Thomas Vittner: "Auf einen Laien mag es den Anschein haben, als ob ein Trader zockt. Manche tun das bestimmt auch. Aber ich sehe mich als sehr konservativen Händler."

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Trading - nichts anderes als Statistik und der richtige Umgang mit Wahrscheinlichkeiten.

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derStandard.at: Sie sind selbstständiger Börsenhändler. Ein eher ungewöhnlicher Job. Wie sind Sie dazu gekommen?

Thomas Vittner: Für die Börse interessiere ich mich nun schon seit vielen Jahren. Der Anstoß war ein Seminar über fondsgebundene Lebensversicherungen, das mein Arbeitgeber damals veranstaltete. Ich war fasziniert von DAX und Co. und wollte sofort auf eigene Rechnung spekulieren.

Ich habe anfangs jedoch - wie alle - viel falsch gemacht und einiges an Lehrgeld bezahlt, "Versuch & Irrtum" eben. Nach ein paar Jahren mit herben Verlusten stellten sich aber erste Erfolge ein.

Eine Zeit lang betrieb ich meine Börsengeschäfte noch als Nebenjob und musste mir für Seminare, Fachmessen, Auftritte oder Roadshows Urlaub nehmen. Seit einigen Jahren bin ich nur selbstständiger Berufstrader, verwalte mein eigenes Vermögen und liebe meinen Job.

derStandard.at: Das klingt schön und gut. Aber ist Trading nicht ein Glücksspiel?

Vittner: Das ganze Leben ist ein Spiel. Wir gewinnen, wir verlieren - auch an der Börse. Wenn wir nicht alles auf eine Karte setzen, ist Verlieren nicht schlimm. Es ist nur wichtig, nach Niederlagen wieder aufzustehen.

Für mich sind Investoren die wahren Gambler. Sie halten einen Wert auf Gedeih und Verderb und gehen oft damit unter, während ich nach wenigen Tagen ein Geschäft beende. Trading ist nichts anderes als Statistik und der richtige Umgang mit Wahrscheinlichkeiten. Das ist so wenig sexy, wie es klingt. Auf einen Laien mag es dennoch den Anschein haben, als ob ein Trader zockt. Manche tun das auch bestimmt. Ich persönlich weiß, was ich tue, und sehe mich als sehr konservativen Händler, der Risiken scheut.

derStandard.at: Was ist der Unterschied zwischen Trading und Investing?

Vittner: Investing ist nach meiner Definition das Einbringen von Kapital in ein (Unternehmens-)Projekt. Also zum Beispiel der Kauf von Aktien. Dabei stehen Fundamentaldaten an erster Stelle. Weiters wird der Investor seine Beteiligung länger halten, damit er einen Wertzuwachs erzielt oder Dividenden kassiert.

Trading ist das meist kurzfristig orientierte Kaufen oder Verkaufen von Wertpapieren mit dem Ziel, Kursschwankungen auszunutzen. Fundamentaldaten interessieren einen Trader nicht oder nur am Rande. Er handelt vielmehr aufgrund bestimmter Ein- und Ausstiegssignale, die anhand der technischen Analyse oder der Chartanalyse ermittelt werden.

derStandard.at: Immer wieder werden Fälle bekannt, wo jemand Milliarden verspekuliert.

Vittner: Erfolgreiches Trading besteht aus zwei Komponenten: guter Technik und mentaler Stärke. Die Technik ist die Grundvoraussetzung. Wenn Sie ein schlechtes System traden, können Sie mental noch so stark sein, Sie werden damit keine Gewinne machen. Wenn Sie aber umgekehrt ein gutes System mental nicht bewältigen, weil natürlich auch dieses System Verlustphasen hat, werden Sie ebenso Schiffbruch erleiden. Bei den spektakulären Fällen, die in die Schlagzeilen kommen, handelt es sich meist um mentale Defizite. Denn wenn sich diejenigen verkalkulieren, die das große Geld bewegen - Banken oder Fonds -, sind es meist Angst oder Gier, die für diese Verluste ausschlaggebend sind, denn das nötige Fachwissen ist in diesen Häusern ganz bestimmt vorhanden.

derStandard.at: Was tun Sie eigentlich genau, wie und wo handeln Sie?

Vittner: Ich habe mich schon vor Jahren auf die US-Aktienmärkte spezialisiert und meine Systeme an diesen Markt angepasst. Was meinen Tagesablauf betrifft, werden Sie vermutlich enttäuscht sein. Der ist sehr langweilig. Ich arbeite von zu Hause aus und habe in der Woche eine Netto-Tradingzeit von 30 bis 60 Minuten. Ansonsten heißt es warten und das System arbeiten lassen.

derStandard.at: 60 Minuten Arbeit pro Woche?

Vittner: Ich arbeite mit einer Software, die mir aufgrund vorgegebener Einstellungen jeden Tag die Handelssignale für den aktuellen Börsentag auswirft. Das geschieht automatisch. Nun muss ich nur noch diese Signale an meinen Broker weiterleiten und eine entsprechende Einstiegsorder platzieren. In der Praxis mache ich das schon, bevor die US-Märkte nachmittags öffnen. Zusätzlich zur Kauforder schicke ich eine Ausstiegsorder mit. Ich buche also Hin- und Rückflug am Stück, wenn ich es mit einem Vergleich erklären darf. Dieser Prozess dauert keine 15 Minuten. Dann prüfe ich lediglich noch bei der Markteröffnung - nach unserer Zeit um 15.30 Uhr -, ob alle Orders sauber exekutiert wurden. Sobald alles im Kasten ist, muss ich die nächsten drei bis sechs Tage nichts mehr tun, weil im Regelfall mein ganzes Kapital gebunden ist.

Ich habe mein Trading also bewusst so gestaltet, dass ich möglichst wenige Ressourcen dafür brauche, weil für mich Intraday-Ansätze (das klassische Daytrading, Anm.) trotz einer möglichen höheren Rendite den Verlust der Lebensqualität nicht wert sind. Daytrader sitzen den ganzen Tag vor dem Rechner - ich hingegen genieße die freie Zeit. Ich bin ja vor allem deswegen Trader geworden, weil mich dieser Lebensstil fasziniert.

derStandard.at: Inwiefern?

Vittner: Frei sein, unabhängig sein, keinen Chef und keine Kunden zu haben. Einfach von überall aus arbeiten zu können, sofern es Strom und Internet gibt. Trading ist, wenn Sie so wollen, der schönste und gerechteste Job der Welt: Sind Sie gut, bekommen Sie. Sind Sie schlecht, verlieren Sie. Ohne Wenn und Aber.

derStandard.at: Sind Sie damit reich geworden?

Vittner: Ich kann von meinen Geschäften sehr gut leben, aber reich bin ich nicht. Ich greife auch mein Trading-Kapital nicht an, mache also keine oder nur kleine Entnahmen, damit der Zinseszinseffekt greift und das Konto größer wird. Durch den Börsenhandel habe ich eine ganz andere Einstellung zu Geld entwickelt. Es ist mir - für meine Arbeit - sehr wichtig und gleichzeitig - privat - nicht mehr besonders wichtig.

Wie soll ich das erklären? Geld ist die Basis meines Geschäftsmodells. Ohne Geld kann ich keine Trades absetzen und wiederum kein Geld verdienen. Natürlich ist Geld in jedem Business wichtig. Aber beim Trading ist das noch viel offensichtlicher. Aus diesem Grund bin ich heute sehr sparsam geworden und hinterfrage jede größere Anschaffung mehrmals.

Deshalb fahre ich einen sieben Jahre alten Mittelklassewagen, trage keine Markenklamotten und lebe in Wien in einer günstigen Wohnung und nicht auf den Cayman Islands in einer Steueroase. Ich habe aber trotzdem mehr als genug zum Leben und bin zufrieden. Vielmehr genieße ich den Tag, freue mich, dass ich nicht mehr in dem typischen Arbeitswahnsinn mit einer 50-Stunden-Woche mit grimmigen Chefs und mühsamen Kollegen gefangen bin und nutze die Zeit für Dinge, die ich gerne tue.

derStandard.at: Wie lernt man Trading?

Vittner: Indem man sich zuerst einmal für seinen gewünschten Zielmarkt interessiert, ihn beobachtet. Und dann, indem man damit beginnt, ein Regelwerk für diesen Markt zu entwickeln. Dazu sei angemerkt: Ein stimmiges Trading-System besteht aus weit mehr als dem Ein- und Ausstieg in einen bzw. aus einem Trade, obwohl ein Anfänger dahinter oft den Heiligen Gral vermutet. Essenziell sind ein gutes Risikomanagement sowie die Wahl des Portfolios, auf das Sie Ihr System handeln. All das zusammen macht eben ein gutes Trading-System aus. Wie man das genau macht, ist natürlich ein "Betriebsgeheimnis".

derStandard.at: Was verstehen Sie unter der vorhin erwähnten Portfolioauswahl und warum ist das wichtig?

Vittner: Wichtig ist es deshalb, weil jeder Markt anders zu handeln ist. Die Forex-Märkte (der Handel von Währungspaaren wie zum Beispiel Euro/US-Dollar, Anm.) erfordert ganz andere Herangehensweisen als das Trading an den US-Aktienmärkten. Futures wie den S&P tradet man anders als Gold. Aber auch Aktien sind unterschiedlich zu handeln. Wenn Sie ein System auf US-Märkte entwickelt haben, wird dieses System zum Beispiel bei ATX-Werten garantiert nicht funktionieren. Es ist ein Mythos, dass jede Strategie auf jeden Markt passt. Wenn Ihnen das jemand erzählt, dann nehmen Sie Ihr Geld und laufen Sie, so schnell Sie können.

derStandard.at: Was entgegnen Sie jenen, die sagen, Trading sei unverantwortlich oder unseriös?

Vittner: Was soll daran unseriös sein, wenn ich heute zum Beispiel Microsoft-Aktien kaufe und vier Tage später wieder verkaufe? Was ist daran unverantwortlich, wenn ich McDonald's shorte (auf fallende Kurse spekulieren, Anm.) und mich zwei Tage später wieder eindecke? Ich nutze lediglich das typische Marktverhalten zu meinem Vorteil.

Warum fragen Sie die Leute nicht, ob Sie unverantwortlich sind, wenn Sie bestimmte Produkte kaufen? Vieles wird heute in Entwicklungsländern produziert - unter teilweise unerträglichen Arbeitsbedingungen. Ist das verantwortlich? Ist es verantwortlich, mit dem Auto zu fahren, wenn wir doch wissen, dass wir wegen der Erderwärmung bald gehörige Probleme bekommen werden? Ist es falsch, Fleisch zu essen, weil die Tiere leiden müssen?

Ist es unverantwortlich, Fast Food, Zigaretten oder Waffen zu verkaufen? Diese Aufzählung könnte ich unendlich lange fortführen. Sie sehen schon, es gibt noch so viel, was man als unverantwortlich bezeichnen kann. Wer ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein, und jeder sollte vor seiner eigenen Türe kehren. Trading ist einfach nur ein Business, auch wenn es ganz anders funktioniert als andere Geschäftsmodelle.

derStandard.at: Apropos shorten: Die Leerverkäufe werden ja vielfach für die drastischen Kursrückgänge verantwortlich gemacht, und manche wollen sie untersagen. Wie sehen Sie das?

Vittner: Das ist ein Märchen, das den Leuten eingetrichtert wird, um einen Schuldigen zu finden. Fakt ist: Jeden Monat fließen weltweit große Geldbeträge in den Aktienmarkt, weil viele Menschen gerade in den USA auf diesem Weg für ihre Pension vorsorgen. Das tun sie im Regelfall aber nicht selbst, sondern Investmenthäuser, Pensionskassen oder Fonds. Dieses große Geld geht daher immer long (setzt auf steigende Kurse, Anm.). Die dürfen gar nicht shorten.

Wenn die Aktienmärkte nun fallen, dann geschieht das nur deswegen, weil die Großen ihre Long-Positionen auflösen und in Cash gehen und nicht, weil die bösen Trader leerverkaufen. Und dieser Verkaufsdruck kann von der Börse nur durch ein Herabsetzen der Kurse kompensiert werden. Leerverkäufe sind des Weiteren ein wichtiges Stützinstrument. An der New York Stock Exchange gibt es Marketmaker, deren Aufgabe es ist, zu shorten, um die Liquidität und den laufenden Handel sicherzustellen. Würde man das verbieten, wären die Märkte oft illiquid. Man hat ja gesehen, dass temporäre Shortselling-Verbote nichts daran ändern, dass die Notierungen weiter zurückgehen. Das Ganze ist ein Spiel von Angebot und Nachfrage, hat aber nichts mit dem angeblich bösen Shortselling zu tun. Doch leider haben unsere Politiker vom praktischen Börsenhandel keine Ahnung. (Sigrid Schamall, derStandard.at, 5.6.2012)