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Der deutsche Bundespräsident scheut sich nicht eine Religionsdebatte loszutreten.

Foto: EPA/ABIR SULTAN

Lange währte die Amtszeit des deutschen Bundespräsidenten Christian Wulff nicht, unrühmlich ging sie wegen seiner vielen Affären im Februar zu Ende. Ein Satz jedoch von ihm ist bei den meisten Deutschen hängen geblieben: "Der Islam gehört zu Deutschland."

Sein Nachfolger Joachim Gauck hat sich nun davon distanziert und eine neue Islam-Debatte ausgelöst. In seinem ersten großen Interview seit Amtsantritt (in der "Zeit") erklärt Gauck: "Ich hätte einfach gesagt, die Muslime, die hier leben, gehören zu Deutschland." Ein-Satz-Formulierungen über Zugehörigkeit seien "immer problematisch, erst recht, wenn es um so heikle Dinge geht wie Religion".

Er könne auch diejenigen verstehen, die fragten: "Wo hat denn der Islam dieses Europa geprägt, hat er die Aufklärung erlebt, gar eine Reformation?" Gleichzeitig fügte Gauck aber hinzu, dass er Wulffs Intention grundsätzlich annehme. Der habe die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland auffordern wollen, sich der Wirklichkeit zu öffnen. Gauck: "Und die Wirklichkeit ist, dass in diesem Land viele Muslime leben."

"Geschichtsfälschung"

Muslimische Verbände, die Wulff für dessen Aussagen viel Respekt entgegengebracht haben, reagierten mit Unverständnis. "Das europäische Abendland steht ganz klar auch auf muslimisch-morgenländischen Beinen. Wer das leugnet, betreibt Geschichtsfälschung", sagt der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek.

Kritik kommt auch aus der Türkischen Gemeinde Deutschlands. Deren Vorsitzender Kenan Kolat erklärt: "Ich empfehle Herrn Gauck einen Blick in die Geschichtsbücher: Der Islam gehört zur Geschichte Europas und Deutschlands, in den Debatten der Historiker besteht daran überhaupt kein Zweifel."

Auch bei den Grünen regt sich Widerstand. "Ich kann diese Differenzierung zwischen Islam und gläubigen Muslimen nicht nachvollziehen", erklärt Grünen-Chef Cem Özdemir. In den 1960er-Jahren seien unzählige Muslime nach Deutschland gekommen und hätten neben ihrer Sprache und ihrer Kultur auch die Religion mitgebracht. Özdemir wies aber auch darauf hin: "Es kann keinen Zweifel daran geben, dass der Islam, der Teil unseres Landes ist, unter dem Dach unseres Grundgesetzes gelebt werden muss." Das gelte im Übrigen für alle Religionen.

Dass Wulff als Bundespräsident im Oktober 2010 bei seiner Rede zu 20 Jahre deutsche Einheit den Islam auf die gleiche Stufe gehoben hatte wie die christlich-jüdische Wertetradition, war in der CDU nicht überall gut angekommen. (Birgit Baumann, DER STANDARD, 2.6.2012)