Giovanna Casolla (als Turandot) stahl Tenor José Cura nur lautstärkemäßig die Show - für seine Darbietung von "Nessun dorma" gab es Da-capo-Rufe. Allerdings vergebliche.

Foto: Arena
Regisseur Yuri Alexandrov setzt auf die verschwenderische Pracht der Märchenwelt des chinesischen Staatszirkus und auf die Qualitäten von Startenor José Cura.

Zur 81. Stagione scheint ein Raumschiff Außerirdischer auf der Bühne der Arena di Verona gelandete zu sein - eine riesige metallene Kugel, aus deren kleinen Öffnungen bisweilen geheimnisvolles Licht gleißt. Eine Fantasy-Geschichte erzählen der russische Regisseur Yuri Alexandrov und sein Ausstatter Viacheslav Okunev - beide vom St. Petersburger Marinskij-Theater -, allerdings weniger futuristisch, sondern in der verschwenderischen Pracht der Märchenwelt des chinesischen Staatszirkus.

In der Kugel sind die Rätsel verschlossen, die Prinzessin Turandot stellt. Bis auf eine Taube, die für das Rätsel "Hoffnung" durch die Arena flattern muss, haben allerdings in diesem Zirkus die in der Arena sonst so beliebten Tiere spielfrei; die Skulptur eines goldenen Tigerwagens ist schließlich eindrucksvoll genug.

Was Turandot so Arena-tauglich macht - immerhin ist es die 13. Produktion dieser Giacomo-Puccini-Oper -, sind wohl die Chöre. Wenn das grau gekleidete Volk von Peking kommentierend neben dem Publikum auf den Steinstufen Platz nimmt, scheint fast die Gemeinsamkeit mit dem antiken Theater hergestellt. Wenn es im expressiven Armestrecken und Bodenwälzen sein Heil sucht, dann ist freilich gleichzeitig auch die rührende Unbeholfenheit einer konventionellen Bewegungsregie zugegen.

Aber zentral bleibt in Verona noch immer die Musik: Das Musizieren und Singen ohne Mikroport und elektronische Verstärkung ist inzwischen ja schon ein rarer Ausnahmefall, und insofern ist Verona doch auch eine Schule der Aufmerksamkeit: Ein Pianissimo, dem zwanzigtausend in der Sternennacht lauschen, erweist sich als eindrucksvoller als jede forcierte vokale Kraftanstrengung.

Deshalb konnte sich auch Micaela Carosi als Sklavin Lui gut in Szene setzen. Den Star des Eröffnungsabends, Tenor José Cura, donnerte die Turandot von Giovanna Casolla fast nieder, aber die energischen, wenn auch vergeblichen Da-capo-Rufe des Publikums für Curas "Keiner schlafe!" waren zweifellos dennoch durchaus verdient.

Der französische Dirigent Alain Roland wollte Giacomo Puccini wie einen Claude Debussy zum Flimmern bringen - auch das ist in der Arena tatsächlich möglich -, den dramatischen Spannungsbogen vermisste man aber ein wenig. Schlussendlich also alles beim Alten in Verona! Beim Torso des Finales beugte man sich der Konvention. Obwohl man so gerne wie in Salzburg auch in Italien den von Luciano Berio komponierten Schluss gespielt hätte, resignierte man wieder mit dem von Toscanini und Ricordi einst approbierten Finale.

Wie weit sich in Verona Konventionen dennoch geändert haben, wird man möglicherweise bei der zweiten Neuproduktion dieser Stagione im Juli studieren können, wenn die erste Veroneser Rigoletto- Aufführung in den Bühnenbildern von 1928 nachgestellt wird. (DER STANDARD, Printausgabe vom 23.6.2003)