Eine Außenministerin, die Asylbewerber mit unbewusster Reverenz an Engelbert Dollfuß in "Anhaltelager" einweisen möchte. Ein Innenminister Strasser, der in seinen Erklärungen zur Flüchtlingspolitik nicht einmal einfache Grundbegriffe wie "sicherer Drittstaat" und "sicherer Herkunftsstaat" unterscheiden kann - oder will. Nicht in jedem EU-Staat gewinnt man den Eindruck, dass das Asyl-und Einwanderungsrecht bei der nationalen Regierung in den besten Händen ist.

Kaum ein anderes politisches Thema ist dem Populismus stärker ausgeliefert und einem rationalen Zugang stärker entzogen, so scheint es. Unter diesen Umständen könnte es sich als äußerst nützlich erweisen, wenn - wie es der Entwurf für eine EU-Verfassung vorsieht - künftig mehr Rechte in den Bereichen Migration und innere Sicherheit auf die Europäische Union übertragen werden.

In der EU-Kommission in Brüssel werden die entsprechenden Gesetzentwürfe von Beamten ausgearbeitet, die zwar nicht demokratisch legitimiert sind, die sich aber gerade deshalb auch nicht dem Druck der Stammtische unterworfen fühlen. Ergebnis ihrer Arbeit ist bis jetzt ein ziemlich umfassendes und ausgewogenes Konzept für eine europäische Migrationspolitik. Dass bei der Umsetzung - über die Regierungen wie die österreichische oder die deutsche im EU-Ministerrat entscheiden - am Ende doch die restriktiven Ansätze den Vorrang behalten, steht auf einem anderen Blatt.

Zumindest in den Schlusserklärungen ihrer Gipfeltreffen lassen die Staats- und Regierungschefs der EU - wie am gestrigen Freitag - aber erkennen, dass sie das Problem "Migration" in seiner Gesamtheit erfassen. Da mag im EU-politischen Alltag auch Innenminister Otto Schily Hürden am Arbeitsmarkt aufrechterhalten oder dessen Kollege Ernst Strasser sein Ausländerquotensystem verteidigen.

In ihrem theoretischen Entwurf ist die Migrationspolitik der Europäischen Union sehr differenziert: Durch Entwicklungshilfe sollen Armutsflüchtlinge in der Heimat gehalten werden. Zivile Konfliktprävention, aber auch "robustes Eingreifen" der EU soll - so die am Freitag präsentierte Sicherheitsdoktrin der Union - Krisen verhindern oder entschärfen. Hilft das nichts, so sollen Schutzzonen Krisenflüchtlinge in der Nähe ihres Landes aufnehmen.

Wer es in die EU schafft, soll erst einmal unter menschenwürdigen Bedingungen untergebracht werden. Wer unter die Genfer Flüchtlingskonvention fällt oder sonst wie gefährdet ist, wird dann dauerhaft Aufnahme finden.

Auf der anderen Seite steht die Europäische Union der Repression: Ein gemeinsames Visasystem soll unredliches "Visa-Shopping" von Botschaft zu Botschaft verhindern. Ein koordinierter Grenzschutz soll den Zugang in die Union erschweren. Abgelehnte Asylbewerber sollen unter Umständen mit gemeinsamen EU-Charterflügen in ihre Herkunftsländer zurücktransportiert werden.

Zu guter Letzt verschaffen sich aber auf europäischer Ebene sogar diejenigen Gehör, die mit kühlem Kopf fragen, ob die EU-Länder nicht in gar nicht allzu ferner Zukunft verzweifelt Einwanderer werden suchen müssen - und ob man nicht jetzt schon die rechtlichen Instrumente formulieren sollte, damit man sich diese Menschen auch aussuchen kann. Die Stammtische, an denen gegen "die Ausländer" gehetzt wird, werden schließlich auch immer älter: Irgendwer muss künftig ihre Pension zahlen.

Am Gesamtkonzept aus einem Guss aus Brüssel würde es also nicht fehlen. Für manche Menschen könnte es ein besseres Leben in ihrer Heimat ermöglichen. Gegen manch andere, die in die EU kommen wollen, würde dieses Konzept eine "Festung Europa" aufbauen. Für wieder andere schließlich würde es den Aufenthalt hier sehr erleichtern - in einer gastfreundlichen Festung sozusagen.

Doch all das hängt weiter von Außenministern und Innenministern ab, die nicht einmal immer in den Grundbegriffen sattelfest sind. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21./22.6.2003)