
Max Otte: "Natürlich passiert Schreckliches in diesem Land, das will ich gar nicht bagatellisieren. Doch auf der anderen Seite geht es der Bevölkerung noch ganz gut, weil die EU-Hilfszahlungen immer noch fließen."
Verlässt Griechenland den Euro, wäre das Land mit einem Schlag zahlungsunfähig. Das sei zwar einige Zeit hart, aber mittel- und langfristig die einzige Chance für Griechenland wieder wettbewerbsfähig zu werden, meint Krisen-Ökonom Max Otte im Interview mit derStandard.at. Die Rückkehr zur Drachme soll tunlichst übers Wochenende vollzogen und die Griechen vor vollendete Tatsachen gestellt werden, nur so könne der"Infektionsherd" der Eurozone gesunden.
derStandard.at: Bereits im April 2010, wenige Wochen bevor der Euro-Rettungsschirm beschlossen wurde, forderten Sie die Südländer auf, die Eurozone zu verlassen. Heute erleben wir eine heftige Diskussion, ob Griechenland zur Drachme zurückkehren soll. Wie realistisch ist ein solcher Schritt?
Otte: So ein Schritt ist durchaus realistisch und recht einfach zu managen. Die Wahrscheinlichkeit allerdings, dass sich die Politiker dazu durchringen, schätze ich nicht besonders hoch ein. Selbst wenn die Linksparteien bei den Wahlen im Juni an die Macht kommen, wird die Europäische Union jedes Feigenblatt, jedes kleinste Zugeständnis nutzen, um Griechenland im Euro zu halten. Die Furcht der Euro-Elite vor einem kollektiven Gesichtsverlust bei einem Griechenland-Exit ist zu groß.
derStandard.at: Von griechischer Seite wird es wohl eher schwammige Zugeständnisse geben.
Otte: Richtig, wie vieles in der Vergangenheit. Es reicht wahrscheinlich schon, dass Tsipras (Chef der griechischen Linkspartei, Anm.) einige Reförmchen und Sparversuche vorschlägt - nach der Wahl wird doch nicht so heiß gegessen wie vor der Wahl gekocht. Es ist also durchaus möglich, dass sich die Eurozonen-Politiker wieder an einen Tisch setzen und sich annähern.
derStandard.at: Spinnen wir den Gedanken einer Rückkehr zur Drachme weiter. Wie würde das Prozedere aussehen?
Otte: Idealerweise müsste eine Umstellung an einem Freitag nach Börsenschluss bekanntgegeben werden. Bis Montagfrüh sollten dann vollendete Tatsachen geschaffen worden sein. Das heißt, übers Wochenende müssten politische Rahmenbedingungen wie beispielsweise Inflations- oder Haushaltsziel definiert und neue Banknoten und Münzen bestellt werden. Davor ginge das unmöglich, denn die Presse würde sehr schnell davon Wind bekommen. Idealerweise müsste eine kleine Gruppe von vier oder fünf Leuten die Aktion vollkommen unter sich und von der Außenwelt abgeschirmt vorbereiten, wie dies auch bei der deutschen Währungsreform 1948 der Fall war. Am Montag würden dann die Bankkonten 1:1 umgestellt sein.
derStandard.at: Das heißt, die Banken geben nur noch Euro-Banknoten mit einem Drachme-Stempel aus?
Otte: Genau. Darüber hinaus braucht es Kapitalverkehrskontrollen auf die Konten, was allerdings so schlimm nicht ist, denn die intelligenten bzw. reichen Griechen haben ihr Kapital so und so schon aus dem Land geschafft.
derStandard.at: Werden die sozialen Unruhen dadurch nicht noch mehr zunehmen?
Otte: Was kann daran noch schlimmer werden? Das Gegenteil wird eintreten! Ich zitiere in diesem Zusammenhang gerne Edmund Burke. Der große irische Theoretiker der Revolution (seine Gedanken über die Französische Revolution gelten als Grundsatzpapier des Konservatismus, Anm.) schrieb Anfang des 19. Jahrhunderts: "Revolution findet immer dann statt, wenn es den Menschen wieder etwas besser geht, davor haben sie weder Zeit noch Energie."
derStandard.at: Das heißt, Ihrer Meinung nach geht es der griechischen Bevölkerung schon wieder besser?
Otte: Natürlich passiert Schreckliches in diesem Land, das will ich gar nicht bagatellisieren. Doch auf der anderen Seite geht es der Bevölkerung noch ganz gut, weil die EU-Hilfszahlungen immer noch fließen.
derStandard.at: Mit der Rückkehr zur Drachme wäre Griechenland mit einem Schlag zahlungsunfähig. Was wären die mittelfristigen Folgen?
Otte: Kurz- und mittelfristig wird es für Griechenland so oder so hart - ob dies nun unter dem Diktat der EU geschieht, was zu Recht nicht akzeptiert wird, oder mit der eigenen Währung. In letzterem Fall würde die Drachme natürlich massiv abwerten und die Importe dadurch deutlich teurer werden, was wiederum ein Subventionsprogramm für die eigene Landwirtschaft bedeuten würde. Die Griechen müssten sich einschränken - man denke nur an die extremen realen Lohnerhöhungen der letzten zehn Jahre, welche nun ein Stück weit zurückgedreht werden müssten. Natürlich wird es Opfer geben und auch Importsubstitutionen - doch das ist gewünscht, denn irgendwann muss sich die Zahlungsbilanz wieder normalisieren, was mit der Drachme etwas demokratischer geschieht als mit dem Euro.
derStandard.at: Und langfristig?
Otte: Langfristig gesehen ist ein Austritt überaus positiv, denn nur so kann Griechenland seine Wettbewerbsfähigkeit im Tourismus und im Agrarbereich wiedergewinnen. Das heißt, in drei bis fünf Jahren werden sich die positiven Seiten bemerkbar machen. Schauen wir uns Russland an: 1998 litt das Land unter einer Zahlungsbilanzkrise, heute ist es weitgehend gesund.
derStandard.at: Was halten Sie von der Einführung einer Parallelwährung wie dem "Geuro"?
Otte: Natürlich ist der "Geuro" eine gangbare Alternative, aber ich halte sie für nicht notwendig, weil sie die Sache nur verkompliziert. Eine Zweitwährung wäre auch nichts Neues. Etwas Ähnliches haben wir bereits Mitte des 19. Jahrhunderts in der Lateinischen Münzunion gesehen. Silbergeld wurde vorwiegend für die Transaktionen im Land, Gold für internationale Transaktionen verwendet.
derStandard.at: Geschätzte 22,5 Milliarden Euro sind derzeit in Griechenland im Umlauf. Das wären laut Experten angesichts des niedrigen Kurswertes 800 Millionen Drachmen-Geldscheine. In welchem Zeitraum wäre das machbar?
Otte: Die Kapazität ist kein Problem. Ich denke, in drei bis sechs Monaten wäre die Landeswährung in Umlauf.
derStandard.at: So wie Ihr Investmentvorbild Warren Buffett verdienten auch Sie Ihr erstes Geld mit dem Austragen von Zeitungen. Buffett sagt heute, er wisse nicht, wo Europa in zwei, drei Jahren stehe. Stimmen Sie dem zu?
Otte: Ja, wenn wir Griechenland nicht aus dem Euro lassen, horten wir einen Infektionsherd, in den wir weiter große Geldmengen schießen müssen. Außerdem glaube ich nicht, dass die Politik im jetzigen Euroregime es schafft, die zugrunde liegenden Ungleichgewichte zu bereinigen.
derStandard.at: Wie sähe ein "Maya-Kalender" für die Eurozone aus?
Otte: Der Verbleib Griechenlands in der Eurozone ist auf jeden Fall schlecht für den Euro. Einige Zeit können wir das Land noch mittragen - so lange wird der Kredit Österreichs, Deutschlands oder Hollands noch reichen. Es könnten noch weitere Schulden gestrichen oder Gelder nachgeschaufelt werden - ein Chaos, von dem vor allem die Banken profitieren. Tritt dieses Szenario ein, werden sich die Ungleichgewichte in Europa noch verstärken und wir stehen vielleicht in zwei, drei Jahren vor einem Problem, das wir nicht mehr lösen können: Die Südländer bekommen ihre Wettbewerbsfähigkeit nicht mehr in den Griff und die Salden werden so weit angewachsen sein, dass irgendwann auch die Schuldfähigkeit, die Bonität von Deutschland oder Österreich leidet.
derStandard.at: Die ökonomische Katastrophe?
Otte: Richtig. Je früher Griechenland aus dem Euro austritt, desto früher hat die Eurozone eine Chance auf Gesundung. (Sigrid Schamall, derStandard.at, 31.5.2012)