Hungerhilfe-Expertin Ruth Kelly erklärt, wie verhindert werden soll, dass Essenslieferungen aus dem Ausland lokale Märkte lähmen, und spricht über die tragende Rolle der Kleinbauern. Gudrun Springer fragte nach.
STANDARD: Sie beschäftigen sich mit den Folgen des Spekulierens auf Nahrungsmittelpreise - was in den vergangenen Jahren zunehmend außer Kontrolle geriet, wie sie feststellten. Steht die aktuelle Hungerkrise in Westafrika damit in Zusammenhang?
Kelly: Die Nahrungsmittelmärkte waren lange sehr in Ordnung, bis es im Jahr 2000 zu einer fundamentalen Veränderung gekommen ist. Ein großer Teil der Handelsbewegungen verschwand von transparenten Plattformen in die Dunkelheit. Es ist natürlich immer gut für die Welt, wenn ihre Märkte funktionieren, in der Sahelzone im Speziellen gibt es aber grundlegendere Gründe dafür, dass Dinge falsch laufen.
Dort herrscht eine hohe Nahrungsmittelunsicherheit: Die Menschen sind hauptsächlich auf regionale Produktion angewiesen. Um das zu ändern, braucht es etwa den Bau von Straßen und Lagerungsinfrastruktur. Wir unterstützen die Länder in Westafrika zum Beispiel dabei, ein System für Nahrungsmittelreserven aufzubauen.
STANDARD: Das World Food Programme (WFP) kauft bei Krisen wie jener in der Sahelzone, wo es derzeit insgesamt 9,6 Millionen Menschen unterstützen muss, große Mengen Nahrungsmittel - teils vor Ort, teils im Ausland. Beides kann regionale Märkte negativ beeinflussen. Lässt sich dieses Dilemma lösen?
Kelly: Das WFP hat ein tolles Programm, in dem es darum geht, schon vor Krisen in Kontakt mit Kleinbauern einer ganzen Region zu kommen, um sicherzustellen, dass sie ihre Produktivität erhöhen können. Das braucht Zeit, daher müssen Nahrungsmittel zusätzlich auf externen Märkten gekauft werden, wenn es in der Region keine gibt oder die Preise zu hoch sind - in der Sahelzone ist es derzeit ein Mix aus beidem.
Was wir tun - und nicht nur Oxfam -, ist, Geld und Nahrung zu verteilen. Man gibt Händlern Geld, damit sie Nahrungsmittel kaufen und in ihre Gemeinschaft bringen können, und man gibt Leuten Geld, damit der Markt funktioniert. Nur Nahrung zu liefern kann den Markt lähmen.
STANDARD: In einem kürzlich erschienenen "Zeit"-Artikel hieß es, dass die Industrienationen in Zeiten kleinerer Entwicklungshilfebudgets realisieren, dass Prävention von Krisen billiger kommt, als sie akut zu bekämpfen. Ist da eine Veränderung spürbar?
Kelly: Vor allem nach der Krise in Ostafrika (im Vorjahr, Anm.) beschäftigt viele Menschen, dass man diese kommen gesehen hat. Die jetzige Krise in Westafrika ist ein gutes Beispiel dafür, dass man versucht, aus dem zu lernen, was in Ostafrika geschehen ist.
STANDARD: In der Öffentlichkeit scheint aber der Eindruck zu bestehen, dass sich an der Hungersituation in Afrika im Großen und Ganzen nicht viel ändert.
Kelly: Aber da passiert viel. Afrika erlebt ein enormes Wirtschaftswachstum. Es wächst viel schneller als viele Regionen, bei denen man es eher annehmen würde.
STANDARD: Hat das Wirtschaftswachstum - laut UN-Entwicklungsprogramm UNDP lag es 2011 bei 5,2 Prozent - einen Effekt darauf, wie viele Menschen Hunger leiden?
Kelly: Das ist das Problem: dass das Wachstum nicht bis nach unten durchsickert. Es ist wichtig, die richtigen Grundsätze zu verfolgen, um das sicherzustellen. Eine wirklich wichtige Methode, die das UNDP hervorhebt, ist, in Kleinbauern zu investieren.
STANDARD: Obwohl man Krisen vorhersehen kann, wird in der Regel spät darauf reagiert. Warum?
Kelly: Im humanitären Entwicklungshilfesektor ist derzeit ein Kernthema, wie man aus verschiedenen Programmen ein einziges machen kann, um flexibler reagieren zu können. Derzeit gibt es Entwicklungsprogramme, die sich nicht wirklich mit Krisen auseinandersetzen, und humanitäre Hilfsprogramme, die erst starten, wenn die Krise ausbricht.
Die Hauptveränderung vor Ort muss sein, die Menschen widerstandsfähiger zu machen. Und ein Problem ist natürlich, dass Prävention nicht so interessant ist für die Medien wie eine Krise, aber ich denke, da passiert ein Umdenken. (Gudrun Springer, DER STANDARD, 1.6.2012)