Seit der Dichter Nichi Vendola "Landeshauptmann" der Region Apulien geworden ist, werden vermehrt Anstrengungen unternommen, die Marke "Puglia" im Kulturbereich auch international zu verankern. Nach dem Film (Apulia Film Commission ) und der Musik (Puglia Sounds ) war jetzt das Theater an der Reihe .Mithilfe von "umgeleiteten" Zielgebiet 1 - Fonds der EU fand in Brindisi, Barletta und Taranto der ambitioniert aufgezogene "Puglia Showcase" statt, bei dem nicht nur dem einheimischen Publikum, sondern Kritikern, Produzenten und Festivaldirektoren aus aller Welt die geballte Produktivkraft des süditalienischen Territoriums vor Augen geführt werden sollte.
Viele Inszenierungen hatten lokale Bezüge:
"Emorragia Cerebrale" (Hirnschlag) der Grippe Fibre Parallele schildert die zerstörerische Dynamik einer aus Vater, Sohn, Braut, Tante und einem Aal bestehenden Horrorfamilie - in striktem Dialekt der Stadt Bari.
In "Io provo a volare ! " (Ich versuche zu fliegen) nimmt der virtuose Mime Gianfranco Berardi die Lieder des aus Apulien stammenden Gesangstars Domenico Modugno (weltberühmt eben für "Volare") zum Anlass, um (halbautobiographisch) von den Versuchen eines angehenden Schaupielers zu berichten, (vergeblich) aus der Enge der Provinz auszubrechen.
"Sequestro all'italiana" (Kidnapping auf italienisch) von Michele Santeramo behandelt die Anekdote zweier Schulwarte, die so tun, als würden sie eine Klasse als Geisel nehmen, nur um mit dem Bürgermeister sprechen zu können.
Und "Acido Fenico"(Karbolsäure) dramatisiert die Lebenserinnnerungen des berüchtigten apulischen Cammoristen Mimmo Carunchio...
Aber:so etwas wie eine gemeinsame "apulische" Handschrift konnte man diesen Stücken - und das mag auch an der Vorauswahl durch eine Jury gelegen haben - nicht entnehmen.Und die Kombination der nicht gerade hohen Originalität der dramaturgischen Konstruktionen und der sehr schwankenden Qualität der Texte und Ensembles mit den strikt regionalen Verweisen machten die meisten dieser Produktionen für den eigentlichen Zweck des Showcases, nämlich die Transferierbarkeit, die "Exportfähigkeit"des apulischen Theaters zu erhöhen, genaugenommen unbrauchbar.
So blieb es dem Projekt "Sonno" (Traum) der Gruppe Opera vorbehalten, für einen zwar eigenständigen,aber, was den ästhetischen Standard betrifft, international absolut konkurrenzfähigen Abend zu sorgen.
Ein onirisches Bildertheater,mit wenig Worten, vielen Masken, merkwürdigen Schreien und immer wieder verblüffenden, perfekt gemachten und perfekt getimten Bühneneffekten wie in sich zusammenfallenden Ölgemälden, riesigen schwingenden Pendeln und plötzlich auftauchenden Waschbecken....Worum es dabei geht? Etwa um Goyas Monster oder Macbeths Alpträume (wie im Programmheft angedeutet) ? Keine Ahnung. Aber eigentlich egal. Auch wenn man sich gelegentlich mehr "Inhalt" gewünscht hätte, ist es doch völlig ausreichend, wenn man eine Stunde lang aus dem Staunen nicht herauskommt und sich dem fast hypnotischen Sog dieser theatralen Gegen-Welt nicht entziehen kann.
Nch diesem ersten "Showcase" ist zwar vorerst nicht zu erwarten,dass die festivals von Salzburg bis Sydney von apulischen Theatermachern überschwemmt werden.Aber ein Anfang ist gemacht.Besonders vom ziemlich einzigartigen Experiment der "teatri abitati"(bewohnten Theater),bei dem 34 Theatergruppen drei Jahre lang 12 leerstehende Theater in der ganzen Region für "Territorialarbeit" zur Verfügung gestellt werden, lässt sich einiges erwarten.
Und die einheimischen Olivenbäume tragen schliesslich auch erst ab dem vierzehnten Jahre Früchte. (Robert Quitta, derStandard.at, 1.6.2012)