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Nicht jeder soll in Österreich die Top-Universitäten besuchen können: "Es muss klar sein, dass nicht jeder nach Harvard gehen kann. Die Uni Wien ist in Österreich die beste Forschungsuniversität. Es braucht eine institutionelle Differenzierung im Tertiärbereich", sagt Elke Park.

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Hans Pechar: "Im deutschsprachigen Raum haben wir in der frühen Phase der akademischen Karriere eine sehr starke Insider-Orientierung. Ich würde mir wünschen, dass die Insider-Orientierung in der frühen Phase der Karriere durchbrochen wird."

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"Der Konkurrenzdruck hat zugenommen." Elke Park und Hans Pechar von der Universität Klagenfurt haben die Unterschiede akademischer Karriereverläufe in zwölf europäischen Ländern untersucht. Vor allem eines macht die Studie deutlich: Gerade im deutschsprachigen Raum wird der Einstieg für Jungakademiker in den Wissenschaftsbetrieb immer härter. "Das System ist so stark angewachsen und es sind viel mehr Mitbewerber am Markt. Es hat an Komplexität gewonnen", sagt Pechar. "Man muss auch immer mehr zu einem PR-Manager in eigener Sache werden. Alleine das Forschungsinteresse reicht nicht", so Park.

Weshalb die Zahl der Plagiate im Steigen begriffen ist und warum Österreich Studiengebühren und ein differenziertes Hochschulsystem braucht, sagen die Hochschulforscher im Interview mit derStandard.at.

derStandard.at: Würden Sie einem jungen Menschen heute noch empfehlen, in die Wissenschaft zu gehen?

Pechar: Menschen, die auf solche Empfehlungen warten, sollten nicht in die Wissenschaft gehen. Jemand, der sich für die wissenschaftliche Karriere eignet, hat eine intrinsische Motivation, so dass er die offenkundigen Mängel und Schwierigkeiten, die es derzeit im System gibt, in Kauf nimmt. Das ändert aber nichts daran, dass es ernste Probleme gibt.

Park: Ich glaube, es ist disziplinär sehr unterschiedlich. In den Natur- und Technikwissenschaften ist es etwas ganz anderes als in den Sozial- und Geisteswissenschaften. Bei Letzteren würde ich schon sagen, dass man sich derzeit nicht darauf verlassen kann, in der Wissenschaft bleiben zu können, sondern sich tunlichst andere Optionen offenhalten sollte.

Entscheidend sind offensichtlich auch Persönlichkeitsmerkmale. Leute, die das Gefühl haben, besonders gut im Leben zu stehen, eine besonders große Kontrolle über ihr Leben zu haben, entscheiden sich eher für diese Hochrisiko-Karriere. Das hat eine soeben vorgestellte Studie aus Deutschland ergeben.

derStandard.at: Was macht einen guten Wissenschaftler sonst noch aus?

Park: Das Allererste ist ein großes Interesse an dem, was man tut. Wenn einem das Freude macht, ist das die Grundvoraussetzung für eine wissenschaftlichen Karriere. In unseren Interviews haben wir allerdings auch oft gehört, dass man auch immer mehr zu einem PR-Manager in eigener Sache werden muss. Dazu gehört, sich verkaufen zu können, zu wissen, welche Networking-Strategien man aufnimmt. Alleine das Forschungsinteresse reicht nicht.

Pechar: Akademische Karrieren sind in manchen Bereichen risikoreicher geworden, als sie es vor 100 Jahren waren. Das System ist so stark angewachsen und es sind viel mehr Mitbewerber am Markt. Es hat an Komplexität gewonnen und der Konkurrenzdruck hat zugenommen.

Landhockey ist in Österreich kein sehr verbreiteter Sport. Wenn man sportlich gut ist und sich für diese Sportart entscheidet, hat man gute Chancen, in einer der guten Mannschaften spielen zu können. Bei Fußball ist das schon schwieriger - auch wenn man die Chancen im Fußball mit der Situation vor 80 Jahren vergleicht. Es sind heute einfach sehr viel mehr Akteure im Feld.

derStandard.at: Welche besonderen Merkmale haben wissenschaftliche Karrieren im deutschsprachigen Raum? 

Pechar: Der Risikofaktor ist in den deutschsprachigen Systemen besonders hoch. Sehr knapp und pointiert kann man sagen: Die Nachwuchsphase dauert viel länger als in anderen Ländern. Sie beginnt früher und endet später.

derStandard.at: Wie sieht ein typischer Verlauf einer wissenschaftlichen Karriere aus?

Park: Wir befinden uns derzeit in einer Umbruchsituation. Alte Strukturen werden gerade von neueren abgelöst. Ein typisches Karrieremuster gibt es derzeit nicht. Was aber immer typischer wird, ist ein bestimmter Karriereanfang, nämlich über externe Projekte. Hier wird eine Armee von Akademikern großgezogen, die höchstwahrscheinlich keine herkömmliche Stelle an Universitäten finden kann. Dadurch werden viel mehr Wissenschaftler in den universitätsnahen Raum gebracht. Von denen können sich dann aber natürlich nicht alle auf universitätsfinanzierten Posten wiederfinden.

Pechar: Es beginnt ja schon beim Begriff Nachwuchs. In Nordamerika würde niemand von "academic offspring" sprechen. Das ist schon ein atmosphärisches Indiz. Nachwuchs zu sein dauert bei uns bis ins vierte, manchmal bis ins fünfte Lebensjahrzehnt.

Andererseits werden Doktoranden bei uns bereits als akademischer Nachwuchs betrachtet. Die Gewerkschaft will das auch so. Das ist in Nordamerika völlig unüblich, das sind PhD-Students.

derStandard.at: Auch hinsichtlich der Mobilität gibt es Unterschiede zwischen dem deutschsprachigen und dem angloamerikanischen Raum.

Pechar: In den USA gibt es einen Mobilitätszwang, der beugt der akademischen Inzucht vor. Insofern ist es gut, einen Zwang zu haben, sich in einem anderen Umfeld als dem gewohnten zu bewähren. Man soll aus den quasi familiären Netzwerken raus. Man soll raus aus dem Umkreis des Mentors. Im deutschsprachigen Raum haben wir in der frühen Phase der akademischen Karriere eine sehr starke Insider-Orientierung. In den USA oder Kanada macht man den PhD, und dann muss man weg. Unter Umständen wird man wieder an die Universität zurückgeholt, aber zunächst muss man weg.

derStandard.at: Sie fordern also, dass die österreichischen Jungwissenschaftler auch schon früher andere Unis kennenlernen?

Pechar: Ich würde mir wünschen, dass die Insider-Orientierung in der frühen Phase der Karriere durchbrochen wird. Danach sollte es ein durchgängiges Laufbahnschema geben und es sollte - wie in Nordamerika - jeder Person frei sein, zu bleiben oder zu wechseln. Bei den Kompetitivsten ist die Wahrscheinlichkeit der Mobilität am größten. Das ist wie bei den Superstars in den Fußballklubs. 

Park: Mit 40 ist es schwerer, noch einmal alles ins Ausland zu bewegen, als mit 30. Die Unsicherheit ist schwieriger zu ertragen.

derStandard.at: Man hört immer wieder, dass die Tätigkeit in der Lehre nicht so viel weiterhilft wie Publikationen. Was kann man dagegen tun?

Pechar: Forschungsexzellenz ist das knappere Gut. An Forschungsuniversitäten - und das ist überall so - muss man sich wissenschaftlich auszeichnen, also publizieren. Es gibt in den USA auch Institutionen, die einen starken Fokus auf Lehre haben. Aber bei uns ist es sehr klar, dass die Publikation zählt. Das hat sich in letzter Zeit noch verstärkt mit dem Bestreben einiger Universitäten, sich als international sichtbare Forschungsuniversitäten zu profilieren. Die Uni Wien scheint am stärksten in diese Richtung unterwegs zu sein. Dann steht das akademische Personal verstärkt unter Dauerbeobachtung und Evaluierung.

derStandard.at: Wie viel verdient man als Jungwissenschaftler?

Pechar: Das ist von Land zu Land unterschiedlich. Man kann auch keine eindeutige Antwort geben, was man in Österreich beim Einstieg verdient. Es gibt zwar einen Kollektivvertrag, aber der legt nur Mindestgehälter fest. 

Früher hat ein Professor einer medizinischen Fakultät gleich viel verdient wie ein Germanist. Mit dem Unterschied, dass der Mediziner unter Umständen noch Primararzt war. Mittlerweile gehen die Gehälter auch zwischen den Disziplinen auseinander. In einigen Ländern gibt es mittlerweile auch ein richtiges Starsystem. Wieder der Vergleich zum Fußball: Auch dort hat die Einkommensspreizung stark zugenommen.

Park: Was man auch sagen muss: Viele Jungakademiker müssen sich ihr Dasein, ihre Gelder aus Lehraufträgen, Kurzprojekten zusammenschustern, um irgendwie über die Runden zu kommen.

derStandard.at: In den letzten Jahren und Monaten hat sich die Diskussion über Plagiate verschärft. Wie geht die Wissenschaft damit um?

Pechar: In Deutschland ist gerade Frau Schavan (Bildungsministerin, Anm.) im Fokus der Kritik, und es wird sicherlich noch weitere Fälle geben. Wer in der öffentlichen Aufmerksamkeit steht, muss damit rechnen. Das Regelwerk hat sich stark verändert. Die Standards haben sich verschärft. Auch der Wettbewerbsdruck ist größer geworden. Man muss schneller als früher Ergebnisse liefern. Es ist nicht immer klar, ob man bewusst fälscht oder dem eigenem Wunschdenken erliegt. So wie ein Bergsteiger gesagt hat: Subjektiv war ich am 8.000er.

derStandard.at: Wie kann man dem vorbeugen?

Park: Die Problematik hat sich natürlich auch durch die neuen Medien ergeben, die Inhalte sind für jeden verfügbar.

derStandard.at: Es werden derzeit heftige öffentliche Diskussionen über Stüdiengebühren geführt - wie wirkt sich das auf wissenschaftliche Karrieren aus? Inwieweit schadet es der Wissenschaft?

Pechar: Für eine gute Finanzierung einer Universität sind Studiengebühren kein riesiger, aber ein bedeutender Teil. Kein Teil jedenfalls, den man vernachlässigen sollte. Selbst die geringen Studiengebühren, die wir bis 2008 hatten - mit 700 Euro pro Jahr -, haben einen wichtigen Teil im Lehrbudget ausgemacht. Aus meiner Sicht wäre es notwendig gewesen, sukzessive die Gebühren zu erhöhen und sie gleichzeitig sozial abzufedern. Solche Ungerechtigkeiten, dass die berufstätigen Studenten genauso viel zahlen müssen, gehören weg.

Park: Ich bin grundsätzlich für einen freien Zugang zu Bildung, auch zu höherer Bildung. Ich halte das für unumgänglich. Allerdings muss klar sein, dass nicht jeder nach Harvard gehen kann. Die Uni Wien ist in Österreich die beste Forschungsuniversität. Es braucht eine institutionelle Differenzierung im Tertiärbereich. Das ist das Um und Auf. Jeder soll seinen Fähigkeiten und Möglichkeiten gemäß gefördert werden. Derzeit kann jeder an die Uni, der nicht auf der FH genommen wurde.

Pechar: Nur Fantasten glauben, dass es keine Abstufungen gibt. Die Verteidiger des offenen Hochschulzugangs führen immer die geringe Akademikerquote ins Treffen. Aber gerade die Länder mit hoher Akademikerquote haben zugleich stark differenzierte Systeme. Das gilt auch für Schweden, ein besonders egalitäres Land. Nicht jeder, der will, kann nach Uppsala. Es gibt Aufnahmeverfahren.

derStandard.at: Um bei den Studiengebühren zu bleiben: Momentan befinden wir uns gewissermaßen in einer rechtsleeren Situation. Senate stimmen über die Einführung autonomer Studiengebühren ab. Was sagen Sie dazu?

Pechar: Wenn es eine so starke ideologische Polarisierung gibt und keinen pragmatischen Zugang zu diesem Thema, dann wird die Regierung leicht arbeitsunfähig. Zumindest wird das Höchstgericht eine Entscheidung treffen. Wenn der VfGH entscheidet, die Unis dürfen keine Gebühren einheben, dann werden sie finanziell weiterhin dahindümpeln. Vielleicht setzt sich aber Frau Burgstaller (Landeshauptfrau Salzburgs, Anm.) am nächsten Parteitag durch und die SPÖ erkennt, dass man nicht drei Dinge kombinieren kann: geringe öffentliche Finanzierung, keine Studiengebühren und offener Zugang. (Rosa Winkler-Hermaden, derStandard.at, 30.5.2012)