Er war ein Meilenstein in der Mobilisierung der Republik: der ÖBB-Triebwagenzug der Reihe 4010, genannt Transalpin II. Mehr als 40 Jahre lang ließen sich Passagiere in den Schnellzügen mit der charakteristischen saphirblau-elfenbeinfarbenen Lackierung in die Ferne expedieren – und mochte die Ferne gegen Ende der Ära Transalpin bloß in Hötzelsdorf-Geras liegen.

Doch mit der ersten Ausfahrt im Jahr 1964 markierte die Baureihe den Beginn einer neuen Epoche im Bahnverkehr, einer neuen Klasse des stilvollen Unterwegsseins. Zugleich – und das war wohl das größte Verdienst seiner Erfinder – demokratisierte der 4010 das schnelle Reisen: So bot der Transalpin nicht nur wie bei internationalen Fernreisezügen jener Tage üblich Erste-Klasse-Abteile, sondern auch Plätze fürs gemeine Volk in einer zweiten Klasse. Selbiges kam in den Genuss eines Speisewagens wie auch eines feudalen Platzangebots – all das war Mitte der 1960er Jahre frivoler Luxus.

Transalpin II: Eine neue Ära des Reisens, bereit zur Abfahrt im Bahnhof Basel.
Foto: Sammlung Werner Prokop

Für seine Passagiere war der Transalpin II so etwas wie der öffentlich subventionierte Umstieg von VW Käfer auf Mercedes S-Klasse. Für seine Fans war und ist der 4010er nichts weniger als eine Legende auf Schienen – ein Glücksfall, der vor 50 Jahren mit der Entscheidung des ÖBB-Vorstands für ein richtungsweisendes Design nachgerade erzwungen wurde.

Die klassisch-elegante Linienführung hatte der 4010er einem Meister seines Fachs zu verdanken: dem verhinderten Automechaniker und gescheiterten Rauchfangkehrer Johann Benda. Der Wiener, Jahrgang 1919, hatte nicht mehr als eine abgeschlossene Kunsttischlerlehre und eine kleine Lüge – er gab sich als technischer Zeichner aus – vorzuweisen, als er bei dem Eisenbahnbauer Simmering-Graz-Pauker wegen einer Stelle im Planungsbüro vorsprach. Der Autodidakt bekam den Job – und diente sich in den 50er Jahren zu einem gefragten Formgeber hoch. Benda war kein Visionär, sondern ein Pragmatiker mit einem untrüglichen Gespür für Proportionen, der Praxistauglichkeit stets über gestalterisches Chichi setzte.

Ex-Kunsttischler Johann Benda mit einer seiner Skizzen für den 4010.
Foto: Sammlung Werner Prokop

Als die Bundesbahnen Anfang der 1960er einen Nachfolger für den technisch veralteten Transalpin I – der nicht mehr als ein aufgebohrter Nahverkehrs-Triebwagen war – suchen, wird ausgerechnet der Selfmade-Designer Benda mit der Außen- wie auch der Innengestaltung der Garnitur betraut. Die sollte nicht nur wie der Vorgänger die Prestigestrecke Wien-West – Basel-SBB bedienen, sondern auch den internationalen Luxuszügen des Trans-Europ-Express-Netzwerks (TEE) eine österreichische Antwort entgegensetzen. Vor allem aber gedachten die Bahn-Chefs mit dem Transalpin II ein Marketing-Vehikel auf die Gleise zu setzen, das die ästhetische und technische Kompetenz der Alpenrepublik in die Welt hinaustragen sollte.

Im Jahr 1962 taucht der Name Transalpin erstmals in Bendas Arbeitsbuch auf.
Foto: Sammlung Werner Prokop

Im Werk Wien-Simmering brütete Johann Benda fortan über dem gleichermaßen perfekten wie zweckmäßigen Auftritt des Transalpin II. 16 Skizzen fertigte der Tüftler an, rasch wurden allzu exaltierte Vorbilder wie die Kugelkopfform italienischer Express-Triebwagen ausgesiebt. Länger experimentierte der 42-Jährige hingegen mit einem breiten Wulst an der Stirnseite des Zuges.

Typisch für Benda stand dabei ein ästhetisches Leitmotiv völlig im Hintergrund – er dachte vielmehr an die Lokführer, deren Führerstand mit der Riesenbraue optimal beschattet werden sollte. Der eigenwillige Wulstkopf blieb dennoch in der Schublade. Als sich 1962 die ÖBB-Granden versammelten, um aus Bendas Skizzenbuch eine Grundform auszuwählen, einigte man sich rasch auf die Zeichnung mit der Nummer neun: eine dezent zukunftsweisende, markante, vor allem aber zeitlos schöne Silhouette.

Skizze Nummer neun: Selbsterklärende Eleganz trifft auf hohen Nutzwert.
Foto: Sammlung Werner Prokop

Während in Wien an Exterieur als auch Interieur gearbeitet wurde, werkten im Grazer Simmering-Graz-Pauker-Werk die Ingenieure rund um Projektleiter Waldemar Jud am technischen Unterbau des Transalpin II. Komfort, Laufruhe und Robustheit standen in der Steiermark im Lastenheft ganz oben. Tatsächlich sollten die bei SGP entwickelten Laufdrehgestelle über Jahrzehnte hinweg dem bis zu 150 km/h schnellen Transalpin II erstaunliche Robustheit bescheren.

Beim Zug-Layout setzte man hingegen auf Effizienz: einen sogenannten Triebzug. Der setzte sich beim Transalpin II anfangs aus sechs Teilen zusammen: einem elektrifizierten Motorwagen samt Führerstand, gefolgt von vier Zwischenwagen (Waggons 1. und 2. Klasse plus Speisewagen) und einem Steuerwagen am Zugende, der eine Erste Klasse wie auch einen Führerstand beherbergte. Dieses System war kostengünstig wie auch zeiteffektiv – schließlich konnte die Zuggarnitur in Kopfbahnhöfen rasch und ohne komplizierte Wendemanöver wieder in Gegenrichtung ausfahren. Einen komfortablen Ein- und Ausstieg garantierte das gewählte Kupplungssystems der Bauart Scharfenberg: Damit lag der Fußboden deutlich tiefer als bei damals gängigem Wagenmaterial.

In Wien machte sich indes Johann Benda daran, seine Entwürfe mit praktischen Detaillösungen aufzuladen. In eigens im Wiener SGP-Werk gebauten Musterabteilen wurden die Ideen des Masterminds einer Praxisprüfung unterzogen. Gleichzeitig setzte der Wiener in den Großraumwagen mit einer 2+1-Sitzkonfiguration ein nachgerade feudales Platzangebot durch. Unfeines Kofferwuchten wurde im feinen Transalpin ebenfalls abgeschafft: Zwischen den Rückenlehnen der opulenten Fauteuils reservierte Benda ausreichend Stauraum fürs Gepäck.

Andere Ausstattungs-Details siebten die Ingenieure hingegen nach Tests in den Musterabteilen konsequent aus. So beendete der Vermerk "Sichtbarkeit von Schmutz unter den Sitzen" die Karriere von durchgängig verglasten Schiebetüren in den Abteilwagen. Mit den charakteristischen dunkelblauen Sitzbezügen kreierte Benda hingegen echtes Landmark-Design, das in Österreich über Jahrzehnte hinweg stellvertretend für gepflegtes Reisen stehen sollte.

Die blauen Sitzbezüge sollten sich durchsetzen, die vollverglasten Schiebetüren nicht.
Foto: Sammlung Werner Prokop

Im Mai 1965 debütierte der Transalpin II auf seiner Stammstrecke Wien – Basel. Später nahmen mehrere, um einen Waggon verkürzte und mit einem Halbspeisewagen ausgestattete Garnituren den innerösterreichischen Planbetrieb Richtung Westen (Wien – Innsbruck) und Süden (Wien – Graz/Villach) sowie auf der Strecke Graz – Linz/Salzburg/Innsbruck auf. Doch rasch nach der Einführung standen die stolzen ÖBBler vor einem gewaltigen Problem: Der Transalpin war einfach zu erfolgreich.

Allein im Schweizer Streckenteil stiegen die Passagierzahlen bereits im ersten Jahr um 66 Prozent, auch in der Heimat lösten immer mehr Reisende mit dem Schnellzugzuschlag ein Ticket für das blaue Wunder aus Österreich. Notorisch waren die Zweite-Klasse-Abteile überfüllt, während in der zu üppig dimensionierten Ersten Klasse Plätze frei blieben.

In hoher Not sahen sich die ÖBB-Bosse gezwungen, an ihre schicken neuen Triebzüge schnöde Verstärkerwaggons (ohne Speisewagen-Zugang) anzuhängen. Später schickte man sogar zwei Garnituren im Abstand weniger Minuten auf die Strecken. Bis Anfang der 1970er endlich eine technische Lösung entwickelt wurde – zwei zusammengespannte Triebwagen konnten fortan per Tandemsteuerung von einem Lokführer bedient werden -, mussten Transportspitzen immer wieder mit Improvisationskunst abgefangen werden. Dennoch fuhren die Reisenden unverdrossen auf den Transalpin ab. Ende der 60er Jahre steuerte der 4010er zusätzlich Frankfurt, St. Gallen und München an. Als einige Jahre später alle 29 Garnituren ausgeliefert waren, verkehrte der Beau auf Schienen auf der West- und Südbahn endlich auch im Taktverkehr.

Etwas Lyrik wider den aufkommenden Städteflugverkehr: Werbeplakat um 1970.
Foto: Sammlung Werner Prokop

Der Höhepunkt der Goldenen Ära des Transalpin Mitte der 70er markierte gleichzeitig den schleichenden Niedergang des Prestigezugs. Ab 1977 begannen lokbespannte orange Expresszüge den blauen Dauerläufer auf den internationalen Routen langsam zu verdrängen. Zudem machten sich einige konstruktive Schwächen bemerkbar.

Aufgrund der relativ starren Scharfenbergkupplungen neigten die Waggons zu unwürdigen Ruckelbewegungen. Die Leistungsreserven des Triebwagens waren nicht gerade üppig. Nicht zuletzt auf stark befahrenen Strecken erwies sich das Triebzugsystem als unwirtschaftlich: So ließen es sich die ÖBB nicht nehmen, in Doppeltraktion zwei Speisewagen zu betreiben. Gleichzeitig stiegen Betriebs- als auch Modernisierungskosten für die älteren Baumuster. Dennoch hielten die Bundesbahnen an ihrem Dauerbrenner fest.

Größere Revisionen wurden in der Hauptwerkstätte Wien-Floridsdorf durchgeführt.
Foto: Sammlung Werner Prokop

Noch Anfang der 1990er, wenige Jahre vor dem Ende des geplanten Lebenszyklus von 30 Jahren, wurden die meisten Triebwagengarnituren einer Generalsanierung unterzogen. Optimierte Innenraumdetails wie etwa neue Sitzbezüge, geschlossenes Toilettensystem und mehr Klimaanlagen machten den 4010er für den Deutschland-Einsatz fit. Für Bahn-Puristen weniger erfreulich: Das klassische Transalpin-Saphirblau musste den neuen ÖBB-Farben Rot, Grau und Grauweiß – dem sogenannten "Valousek-Design" – weichen.

Eine revitalisierte Transalpin-Garnitur, erkennbar an der rot-weißen Lackierung.
Foto: Sammlung Werner Prokop

Die umfangreiche Renovierung sollte den Transalpin bis ins nächste Jahrtausend bugsieren. Nicht zuletzt auf den Südbahnstrecken gehörte die Garnitur noch lange zum Rückgrat des innerösterreichischen Fernreiseverkehrs.

Doch mit jedem Fahrplanwechsel gingen die Einsätze auf den Schnellzugtrassen zurück, immer öfter kam der einstige Stolz der ÖBB auf Nebenstrecken zum Einsatz. So zuckelten etwa die Transalpins der frühen Generation auf der Franz-Josefs-Bahn gen Gmünd. Bis 2001 versahen die blauen Garnituren ihren Dienst, dann machten die Schrotter auf dem ÖBB-Areal in Wien-Floridsdorf den Oldies den Garaus.

Finaler Crash in Floridsdorf: Verschrottung der letzten blauen Garnitur.
Foto: Sammlung Werner Prokop

Die in den 1990ern revitalisierten Garnituren verkehrten hingegen noch bis 2008 – unfassbare 41 Jahre nach Indienststellung des Baumusters – von Graz aus Richtung Linz und Salzburg. Doch im Dezember lief der Transalpin II seine letzte Endstation an. Die finale Reise endete am Wiener Südbahnhof und mit einer Demütigung: Die defekten 4010er-Triebwagen mussten von einer Taurus-Lokomotive in den Bahnhof geschleppt werden.

Endstation: Letzte Ankunft des Transalpin II am 28. Dezember 2008.
Foto: Sammlung Werner Prokop

Ein Blitzlichtgewitter der Fotografen war dem zeitlos-eleganten Pensionär dennoch sicher. Ein Platz in der Technikgeschichte der Republik nicht minder – wie seinem umtriebigen Schöpfer Johann Benda.

Dessen Schaffenskraft sollte nicht mit dem Transalpin II enden: Anfang der 1970er machte sich Benda daran, einen weiteren Klassiker des öffentlich Unterwegsseins zu entwickeln: den U-Bahn-Typ Ux, in Wien besser bekannt als "Silberpfeil". (Stefan Schlögl, Fotos: Sammlung Werner Prokop, Archiv Johann Benda, derStandard.at, 12.6.2012)