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Auf dem Weg ins Gericht: Ex- Trader Jérôme Kerviel.
Der Name "Kerviel" steht für die größte Zocker-Affäre aller Zeiten: 4,9 Milliarden Euro setzte der französische Börsenhändler Jérôme Kerviel für seine Bank, die Société Générale, 2008 in den Sand. Das war just zu Beginn der Subprimes-Krise, weshalb der Fall auch zum Sinnbild einer entfesselten Finanzbranche wurde.
Kerviel erhielt 2010 in einem ersten Prozess wegen Betrugs, Computerfälschung und Veruntreuung von Firmengeldern fünf Jahre Haft, davon drei unbedingt - sowie die Auflage, die Verluste seinem Arbeitgeber zurückzuerstatten. Bei dem Salär, das er nach seinem Abgang bei der Société Générale in einer kleinen Computerfirma bei Paris bezog, müsste der Bretone dafür 177.000 Jahre lang arbeiten.
Kerviel, heute 35, will aber den Kopf nicht für das ganze "System" hinhalten. "Es kann nicht sein, dass die Bank nicht auf dem Laufenden war", meinte sein neuer Anwalt David Koubbi zum Auftakt des Berufungsprozesses, in dem er auf Freispruch plädiert.
Niemand habe sich an die damals gültige Schwelle von 125 Millionen gehalten: "Mein Job war es, für die Bank Geld zu machen." "Aber diese Limits waren sehr informell, und ich weiß nicht, ob andere Händler nicht auch so weit gingen."
Der Berufungsprozess dürfte bis Ende Juni dauern. Kerviels Staranwalt will neue Beweise präsentieren, welche die Mitwissenschaft der Société Générale (SocGen) belegen sollen. Außerdem greift er die Bank, Nummer drei auf dem Finanzplatz Paris, seinerseits wegen Fälschung an: Sie habe stundenlange Gesprächsaufnahmen mit beteiligten Tradern vor dem ersten Prozess um wichtige Stellen gekürzt.
SocGen reicht Gegenklage ein
Die SocGen sieht sich dadurch verleumdet und reicht deshalb Gegenklage ein. Nach dem ersten Urteilsspruch hatte sie relativ versöhnlich erklärt, sie habe nicht die Absicht, Kerviel "auf 177.000 Jahre zu verschulden". Das war aber nicht mehr als eine Konzession an die öffentliche Meinung, in der Kerviels harte Verurteilung auf Unverständnis gestoßen war.
In Wahrheit steht für die Société Générale fast mehr auf dem Spiel als für Kerviel, der die Megaverluste ohnehin nie zurückerstatten kann. Das Kreditinstitut litt imagemäßig stark unter der Affäre. An der Börse verlor es in letzter Zeit mehr Wert als Konkurrenzbanken wie BNP Paribas, die in Griechenland bedeutend stärker beteiligt waren. Die Ratingagentur Moody's stufte allerdings die SocGen, nicht aber BNP Paribas zurück. Zuvor hatte ihr die französische Bankenkommission wegen ungenügender Kontrollen in der Kerviel-Affäre eine Buße von vier Millionen Euro auferlegt.
Der neue, nach der Kerviel-Affäre ernannte SocGen-Chef Frédéric Oudéa beteuert zwar, er habe 180 Millionen Euro in neue Kontrollmechanismen im Front und Back Office gesteckt. Spekulationsgeschäfte machten nur noch drei Prozent seiner Aktivität aus.
Der Börsenanalyst Christophe Nijdam gibt allerdings zu bedenken, dass drei Prozent für eine Publikumsbank "nicht nichts" sei. Und selbst bei offiziell nichtspekulativen Geschäften gingen die Banken nach wie vor hohe Risiken ein; das zeige der Zwei-Milliarden-Dollar-Verlust der Bank JPMorgan und ihres ebenfalls französischen Traders Bruno Iksil. (Stefan Brändle aus Paris, DER STANDARD, 5.6.2012)