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Das Auflichtmikroskop hilft Hautveränderungen zu differenzieren.

Foto: APA/Daniel Roland

In Chicago scheint die Sonne Himmel. Um die 28 Grad Celsius zeigte das Thermometer. Es lockte vor allem junge Frauen nach draußen, mit dem erklärten Ziel, möglichst schnell zu erbräunen. In den Kongresssälen des ansässigen McCormick Centers hingegen ist es kühl. Die Klimaanlagen surren auf Hochtouren. Die Kulisse könnte kaum passender sein: Dort, beim fünf Tage dauernden, weltweit größten Krebskongress, tagen derzeit diejenigen, die fast rituell jedes Jahr vor der intensiven Sonnenstrahlung warnen: die Krebsmediziner.

Viel hat sich in den letzten vier Jahren verändert: Vom ungezielten Kampf mit Chemotherapie zu Wirkstoffen, die sich speziell gegen Krebszellen richten. Tatsächlich ist es den Medizinern gelungen, einer der gefährlichsten Krebsformen, dem schwarzen Hautkrebs, eine geeignete Waffe entgegenzuhalten.

Melanome sind im Vormarsch. In Österreich erkranken laut Statistik jährlich etwa 1100 Menschen, doch "die Dunkelziffer dürfte mehr als Doppelte betragen, denn Patienten, die beim niedergelassenen Hautarzt behandelt werden, fallen hierzulande einfach heraus", erklärt Hubert Pehamberger, Leiter der Hautklinik an der Medizinischen Universität Wien. Bleiben die veränderten Muttermale unerkannt und bilden Metastasen, sind sie kaum mehr in den Griff zu bekommen: Lediglich knapp zehn Prozent der Erkrankten sprachen auf die herkömmliche Chemotherapie an.

B-RAF-Veränderung

Verursacht wird der schwarze Hautkrebs in den weitaus meisten Fällen durch übermäßige UV-Strahlung. Sie durchdringt die Pigmentzellen bis in ihren Kern und verursacht dort winzige Veränderungen im Erbgut, die - treffen sie ungünstige Stellen - sie entarten lassen. Eine solcher Ort ist das B-RAF-Gen. Es bildet B-RAF, ein zelleigenes Protein, das Wachstumssignale an den Zellkern übermittelt. Mutationen des Gens führen dazu, dass das B-RAF immerzu eingeschaltet ist. Die Zelle beginnt sich unkontrolliert zu vermehren. Auf zu 60 Prozent aller Melanompatienten trifft diese B-RAF-Veränderung zu.

Bereits vor knapp zwei Jahren brachte das Biotech-Unternehmen Genentech, das zu Roche gehört, ein biotechnologisch gebautes Molekül auf den Markt, das in die Zellen eindringt und B-RAF hemmt. Ein weiterer B-RAF-Blocker von Glaxo-Smith-Kline wird derzeit getestet. Beide Kandidaten zeigen eine enorme Wirkung. "Ganz aktuelle Studien zeigen, dass 90 Prozent der Hautkrebs-Patienten, bei denen B-RAF mutiert ist, sehr rasch auf die Therapie ansprechen", erklärt Pehamberger. So gut, dass man meinen sollte, sie seien im Anschluss an die Therapie geheilt. Doch: Die Wirkung lässt meist nach etwa einem halben Jahr nach. Die Zellen werden resistent.

"Tumore entwickeln perfide Systeme, wie sie sich Medikamenten widersetzen können", erklärt Felix Offner. Er ist Leiter der Pathologie am LKH Feldkirch, einem Fachgebiet, das durch die moderne Krebstherapie enorm an Bedeutung gewinnt. Molekularpathologen untersuchen das genetische Profil des Tumorgewebes. Sie suchen nach den Veränderungen, die Zellen zu bösartigen Geschwüren werden lässt, und wurden fündig: Merkt etwa eine Krebszelle, dass B-RAF nicht funktioniert, aktiviert sie andere Signalübertragungswege, "ähnlich Bakterien, die sich gegen Antibiotika zu Wehr setzen", sagt Offner. Zwei weitere Pfade wurden identifiziert: C-RAF und PI3K.

Rückfälle verzögern

Diese Fluchtwege der Krebszellen will man verschließen. In Chicago stellten sowohl Roche als auch GSK Studien vor, in denen sie ihren B-RAF-Blocker mit einem weiteren Hemmstoff kombinierten, der nicht nur B-RAF stoppt, sondern auch C-RAF-Moleküle. "Die Kombination der Wirkstoffe ist vielversprechend: Sie verzögert Rückfälle und zeigt zudem geringere Nebenwirkungen", sagt Jeffrey Weber, Direktor des Donald A. Adam Comprehensive Melanoma Research Center.

Einen anderen Weg beschritt der amerikanische "Bio-Pharmakonzern" Bristol-Myers Squibb (BMS). Dort wurde ein Antikörper entwickelt, der die körpereigene Abwehr stimuliert. "Er blockiert gezielt den Mechanismus, der die Abwehr gegen den Tumor abschaltet", erklärt Pehamberger. Das Problem: Die Wirkung ist nachhaltig, setzt aber später ein. "Manchmal zu spät für das aggressiv wachsende Melanom", so Pehamberger. Ein weiterer Versuch ist, den schnellwirksamen B-RAF-Hemmer mit dem Antikörper zu kombinieren. Tatsächlich ist die Hautkrebsforschung damit ein "Proof of Principle" für eine übergreifende neue Krebstherapie. Denn etwa acht Prozent aller Tumore, die in Organen liegen, und fast alle Fälle einer bestimmten Blutzellkrebsform, der Haarzell-Leukämie, gehen auf Veränderungen von B-RAF zurück. So beschreiben im aktuellen New England Journal of Medicine die Heidelberger Krebsmediziner Thorsten Zenz und Christof von Kalle, dass sich bei einem Haarzell-Leukämie-Patienten die Symptome nach Behandlung mit einem B-RAF-Hemmer vollständig zurückbildeten. "Das zeigt eindrucksvoll, wie die detaillierte Charakterisierung genetischer Information zur präziseren Therapie von Krebserkrankungen genutzt werden kann", sagt von Kalle. (Edda Grabar aus Chicago, DER STANDARD, 4.6.2012)