Ressourcen, Gewinnen und Verlusten. Nicht das Eigentum muss beschützt werden, sondern diejenigen, die zunächst auf eigenes Risiko Neues schaffen. "Wenn das Ziel nicht darin besteht, das Eigentum zu schützen", formulierte Enzo Rullani bei seinem Vortrag in Wien, "sondern darin, die Voraussetzungen zu schaffen, dass sich Wissen weiter dynamisch ausbreiten kann, dann muss das Recht auf Ausschluss von der Nutzung auf das Nötigste beschränkt werden." Ernst Jandl hätte wohl an dieser Stelle ein lautes "Ja" in ein Saxofon geblasen. (Helmut Neundlinger, Album, DER STANDARD, 2./3.6.2012)