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Einerseits besitzt man Aktien und will deren Wertsteigerung, andererseits kann das persönliche unangenehme Folgen haben

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Ich bin eine Kleinanlegerin und als solche ein Opfer der Schizophrenie, die Millionen von uns in aller Welt befallen hat. Wir wollen, dass unser Gespartes Gewinn bringt oder wenigstens nicht im Zuge der Wirtschaftsflaute ganz den Bach runterschwimmt. Aber wir wollen auch auf die Segnungen des Wohlfahrtsstaats nicht verzichten, im Gegenteil, wir wollen diese verteidigen.

Wir sind einerseits Aktionäre und andererseits Gewerkschaftsmitglieder. Das Resultat dieses Einerseits-andererseits ist, wenigstens für mich, zunehmende Verwirrung. Meine Bank hat mir vor kurzem einen kleinen Einführungskurs in ihre Anlegestrategie zuteil werden lassen. Europa, sagen ihre Analysten, ist ganz schlecht für Investoren, mit Ausnahme von Osteuropa. Die USA dagegen sind gut, dort geht es aufwärts mit den Kursen. Warum? Weil dort businessfreundliche Politik betrieben wird. Was das ist, habe ich wiederum soeben in dem neuen Buch des US-Filmemachers ("Bowling for Columbine") und Regimekritikers Michael Moore, "Stupid White Men", gelesen: gewaltige Steuervergünstigungen für die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung, ebenso substanzielle Kürzungen der Sozialprogramme für die Ärmeren, steigende Job-Unsicherheit, Verwässerung ökologischer Vorgaben für die Industrie und fortschreitende Privatisierung aller Sozialleistungen, was zur Folge hat, dass 41 Millionen Amerikaner gar nicht versichert sind und 108 Millionen keine Zahnarztversicherung haben. Das alles ist gut für die Aktionäre und schlecht für die Arbeitnehmer. Was aber, wenn man beides in einer Person ist?

Die Mehrheit der Amerikaner besitzt Aktien. Die Leute lesen die Börsenberichte und freuen sich, wenn die Kurse "ihrer" Betriebe steigen - nicht selten deshalb, weil diese rationalisiert und Angestellte entlassen haben. Manchmal sind sie selber darunter. In den USA sind die Gewerkschaften schwach, und die oppositionellen Demokraten, sagt Michael Moore (ein Grüner), wagen es nicht, der Bush-Linie entschlossenen Widerstand entgegenzusetzen. Auch ihre Wähler haben Aktien. In diesem Land soll ich mein sauer verdientes Geld investieren? Nicht in Europa, dessen soziale Errungenschaften ich schätze und von denen ich profitiere?

Ich bin froh, dass wir starke Gewerkschaften haben, ein (noch) solidarisches Gesundheitssystem, einen halbwegs funktionierenden Kündigungsschutz. Lauter Sachen, sagen meine Anlageberater, die die Lohnnebenkosten verteuern, die Wirtschaft hemmen und vor denen Investoren deshalb eher zurückscheuen sollten. Ich bin Arbeitnehmerin und Aktienbesitzerin. Wer ist stärker - i oder i?

Mein Dilemma teilen zahllose Menschen, die ihr Lebtag gearbeitet und sich dabei ein wenig Geld erspart haben. Manche setzen auf Fonds, die bei ihren Investitionen auf die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards schauen. Das gefällt mir. Aber man zögert trotzdem, sich bei nicaraguanischen Kaffeekooperativen und selbst verwalteten afrikanischen Landwirtschaftsprojekten zu engagieren. Spenden ja - aber investieren?

Ich weiß keine konsequente Lösung für die Zerrissenheit des linksliberalen Kleinanlegers. Ich gehe zu Gewerkschaftsdemonstrationen, empöre mich über Sozialabbau, spende für Hilfsorganisationen. Ich finde nach wie vor das europäische Gesellschaftsmodell besser als das US-amerikanische. Aber was mit meinem Geld geschieht, überlasse ich lieber meiner Bank und deren Anlagestrategen. Diese sind übrigens durchaus sympathische Leute. Möglicherweise geht es ihnen insgeheim ähnlich wie mir.