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Foto: REUTERS/Herwig Prammer
... für den Kampf gegen rassistisch motivierte Gewalttaten in Europa.


Vergangenen Frühling gab es in Frankreich täglich zwischen acht und zwölf physische Angriffe auf Juden, dazu kamen 14 Brandanschläge auf Synagogen innerhalb von zwei Wochen. In Russland wurden entlang von Autobahnen Schilder mit der Aufschrift "Tod den Juden" aufgestellt, die explodieren, wenn sie jemand zu entfernen versucht . . .

Die Konferenz in Wien ist als direkte Antwort auf das weltweite Ansteigen von antisemitischen Gewaltakten zu verstehen, die in Europa leider viel zu oft als Routine und Vandalismus abgetan wurden. Antisemitismus ist alles andere als Routine. Wenn Juden attackiert werden, ihre Gräber geschändet, sie gnadenlos beschimpft werden und obszöne Bemerkungen in den Parlamenten oder in der Presse fallen, werden dadurch jene Werte angegriffen, die unsere Gesellschaftsordnung und die unserer internationalen Institutionen ausmachen. Die Werte der Toleranz und des Respekts müssen auf einer solideren Basis aufbauen als nur auf guten Absichten und tugendhaften Erklärungen. Die Angriffe des 11. Septembers 2001 haben gezeigt, dass unsere Prinzipien das tatsächliche Bollwerk für unsere Sicherheit sind.

Wahnsinnige Täter Deshalb habe ich auch sofort nach den Angriffen klar gemacht, dass die Stadt es nicht tolerieren würde, wenn bestimmte Gruppen für die terroristischen Handlungen verantwortlich gemacht würden: "Keiner darf einen anderen attackieren. Genau darum geht es in diesem Moment. Hier haben wir es mit Wahnsinn zu tun, mit krankhaftem Hass." Ich wollte die Verbindungen aufzeigen zwischen den Vorurteilen, welche die Täter angetrieben haben, und allen sich daraus ergebenden Verbrechen, die gegen Menschen wegen deren Hautfarbe oder aus Gründen des Glaubens verübt wurden.

Wichtig war aber nicht nur, über diese Verbrechen aus Hass zu sprechen. Die Stadt New York musste auch konkrete Aktionen setzen, um Straftaten zu überwachen und zu verhindern. Die Polizei von New York hat im CompStat-Programm (Anm.: CompStat ist ein von der New Yorker Polizei entwickeltes strategisches Programm für Verbrechensanalyse und Polizeimanagement: Eckpfeiler neben Datensammlung, Analyse und Aufzeichnung sind regelmäßige Treffen, in denen Strategien festgelegt und Ziele gesteckt werden. Die Führungsebene ist dabei direkt zur Verantwortung zu ziehen, wenn Ziele nicht erreicht werden) eine neue Kategorie geschaffen, die sich mit Straftaten gegen Amerikaner arabischer Abstammung befasst. Jeden Tag musste mir Polizeichef Bernard Kerik über die Vorfälle berichten und auch darüber, was die Polizei dagegen unternommen hat.

Die USA haben also verschiedene konkrete Schritte gesetzt, um rassistische Verfehlungen in den Griff zu bekommen. Europa muss nun denselben Zugang finden. Meine wichtigsten Empfehlungen an die 55 Mitgliedstaaten der OSZE:

Zuerst sollten sie sich darauf einigen, dass Verbrechen aus Hass verfolgt werden und als etwas eingestuft werden, das sich von Mord, tätlichen Angriffen und Vandalismus unterscheidet. Der beste Weg, um Verbrechen vorherzusehen und zu verhindern, ist die Kräfte dahinter ganz genau zu kennen. Wenn etwa innerhalb kurzer Zeit mehrere Synagogen verwüstet werden, ist es nicht nur ineffizient, sondern schlicht unehrlich, zusätzliche Polizeikräfte bei allen Gotteshäusern zu postieren, ohne sich bewusst zu machen, dass ein Land ein Problem mit dem Antisemitismus hat.

Es gibt ein Beispiel für eine solche landesweite Datensammlung. Im Hate Crime Statistics Act (Anm. Gesetz zur statistischen Erfassung von Verbrechen aus Hass), der vom Kongress 1990 verabschiedet wurde, wird die Bundesregierung verpflichtet, Daten zusammenzutragen über Verbrechen, "die zeigen, dass ein Vorurteil gegenüber der Rasse, der Religion, der sexuellen Orientierung oder der Herkunft besteht". Nach dem Gesetz werden auch die Behörden und die gewählten Vertreter zur Verantwortung gezogen, wenn die Zahl dieser Verbrechen innerhalb eines Gerichtsbezirks ansteigt.

Strenge Strafen Zweitens ist sicherzustellen, dass die Daten nicht in einer Schreibtischlade landen. Sie müssen regelmäßig analysiert werden und immer wieder als Grundlage in die Verbrechensstatistik eingearbeitet werden.

Drittens muss die OSZE in Europa regelmäßige Treffen institutionalisieren, zumindest einmal jährlich, bei denen die Mitglieder die Ergebnisse ihrer Arbeit mit den Zielen vergleichen und Strategien zur Durchsetzung und Weiterbildung entwickeln.

Und schließlich müssen die Europäer eine Rechtsprechung in Bezug auf Verbrechen aus Hass einführen, in deren Rahmen strenge Strafen verhängt werden, um dadurch anzuerkennen, dass diese Art von Verbrechen eine spezielle Bedrohung für die Stabilität einer Gesellschaft darstellen.

Natürlich werden manche argumentieren, dass Verbrechen aus Hass nicht strenger bestraft werden sollen, als vergleichbare aus anderen Gründen begangene Untaten. Faktum ist aber, dass es in allen zivilisierten Rechtssystemen, Spezialstrafen gibt, um besonders hinterhältige Verbrechen von anderen zu unterscheiden. Und durch die Anerkennung der besonderen Bedrohung, die Hass für eine Demokratie darstellt, wird ein mächtiges Zeichen gesetzt, dass diese Handlungen nicht toleriert werden.

Breite Aufklärung Die Maßnahmen werden allerdings nur dann wirksam sein, wenn die OSZE-Länder an breitester Front versuchen, Antisemitismus an den Wurzeln zu bekämpfen. Unabdingbar ist, dass die Bürger der Staaten begreifen, was Holocaust ist. Die Schulen müssen dafür Sorge tragen, Kinder im Geist der Toleranz zu erziehen. In öffentlichen Institutionen muss darüber berichtet werden, welche enormen Leistungen Juden all die Jahre hindurch für die Gesellschaften in Europa erbracht haben. Und zu guter Letzt muss Europa jene Grundstimmung bekämpfen, durch die es möglich wurde, dass Antisemitismus mit einer derartigen Gewalt wiedergekehrt ist. Hass verbreitet sich rasch, sobald Entschuldigungen für ein Verhalten akzeptiert werden. Wenn eine Synagoge niedergebrannt wird, darf die Antwort nicht lauten: "Die Tat ist falsch, aber wir verstehen die Gründe, die den Brandstifter bewegen, zu solchen extremen Maßnahmen zu greifen."

Ich bin sehr dankbar, dass ich in Brooklyn aufwachsen durfte, wo jede nur denkbare Ethnie innerhalb von ein paar Quadratkilometern vertreten ist. In New York und in den USA im allgemeinen, beten wir in vielen Sprachen - in Kirchen, in Synagogen und in Moscheen -- und wir betrachten diese große Vielfalt an Glaubensrichtungen als eine unserer wichtigsten Errungenschaften. Und sie alle haben am 11. September gelitten, aber sie wurden auch gestärkt. Die Wiener Konferenz kann dazu beitragen, dieses Erbe zu sichern. (DER STANDARD, Printausgabe, 21./22.6.2003)