Peter Sempelmann über Social Media: "Als Journalist soll man sich dieser Entwicklung nicht verschließen."

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Twitter als Recherchetool und "die schnellste Nachrichtenagentur der Welt".

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"Social Media ist für Journalisten eine große Herausforderung und Bereicherung. Eine Bereicherung, weil dadurch eine andere Art des Arbeitens und andere Art von Content möglich ist. Es reizt mich als Journalist, immer wieder Neues erleben", sagt Peter Sempelmann beim PR-Tag, er ist beim "Wirtschaftsblatt" für digitale Medien und die Onlineaktivitäten des Verlags zuständig.

Beim "Wirtschaftsblatt" habe man bis vor einiger Zeit gemeint, Social Media sei nicht wichtig für ein Wirtschaftsmedium. Das habe sich geändert. Mittlerweile gibt es in Österreich rund 2,6 Millionen Facebook-Accounts, also sei doch ein relevanter Teil der "Wirtschaftsblatt"-Leser auf Facebook unterwegs. Und die Zahl der Twitter-Accounts sei sehr stark steigen.

Nachrichten am Tablett servieren

Sempelmann: "Als Journalist soll man sich dieser Entwicklung nicht verschließen." In Österreich sind die Menschen mit den meisten Twitter-Followern durchwegs Journalisten, zitiert er aus dem Social Media-Radar. Für Medienmacher sei es auch wichtig, auf Facebook vertreten zu sein. Vor allem, um zukünftige Leser dort abzuholen. Sempelmann: "Die Gruppe der Digital Natives beziehen ihre Infos aus Sozialen Netzwerken, die bekommen dort ihre Nachrichten am Tablett serviert."

Präsent bleiben

Fakt sei, dass den Medienhäusern die Kunden Zug um Zug abhanden kommen, die Infos würden aus anderen Quellen bezogen. Sempelmann: "Twitter, Facebook & Co ersetzen zunehmend Tageszeitungen, TV, Radio oder auch die klassischen Onlineportale. Wenn wir da als Medienhäuser und Journalisten nicht mitspielen, sind wir im Kopf dieser Konsumenten nicht so präsent, wie wir sein sollten."

Hinzu komme, dass der Content aus Social-Mediaplattformen eine wesentlich höhere Akzeptanz habe als andere Informationsquellen. Man finde dort Peergroups, die ein großes Vertrauen haben. Wichtig sei auch die Instant-Information, die vor allem Twitter möglich mache. Als Beispiel bringt er die Kurznachricht von Janis Krums mit einem Foto vom Flugzeug im Hudson River, das sich in Windeseile verbreitete, noch bevor eine Nachrichtenagentur darüber berichten konnte.

Schnellste Nachrichtenagentur der Welt

Twitter werde natürlich aktiv zur Informationsgewinnung genutzt, sei ein Recherchetool und "die schnellste Nachrichtenagentur der Welt", sagt Sempelmann und in der täglichen Arbeit so wichtig wie der Reuters-Account. Wenn man den richtigen Leuten folgt, bekommt man dort Informationen, die man sonst nicht bekommen würde.

Die zweite Art, wie Twitter den Journalismus verändert, sei der sogenannte Crowd Journalism. Hier bringt er das bekannte Beispiel von Paul Lewis, er ist "Guardian"-Redakteur in London. Lewis hat die Möglichkeit der Twitter-Community im Zuge der Riots in London genutzt, er wusste so, wo die Riots stattfinden, und hat direkt über Twitter darüber berichtet. Diese Berichterstattung wurde auch mit Preisen ausgezeichnet. Wie er das macht, erzählt er in diesem Vortrags-Video (Youtube).

Kaum noch exklusive Nachrichten

Beim "Wirtschaftsblatt" gibt es derzeit zwei Twitteraccounts, erzählt Sempelmann. Der erste sei ein automatisierter Feed, der jede halbe Stunde die aktuellen Meldungen der Website nach außen kommuniziert. Spannender sei der neue Ansatz, hier werden Redakteure angehalten, direkt von Veranstaltungen live zu kommunizieren. Diese zwei Channels könne man nicht mischen. 

Die nächsten Schritte beim "Wirtschaftsblatt" seien, dass alle Redakteure dazu gebracht werden sollen, einen eigenen Twitter-Account anzulegen. Derzeit würden etwa zwei Drittel der Redakteure Twitter noch gar nicht nutzen.

Manche hätten die Sorge, dass exklusive Meldungen durch Social Media zu schnell nach außen dringen, noch bevor der Artikel fertig sei und so auch andere Kollegen auf die Story aufmerksam würden. Sempelmann: "Aber heute gibt es kaum noch exklusive Geschichten, weil ohnehin alles über Soziale Netzwerke verbreitet wird." Die reine Nachricht, dass etwas passiert sei, wird in Zukunft kaum noch etwas wert sein. Die Aufgabe der Journalisten werde es sein, die Erklärung im Hintergrund dazu abzuliefern.

Scribble-Live-App

Ein Tool, das Journalisten die Arbeit einfacher mache, sei zum Beispiel die Scribble-Live-App. Damit könne man direkt in eine Homepage oder einen Blog hinein Fotos, Kommentare aus einer Veranstaltung schicken und auch Twitter- oder Facebook-Kommentare einbinden. Sempelmann: "Wenn man vor Ort ist, soll man diesen Ort des Geschehens auch nutzen um von dort aus Nachrichten zu liefern." Die Arbeit danach, das Erklären, erfolgt dann später.

Marktplatz

Facebook sieht Sempelmann als einen "Marktplatz für Nachrichten". "Wenn jemand Fisch kaufen will, geht er auf den Naschmarkt. Wenn jemand Fisch verkaufen will, dann sollte er ihn auch dort anbieten." Für Medienleute gehe es darum, diese Community bestmöglich zu bedienen. Dabei gehe es aber nicht so sehr darum, Links auf Artikel zu posten. Wichtiger sei vielmehr, einen eigenen Social Media-Content zu Themen, über die diskutiert wird, mit Videos, Audiofiles, Fotos zu liefern oder einen Einblick in die Arbeit der Journalisten zu geben. Das könne dazu beitragen, eine Markenbindung zu schaffen, die dann dazu führen kann, dass sich jemand vielleicht doch die Zeitung kauft oder sich eine Fernsehsendung ansieht. Die Community müsse freilich auch entsprechend betreut werden.

Als Beispiel wohin hier die Entwicklung geht, bringt er die Social-Media-App des "Guardian" auf Facebook. Sempelmann: "Einen ähnlichen Ansatz verfolgt auch das 'Wall Street Journal' oder auch die 'Kronen Zeitung' mit Krone.tv als Konkurrenz zum ORF".

Google+, SlideShare, Pinterest

Google+ wiederum sei in Österreich noch relativ wenig verbreitet. Für Journalisten sei es aber wichtig, dort vertreten zu sein, sagt Sempelmann. Auch aus folgendem Grund: Die Google-Search reihe Beiträge von Journalisten nach oben, die mit Bild und der Angabe des Mediums bei Google+ vertreten sind.

Auch SlideShare-Anwendungen seien für Journalisten ein interessantes Tool für die tägliche Arbeit geworden. Hier könne man oft Präsentationen und Unterlagen von Unternehmen finden, an die man sonst nicht so leicht komme. Pinterest sei in Österreich noch relativ wenig bekannt und auch urheberrechtlich bedenklich. Aber es gehe einen großen Boom in diese Richtung. Xing, LinkedIn diene eher der Kontaktpflege im Businessbereich.

Höhere Relevanz

Warum es also wichtig ist für Medien, auf Social Media vertreten zu sein, fasst Sempelmann so zusammen: "Social-Media-Beiträge haben in Suchmaschinen höhere Relevanz, dadurch ergibt sich auch eine Steigerung der Reichweite und eine bessere Klickrate. Der Rücklauf des Traffics auf Online-Portale liegt derzeit durchschnittlich zwischen fünf und zehn Prozent, beim "Wirtschaftblatt" ist dieser Wert bei ca. zwei bis drei Prozent."

Die Präsenz von Medien auf Social Media-Netzwerken steigere natürlich die Seher- beziehungsweise Leserbindung und diene der Image- und der Markepflege. Natürlich seien oft persönliche und individuelle Meinungen von Journalisten oft genau das, was die Menschen interessiert. Oft sei es eine Gratwanderung, hier das Private vom Beruflichen zu trennen.

Koordination und Steuerung

Natürlich sei die Social Media-Präsent für Journalisten und Medienhäuser mit Arbeit verbunden. Sempelmann: "Es braucht in den Redaktionen jemanden, der sich der Social Media-Agenden annimmt, sie koordiniert und steuert." Die Aufgabe dieser Social Media-Redakteure sei es, die Plattformen zu beobachten und herauszufiltern, welche Themen dort diskutiert werden. Es gehe darum, aus diesem Diskurs heraus relevante Themen zu finden, Geschichten, die die Community interessiert. Diese Redakteure repräsentieren das Medium nach außen und kümmern sich auch um den Diskurs mit der Community. Ohne Community-Management kann man keine Social-Media-Plattform betreiben. Nur einen Facebook-Account online zu stellen und auf Likes zu warten ist der falsche Ansatz."

Blogger einbinden

Was bedeutet diese Entwicklung für die Public Relations? Die tägliche Arbeit mit den Journalisten verlangte zunehmend auch Socal Media Relations. So wie es in Medienhäusern Social-Media-Redakteure geben soll, so soll es auch in PR-Agenturen oder Unternehmen Zuständige dafür geben. Auch Blogger sollten in die tägliche Arbeit integriert werden. Wie das geht, könne man bei Nokia beobachten. Hier würden extra Veranstaltungen für die Blogger-Community gemacht oder versucht, sie mit speziellen Themen zu bedienen, um nicht nur auf den klassischen Journalisten zu setzen.

Acht Millionen potenzielle Journalisten

Der Trend in der Pressearbeit gehe dazu, nicht nur auf Social Media seine Themen zu verbreiten sondern generell eine größere Community anzusprechen. Sempelmann: "Man hat es heute eben nicht mehr nur mit einer Handvoll Medien zu tun. Heute kann jeder mitreden, jeder seine Meinung abgeben. Aufgrund der Social Media-Plattformen gibt es in Österreich acht Millionen potenzielle Journalisten, genauso wie es acht Millionen Fußballtrainer gibt." Das sei sowohl für die klassischen Journalisten und Medienhäuser eine große Herausforderung als auch für Unternehmen, die in keiner Weise darauf vorbereitet sind und PR-Agenturen, die auch nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen."

Sempelmann zitiert den Zeitungsdesigner Mario Garcia: Journalisten, die glauben, dass sie ihre Arbeit so weitermachen könnten wie bisher, müssten in Pension gehen. "Man muss in diesem täglichen, minütlichen Konzert mitspielen und proaktiv mit der Community umgehen. Das ist eine große Herausforderung, die uns zeitlich immer wieder an unsere Grenzen bringt", sagt Sempelmann. (Astrid Ebenführer, derStandard.at, 4.6.2012)