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Der griechische Ex-Finanzminister Evangelos Venizelos zeigt sich empört. Mit ihrer Kritik an der fehlenden Steuermoral in seinem Land habe Christine Lagarde "die Griechen beleidigt". Sie möge doch "überprüfen und überdenken, was sie sagen wollte", forderte er die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) auf. Das ist geradezu putzig. Ein Trickser aus Athen sagt der angesehenen IWF-Chefin in Washington, die Hilfskredite in zweifacher Milliardenhöhe an die Griechen verantwortet, wo's langgeht. Unterstellt, dass sie nicht weiß, was sie spricht.

Man könnte zum Verständnis Venizelos' mildernd anführen, dass er als Pasok-Chef im laufenden Wahlkampf steht und ums nackte politische Überleben kämpft. Seine Partei hat am 6. Mai fast 120 von 160 Mandaten verloren. Aber man muss auch wissen: Der von der Gewerkschaft gestützte Venizelos kann taxfrei als einer der Hauptverantwortlichen des griechischen Euro-Desasters angesehen werden.

In zwei Jahrzehnten einer unseligen Zwei-Parteien-Herrschaft (von Pasok und der konservativen ND seines heutigen Gegenspielers Antonis Samaras) hat er selber nicht weniger als acht Ministerämter bekleidet. Venizelos war es, der vor einem Jahr den Sturz von Giorgos Papandreou als SP-Chef und dann als Premier eingeleitet hat - weil er selber Premierminister werden wollte. Er war es, der Sanierungsvereinbarungen mit IWF und der EU seit einem Jahr in unschöner Regelmäßigkeit nicht eingehalten und sich deshalb im Ecofin schon im Oktober 2011 in Luxemburg böse Wortgefechte mit Deutschlands Wolfgang Schäuble und Österreichs Maria Fekter geliefert hat. Er hat offenbar Probleme vor allem mit jenen, die ihm Milliarden anvertrauen.

Was hat Lagarde also Böses gemacht? Sie hat der griechischen Bevölkerung in einem Interview mit dem britischen Guardian mit harten Worten, ohne diplomatische Verklausulierung gesagt, worum es jetzt geht: Um die schiere Existenz des Landes. "Helft Euch selbst und zahlt endlich Steuern", wurde die IWF-Chefin zitiert.

Sie habe mehr Mitleid mit Kindern in Niger, die keinerlei Chance auf Schulbildung hätten, als mit jenen in Griechenland, deren Eltern schlicht ihre Verantwortung nicht wahrnähmen. Die Griechen sollten sich aber keinerlei Illusionen machen: Weitere Hilfsmilliarden der internationalen Staatengemeinschaft werde es nur geben, wenn das Land sich an Vereinbarungen halte; es werde "keine Sonderbehandlung für Griechenland" geben, so Lagarde.

Deutlicher geht es kaum. Ihr Auftritt erinnert an das, was die österreichische Finanzministerin Maria Fekter vor zehn Tagen am Rande des EU-Finanzministerrates in Brüssel erklärt hatte: Am Sparprogramm führe kein Weg vorbei. Sie wünsche sich, dass Griechenland in der Eurozone bleibe, aber wenn die Griechen das vereinbarte Sanierungsprogramm nicht durchführten, das neben Sparen auch wachstumsfördernde Hilfen und einen Schuldenschnitt vorsah, dann gebe es keine EU-Hilfen mehr.

Und auf die Frage, ob Griechenland aus dem Euro ausscheiden müsse, wenn es säumig sei, zitierte sie den EU-Vertrag: Ein Euroaustritt sei darin nicht vorgesehen. Ein Land könne nur aus der EU austreten, verlöre dadurch aber alle Hilfen - auch die Agrar- und Strukturhilfen. Wollte Griechenland dann wieder EU-Mitglied werden, werde man sich das "ganz genau anschauen". Die Finanzministerin wollte damit, wie sie explizit hinzufügte, darauf hinweisen, "wie ernst die Lage ist".

Ein Sturm der Entrüstung brach los. Fekter wurde - insbesondere in Österreich in Zeitungskommentaren - heftig gescholten. Sie sei unmöglich, ihre undiplomatische Art habe Österreichs Ansehen schwer beschädigt, behauptete ein Kollege im profil, und forderte die Ministerin sogar zum Rücktritt auf. Die Süddeutsche Zeitung berichtete, dass Fekter bei Diplomaten angeblich "Hexe aus dem Süden" verschrien sei.

Ich habe Fekters Argumente damals in einem Blogeintrag verteidigt. Auf Twitter gab es dazu eine lebhafte Debatte unter dem Stichwort "grexit", dem Synonym für den angeblich anstehenden Austritt Griechenlands aus der Eurozone, den der US-Ökonom Paul Krugmann in der New York Times in die Welt setzte. Nun kann ich nachvollziehen, dass es gerade in Österreich einige Ressentiments gegen Fekters Stil gibt, die offensichtlich auf ihre Zeit als Innenministerin zurückgehen.

Aber ich bin nach wie vor der Meinung, dass die österreichische Finanzministerin in der Sache vollkommen Recht hat. Lagarde bestätigt sie jetzt, im Vergleich zu ihr erscheinen Fekters Äußerungen wie die eines „Lamperls".
Aber die Ministerin befindet sich - im Gegensatz zu vielen ihrer Kritiker - eigentlich nur ganz auf dem Boden des EU-Rechts. Dessen einzige Gültigkeit bei der Lösung der Krise wird in den kommenden Wochen eine entscheidende Rolle spielen; bei der Frage, wie man mit Griechenland in Zukunft umgehen soll, was man überhaupt tun kann, ohne die Union als Rechtsgemeinschaft in die Luft zu jagen: Ein Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro wird es auf absehbare Zeit nicht geben, auch wenn die Zahl jener Zeitungsartikel und Experten, die das behaupten, seit Tagen inflationär werden. Darüber später.

Zunächst zurück zu Lagarde (der französischen Ex-Finanzministerin) und Fekter: Es scheint ganz so zu sein, dass hier zwei Frauen im männerdominierten Geschäft der europäischen Finanz- und Währungspolitik die einzigen sind, die mit den Griechen Tacheles reden. Längst überfällig. Worauf soll man denn warten? Es bedeutet in guter aufklärerischer Tradition nichts anderes, als dem Gegenüber reinen Wein einzuschenken, die ungeschminkte Wahrheit zu sagen mit einem klaren Ziel, zum Zweck, dass der betroffene Partner erkennen möge, was zu tun ist. Das ist nach meiner Auffassung knapp drei Wochen vor einer echten Schicksalswahl nicht nur für die Griechen, sondern für alle Europäer nicht zu viel an Zumutung.

Der Grund dafür liegt in der außerordentlich komplizierten Lage, die mit der griechischen Entgleisung als Mitglied der Eurozone für alle Euro- und EU-Staaten entstanden ist, weil der EU-Vertrag so ist wie er ist. Ob wir das wollen oder nicht: Die EU wird für Griechenland weiterzahlen müssen. Die Krise ist beinahe unauflösbar.

Zwar wird seit zwei Wochen immer häufiger behauptet, dass man sich auf einen "Austritt" (manche sagen Ausschluss) der Griechen aus dem Euro vorbereiten müsse (was bis dahin als Szenario von den Spitzen der EU übrigens immer geleugnet wurde). Die Zentralbank in Frankfurt, die EU-Kommission, die Regierungen und die Bankenaufsichten bereiten sich intensiv auf Crash-Szenarien vor.

Aber so brenzlig die Situation auch sein mag: Ich habe bis heute keinen verantwortlichen Europaexperten getroffen, der schlüssig erklären kann, wann, wie, warum, unter welchen Begleitmaßnahmen ein solcher Euroaustritt Griechenlands denn ablaufen soll. Man kann die Griechen nicht einfach "rausschmeißen", wie manche sich das in der Emotion wünschen.

Im Gegenteil: Niemand will sich da festlegen. Ein Botschafter bei der EU räumte dieser Tage zumindest ein, dass man "absolutes Neuland" betreten würde; der EU-Vertrag sehe einen Euroaustritt schlicht und einfach nicht vor. Die Euro-Währungsunion wird darin als „unwiderrufbares" Faktum für alle Beteiligten beschrieben.

Und das von Fekter angesprochene Szenario - ein EU-Austritt Athens - ist in Artikel 50 des Vertrages mit der Reform von Lissabon zwar vorgesehen. Er ist in dieser laufenden Weltwirtschaftskrise jedoch technisch, legistisch und praktisch ein fast unbewältigbare Sache, will man nicht einen Zusammenbruch der Banken und eine schwere Beschädigung der Union riskieren. Alles müsste im Detail neu ausgehandelt werden, die Folgen für die Agrarpolitik, für die Strukturförderungen in der gesamten Union. Ein Horrorszenario vor allem für die Nettozahlerländer wie Österreich und Deutschland.

Vor allem: Die Griechen müssten ihren Austritt aus der EU selber beantragen. Warum sollten sie das tun? Es wäre das eine freiwillige Selbstaufgabe, der selbst herbeigeführte Fall auf Entwicklungsniveau, was den Wohlstand betrifft auf die Ebene der schwächsten EU-Länder wie Bulgarien oder Lettland. Wer sollte so etwas freiwillig herbeiführen, 30 Jahre nach dem EU-Beitritt? Um sich dann in 20 Jahren erneut um einen EU-Beitritt zu bemühen?

Es gäbe auch noch Artikel 7 des EU-Vertrages, der die Möglichkeit eines Ausschlusses aus der Union vorsieht, wenn ein Land gegen die Grundwerte verstößt.

Nichteinhaltung von Verträgen gehört da sicher dazu. Aber ein Ausschluss müsste nach einem sehr komplexen Verfahren von Kommission, Rat und EU-Parlament schrittweise erfolgen, am Ende mit einem einstimmigen Beschluss der 26 EU-Staaten. Praktisch unerreichbar.

Ich bleibe daher vorläufig bei meiner vor zwei Wochen geäußerten Haltung: Griechenland wird auch nach der Wahl am 17. Juni sowohl im Euro wie auch in der EU bleiben und ein schwieriger Patient dazu. Und die EU (und wohl auch der IWF) wird bereit sein, mit Athen bzw. der Regierung, die sich nach der Wahl hoffentlich bilden wird, über soziale Erleichterungen zu verhandeln, ohne dass der Sanierungsvertrag als solcher in Frage gestellt wird. Lagarde und Fekter haben ihr möglichstes getan deutlich zu machen, worum es geht, dass die von vielen Populisten angedeuteten Flucht- oder Rausschmissszenarien eigentlich nicht gehen. Dafür sollten wir ihnen eigentlich dankbar sein.

Das gilt übrigens auch für den Fall, dass der Linkspopulist Alexis Tsipras die Wahl gewinnt und Premierminister wird. Einmal im Amt, wird er sein großmäulig angekündigtes Aufkündigen des Hilfspaketes mit dem IWF und der EU wieder zurücknehmen, wird verhandeln wollen, wird sich das eine oder andere Zugeständnis herausholen - und das zu Hause als großen Erfolg darstellen. Warum sollte er sein Land und sich selber in die Luft sprengen, nachdem er sein Ziel, an die Macht zu kommen, erreicht hat. Er wird es, wenn man so will, genauso machen, wie es einst Jörg Haider oder dessen Nachfolger Dörfer mit den Zentralstellen in Wien gemacht haben. Die Zentrale ist in diesem Fall die EU-Institutionen und die Regierungen der Partnerländer.