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Leugnet nicht, "dass es nicht immer einen restlos effizienten Einsatz der Mittel gibt": Andreas Mailath-Pokorny.

Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Er hat kein Problem mit geringen Eigendeckungsgraden und findet die Einigung mit Gerald Matt fair.

STANDARD: Seit Jahren wird über ein neues Wien-Museum diskutiert. Bürgermeister Michael Häupl sagte in Rust vor der versammelten SP, dass ihm eine große Volksbildungsstätte vorschwebe. Was bedeutet das? Neubau - oder Zubau am Karlsplatz?

Andreas Mailath-Pokorny: Das hat er weise offengelassen. Weil diese Frage noch nicht entschieden ist. Aber es haben sich drei Standorte verdichtet: Schwedenplatz, Zentralbahnhof und Karlsplatz. Nicht mit dem schlechten Gewissen des Faulen, sondern mit der Überzeugung des Fleißigen sage ich: Dieses Projekt braucht eben seine Zeit.

STANDARD: Es gibt nun zumindest eine neue Kunsthalle - von der Organisationsstruktur her. 67 Personen haben sich für die Leitung beworben. Angeblich soll Felicitas Thun-Hohenstein gute Chancen haben. Stimmt das?

Mailath-Pokorny: Tatsächlich? Ich habe eine sehr kompetente Jury einberufen, es gibt keine personellen Vorgaben meinerseits. Ich wäre von allen guten Geistern verlassen, würde ich etwas vorab entscheiden.

STANDARD: Der Vertrag mit Gerald Matt, der als Direktor nicht mehr tragbar schien, wurde gelöst. Gibt es nun, nach einem Jahr der Vorwürfe, Untersuchungsergebnisse?

Mailath-Pokorny: Das Material liegt bei den Behörden und Gerichten. Aus meiner Sicht gibt es gegen Matt keine bewiesenen strafrechtlich relevanten Vorwürfe. Das war auch der Grund, warum eine Entlassung, hätte man sie gewollt, nicht möglich gewesen wäre. Sollte es keine Verurteilung geben, wird Matt zwei Drittel seines 2014 auslaufenden Vertrags ausbezahlt bekommen.

STANDARD: Das sind 6000 Euro pro Monat?

Mailath-Pokorny: Ich kenne die Zahlen nicht im Detail. Ich weiß nur: Auf ein Drittel hat Matt verzichtet. Ich halte das für eine faire Lösung. Aber wenn ich mir es hätte wünschen können, hätte ich die Neupositionierung erst in zwei Jahren durchgeführt.

STANDARD: Wieso? Matts Vertrag hätte sich doch automatisch weiterverlängert.

Mailath-Pokorny: Nein, ich hätte den Posten Ende dieses Jahres ausgeschrieben.

STANDARD: Nun müssen Sie einen anderen Posten ausschreiben: Shermin Langhoff wechselt doch nicht zu den Festwochen. Braucht Markus Hinterhäuser, der designierte Intendant, überhaupt ein Beiwagerl?

Mailath-Pokorny: Es geht um eine Erweiterung der Programmatik der Festwochen, und das soll sich auch in der personellen Ausstattung widerspiegeln.

STANDARD: Der Filmfonds Wien hat seit kurzem eine neue Leitung. Gerlinde Seitner kündigte Mitarbeiterinnen - und rührt gerüchteweise ziemlich um. Was ist los?

Mailath-Pokorny: Es gab zwei Kündigungen. Die neue Leiterin hat das Recht, sich ihr Team zusammenzustellen, und ich muss das nicht kommentieren. Aber was ich mit aller Deutlichkeit sage: Es gibt keine grundsätzliche Änderung der Förderpolitik des Filmfonds, es wird weiterhin der qualitätvolle Film unterstützt. Die Erfolge in Cannes, die Michael Haneke und Ulrich Seidl feiern können, sind zusätzlicher Auftrag, diesen Weg fortzusetzen.

STANDARD: Es gibt auch ein neues Festival, die "Wien-Woche" des Koalitionspartners. Laut Subventionsakt muss das Geld, wenn es nicht heuer verwendet wird, nicht zurückgezahlt werden. Ist das nicht unüblich?

Mailath-Pokorny: Nein, das kommt immer wieder vor.

STANDARD: Der RH meint, Mittel sollten immer nur in der benötigten Höhe gewährt werden. Und Isabella Leeb von der VP meint, der Passus widerspreche den Förderrichtlinien.

Mailath-Pokorny: Und ich sage aus der Praxis: Eine gewisse Flexibilität ist sinnvoll gerade bei einem Projekt, das voraussichtlich größer werden wird.

STANDARD: Bleiben wir beim Steuergeld: Sie geben heuer für eine Kommunikationsoffensive 700.000 Euro aus. Gleichzeitig betteln Künstler vergeblich um 3000 oder 5000 Euro. Verstehen Sie, dass man sauer ist?

Mailath-Pokorny: Es gibt einen Gesamtkuchen für die Kommunikationsoffensive der Stadt, und einen Teil davon haben wir für die Kultur beansprucht. Darüber bin ich froh. Denn es wird eben nicht nur das gesunde Wasser und die intelligente Straßenführung beworben, sondern auch das kulturelle Leben - und jene Institutionen, die ansonsten nicht so im Mittelpunkt stehen.

STANDARD: Das war nicht meine Frage.

Mailath-Pokorny: Dass es Kulturschaffende gibt, die mehr Geld wollen: Damit muss ich leben. Ich könnte aber keinen Cent der 700.000 Euro für kulturelle Zwecke umwidmen. Die Stadt gibt eben Geld aus - für Kommunikation und für Kultur.

STANDARD: Ich muss noch beim Geld bleiben. 2011 ist der Eigendeckungsgrad des Theaters an der Wien auf 20,3 Prozent gesunken.

Mailath-Pokorny: Und liegt damit höher als die meisten Opernhäuser, die ich kenne.

STANDARD: Ach wirklich? Die Staatsoper hatte 2010/11 einen Eigendeckungsgrad von 42 Prozent.

Mailath-Pokorny: Das Theater an der Wien fährt aber eine andere Schiene. Wir wollten ganz bewusst kein weiteres Repertoirehaus. Wenn Sie sich die Opernhäuser in Deutschland anschauen, dann sind die 20 Prozent guter Durchschnitt.

STANDARD: Pius Knüsel, einer der vier "Kulturinfarkt"-Autoren, sagte in der "Weltwoche", dass er "Institutionen, die weniger als 30 Prozent der Einnahmen selber erwirtschaften", unter die "Lupe nehmen" würde.

Mailath-Pokorny: Diese Autoren wurden der Verantwortungslosigkeit geziehen. Ich schließe mich der Kritik an. Am Ende einer Karriere im Kulturbetrieb zu schreiben, das System sei falsch, halte ich für feige.

STANDARD: Pius Knüsel ist der Direktor der Kulturstiftung Pro Helvetia. Kann man nicht durch Beobachtung klüger werden?

Mailath-Pokorny: Natürlich. Ich käme trotzdem nicht auf die Idee zu sagen: "Sperren wir die Hälfte der Kultureinrichtungen zu, darunter alles, was keinen hohen Eigendeckungsgrad erreicht!" Das ist ja gerade das Wesen öffentlicher Kulturförderung: dass sie auch das unterstützt, was ansonsten keinen Kunden, keinen Markt finden würde. Ja, ich leugne nicht, dass es nicht immer einen restlos effizienten Einsatz der Mittel gibt. Aber im Großen und Ganzen ist die öffentliche Kulturförderung das bestmögliche Investment. Man schafft damit einen enormen gesellschaftlichen Mehrwert.

STANDARD: Das wird von den "Kulturinfarkt"-Autoren nicht bestritten. Sie plädieren nur dafür, Förderungen zu überdenken, um freie Mittel für neue Tendenzen zu haben. Es geht um eine Umverteilung.

Mailath-Pokorny: Für mich ist der Kulturinfarkt ein ideologisches Kind der gesamten neoliberalen Debatte. Mittlerweile schielen wir überall ängstlich auf die ökonomischen Zwänge - und verlieren dabei das, was Europa ausmacht: die kulturelle Vielfalt, eine gewisse Großzügigkeit und die Breite. Ich bin der Meinung: Das Volkstheater z. B. hat nicht die Pflicht, einen immensen Eigendeckungsgrad zu erwirtschaften. Die Finanzierung ist eine öffentliche Aufgabe. Wir müssten die kulturellen Einrichtungen grundfinanzieren. Und was sie zusätzlich einnehmen, ist das Sahnehäubchen.

STANDARD: Volkstheaterdirektor Michael Schottenberg wäre begeistert. Aber das wirkliche Problem ist doch: Auch als gut situierter Bürger bekomme ich, wenn ich ins Theater an der Wien gehe, einen Zuschuss von der Stadt Wien in der Höhe von bis zu 300 Euro.

Mailath-Pokorny: Da sprechen Sie etwas sehr Ernstes an. Das gibt mir als Sozialdemokraten zu denken. Ja, alle müssen für das Theater an der Wien zahlen. Daher sollten auch weit mehr Menschen die Produktionen dort sehen. Gerade in Zeiten, in denen das Geld weniger wird, darf es keine Umverteilung von unten nach oben geben. Die Konsequenz darf aber umgekehrt nicht sein, die Subvention für das Theater an der Wien einzustellen. Sondern wir müssen die Vermittlungsarbeit intensivieren: Dass jüngere Menschen und Menschen aus bildungsfernen Schichten Zugang zur Kultur haben. (Thomas Trenkler, DER STANDARD, 26./27./28.5.2012)