Wird Griechenland zur Tourismusfalle?

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Griechenland braucht die Urlauber: 18 Prozent des Bruttosozialprodukts kommen aus dem Tourismus, jeder fünfte Arbeitsplatz im Land hängt davon ab. Doch angesichts der Spekulationen über einen Austritt des Krisenlandes aus der Eurozone sind Touristen verunsichert. Sollen sie das Urlaubsbudget in cash mitnehmen? Wer haftet bei Streiks, wer bei Flugausfällen und wer, wenn das gebuchte Hotel bankrottgeht? Der Berliner Rechtsanwalt und Tourismusexperte Wilhelm Meyer gibt im Interview mit derStandard.at Tipps und klärt die Sachverhalte.

derStandard.at: Seit Monaten kommt es in Griechenland zu teils gewaltsamen sozialen Unruhen. Sollten diese mein Reiseziel erreichen - könnte ich von meinem Vertrag zurücktreten?

Meyer: Vorweg: Die Rechtslage im Reiserecht ist in Österreich und Deutschland weitgehend identisch. Ob ich wegen Beeinträchtigungen am Urlaubsort vom Vertrag zurücktreten kann, hängt davon ab, ob die sozialen Unruhen bei der Urlaubsbuchung schon bekannt waren. Bucht heute, wo fast jeden Tag Bilder von Demonstrationen in Griechenland über den Fernseher flimmern, jemand eine Reise nach Athen, kann man davon ausgehen, dass der Kunde über die Situation im Land Bescheid wusste. Wenn also während seiner Urlaubszeit soziale Unruhen auftreten, kann er nicht vom Vertrag zurücktreten. Die österreichische Rechtsprechung ist in diesem Fall verbraucherfreundlicher, der Argumentationsspielraum breiter als der deutsche: Der Kunde könnte sich darauf berufen, dass Ausschreitungen in einem solchen Ausmaß nicht zu erwarten waren. Das Recht zu stornieren hat man immer. Doch das kostet Geld.

derStandard.at: Was passiert, wenn die Griechen aus dem Euro austreten und die Drachme wieder einführen?

Meyer: Gilt in einer Urlaubsdestination plötzlich eine andere Währung, ist der Urlaub an sich nicht beeinträchtigt. Natürlich wird ein Wechsel der Währung ziemlich sicher Auswirkungen auf den Reisepreis haben. Sollte eine Verteuerung eintreten, werden die Reiseveranstalter diese bis zu einer Höhe von fünf Prozent auf den Kunden überwälzen. Diese Möglichkeit, nachträglich den Reisepreis durch eine einseitige Erklärung zu erhöhen, ist zwar verblüffend, aber rechtlich verankert. Wird es um mehr als fünf Prozent teurer, hat der Kunde die Möglichkeit, kostenlos vom Vertrag zurückzutreten. Die Kündigung muss allerdings mindestens drei Wochen vor Urlaubsantritt erfolgen. Treten die Griechen kurzfristiger als innerhalb dieser drei Wochen aus dem Euro aus, hat die Veranstalterseite keine Möglichkeit mehr, die Preiserhöhung an den Kunden weiterzugeben.

Bei einer Währungsumstellung ist aber eher eine Preissenkung zu erwarten. Auch hier sieht die Rechtsprechung vor, dass diese an den Verbraucher weitergereicht werden muss und der Kunde einen Teil seines bereits gezahlten Geldes zurückerhält.

derStandard.at: Bislang sprachen wir von Pauschalreisen. Wie sieht es bei Individualreisen aus?

Meyer: Wenn der Kunde Pech hat, gibt der Carrier nach seinen Beförderungsbedingungen überraschende Kursschwankungen, sprich Preissteigerungen, an ihn weiter. Wer kennt nicht die Kerosinzuschläge, denen man mehr oder weniger hilflos ausgeliefert ist. Kein Mensch prozessiert wegen zehn, 20 oder 50 Euro Mehrkosten. Die Leute zahlen widerspruchslos - wenn auch zähneknirschend. Hier könnten höchstens die Verbraucherzentralen tätig werden, was zumindest in Deutschland noch nicht passiert ist.

derStandard.at: Angenommen, ein Individualtourist bucht ein Hotel. Bei Reiseantritt ist es bankrott. Was tun?

Meyer: In diesem Fall hat der Kunde einen Beherbergungsvertrag mit einem griechischen Hotel geschlossen. Für diesen Vertrag gilt griechisches Recht. Einer der großen Vorteile der Pauschalreise ist, dass das Heimatrecht in den Urlaub gewissermaßen mitreist und der Konflikt nach inländischem Recht des Urlaubers geregelt wird. Diesen Vorteil verliert man, wenn man individuell bucht. Eine gerichtliche Auseinandersetzung halte ich in diesem Fall für nahezu völlig aussichtslos.

Der griechische Hotelier wird dem Kunden keinen Cent zurückzahlen - selbst dann nicht, wenn er eigene Kostenvorteile hat. Mit anderen Worten: Geht ein von Individalreisenden gebuchtes Hotel nach einer Anzahlung bankrott, ist das Geld weg oder man reiht sich in die Schlange der Insolvenzgläubiger für eine Quote von etwa 7,5 Prozent ein. Die Pauschalreise hingegen bietet eine Insolvenzabsicherung, die zumindest das Reisegeld zurückerstattet.

derStandard.at: Der Reiseveranstalter TUI rät Urlaubern mittlerweile dazu, Bargeld in das klamme Land mitzunehmen.

Meyer: Aus dem Bauch heraus würde ich dazu raten, diese Empfehlung ernst zu nehmen. Selbst bei einem Ausstieg Griechenlands aus dem Euro würde ich keine Drachmen kaufen, sondern bei soliden harten Währungen wie Dollar oder Euro bleiben. Wenn die inländische Währung schwach und flatterhaft wird, bilden sich blitzartig Ersatzwährungen. Man kann darauf kalkulieren, dass der Euro, möglicherweise auch der Dollar akzeptiert werden würde.

derStandard.at: Im Vorjahr war Urlaubszeit gleich Streikzeit. Heuer wird es wohl ähnlich aussehen. Ein Grund, doch noch umzubuchen?

Meyer: Es ist heute sehr unklar, ob die Urlaubsleistung überhaupt erbracht werden kann. Menschen, die weniger flexibel sind, rate ich, sich an ihren Reiseveranstalter zu wenden und umzubuchen. In den letzten Jahren hat sich immer mehr gezeigt, dass die Reiseveranstalter in der Praxis gerne bereit sind, Umbuchungen vorzunehmen. Einerseits schlagen sie eine Umbuchungsgebühr drauf, andererseits sind sie froh, dass sie sich keine komplette Kündigung aufhalsen.

derStandard.at: Nehmen wir Fluglotsenstreiks. Wie lange davor müssen diese bekannt sein?

Meyer: Von der deutschen und der österreichischen Rechtsprechung her gilt der Fluglotsenstreik bei Pauschalreisen als höhere Gewalt. Das heißt, will der Kunde morgen losfliegen und erfährt heute, dass die Fluglotsen drei Tage lang streiken, kann er sofort seinen Vertrag kündigen. Das Kündigungsrecht gilt bis zum Reiseantritt: Der Kunde fliegt nicht und bekommt sein gesamtes Geld zurück. Das Risiko trägt in diesem Fall der Veranstalter. Die Beeinträchtigung der Reise muss allerdings erheblich sein. Eine Verzögerung des Abflugs um fünf Stunden beispielsweise gilt als unerheblich. Bei einer individuell gebuchten Reise erhält der Kunde zwar unter denselben Umständen den Flugpreis vom Carrier, nicht aber eventuell bereits bezahlte Hotelkosten zurückerstattet.

derStandard.at: Was, wenn der Urlauber aufgrund von Flugstreiks nicht rechtzeitig aus dem Urlaub zurückkommt und die ersten Arbeitstage verpasst?

Meyer: Komme ich im Rahmen einer Pauschalreise zu spät zurück und kann den Veranstalter dafür verantwortlich machen, muss dieser Schadenersatz oder Entschädigung für Verdienstentfall zahlen. Bei einem Fluglotsenstreik ist der Veranstalter allerdings nicht verantwortlich. Anders verhält es sich, wenn das Flughafenpersonal, die Bodenabfertigung oder der Tower am Flughafen streiken. Da es sich dabei um eine vertragliche Leistung des Luftfahrtunternehmens handelt, ist der Veranstalter verantwortlich und muss die finanziellen Folgen auch tragen. In Österreich ist selbiges im Verbraucherschutzgesetz geregelt.

derStandard.at: Tipps für Griechenlandurlauber?

Meyer: Aus rechtlicher Sicht würde ich sagen, dass man sich darauf einstellen muss, dass es zu sozialen Unruhen kommen kann, dass es möglicherweise Streiks gibt. Allerdings würde ich mich davon nicht abschrecken lassen, sind die Griechen doch äußerst freundliche und improvisationsfreudige Menschen. (Sigrid Schamall, derStandard.at, 30.5.2012)