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Die Kombination aus Raketen, Ayatollahs und Nukleartechnologie beunruhigt den Westen seit geraumer Zeit.

Foto: Reuters/Morteza Nikoubazl

"Der Iran gibt sich gar keine Mühe, seine atomaren Ambitionen zu verbergen. Einer der führenden Politiker in Teheran, Ayatollah Mohadscherani, sagte jüngst: 'Die Moslems müssen ihre Zusammenarbeit fortsetzen und ihre eigene Atombombe produzieren, denn der Feind hat Nuklearwaffen.'"

Die Zeilen entstammen einem STANDARD-Bericht vom Jänner – allerdings nicht 2012, sondern aus dem Jahr 1993. Schon damals schränkte der Redakteur jedoch ein: "Fachleute glauben aber, daß der Iran noch gut zehn Jahre braucht, um dieses Ziel zu erreichen."

Das iranische Nuklearprogramm ist dieser Tage wieder in aller Munde. Warnungen, die Islamische Republik könnte Nuklearwaffen bauen, sind jedoch so alt wie die Islamische Republik selbst. Manchmal sogar älter. "Nuklearer Iran?", fragt die "New York Times" bereits 1975, als in Persien noch Shah Reza Pahlavi regiert. Eine Frage, die der Shah – damals Verbündeter des Westens – vehement verneint.

Doch die Berichte über die Atom-Ambitionen sorgen für Unruhe in den Medien, der Sturz des Shahs und die Einführung der Islamischen Republik verschrecken den Westen. Deutschland kündigt Verträge auf, die den Bau von zwei Nuklearreaktoren vorsehen. Nach der Geiselnahme von amerikanischen Botschaftsmitarbeitern schließt sich auch Frankreich Sanktionen des Westens an. Trotz des gewaltsamen Sturzes, der US-Botschaftserstürmung und der Einführung der Islamischen Republik gibt es verglichen mit späteren Jahrzehnten in den Medien wenige Warnungen vor Nuklear-Ambitionen des Iran. Stattdessen beschäftigt der Krieg mit dem Irak das Regime in Teheran und die Medien.

90er Jahre – Iran als "größte Bedrohung" für Israel

Das ändert sich in den 90er Jahren. Die "New York Times" berichtet nach der Fertigstellung eines Berichts der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) im Oktober 1991, dass einige Mitglieder des iranischen Regimes die "Absicht haben, Nuklearwaffen zu entwickeln". Besonders China, das Wissenschaftler in den Iran geschickt hat, um iranische Ingenieure auszubilden, macht amerikanischen Regierungsvertretern Sorgen.

"Atommacht Iran?", fragt DER STANDARD am 28. Februar 1992. "Mit dem Zerfall der Sowjetunion hat der Iran eine diplomatische Offensive zu seinen neuen islamischen Nachbarstaaten begonnen, die furchtsame Geister bereits von einer neuen Großmacht im Nahen Osten träumen läßt. Das Schreckgespenst eines Mullah-Regimes entsteht, das mit Hilfe sowjetischer Technologie bald über Atomwaffen verfügt." Der damalige CIA-Direktor und spätere Verteidigungsminister Robert Gates nennt das iranische Atomprogramm vor einem Kongressausschuss ein "ernstes Problem", DER STANDARD berichtet jedoch im August 1992, dass laut einer CIA-Untersuchung der "Iran bis jetzt noch sicher keine Einrichtungen zur Produktion von Atomwaffen" besitzt.

Für Israel, das in den 80er Jahren noch den Irak als großes Problem ansah und den Nuklearreaktor in Osirak angriff, stellt die Islamische Republik zu diesem Zeitpunkt bereits den "Feind Nummer eins" dar, wie der ehemalige Mossad-Agent Joseph Alpher der "New York Times" sagt.

1995 – Eskalation der Warnungen

1995 ist die Besorgnis über Russlands Lieferungen atomarer Technologie in den Iran das dominierende Thema. Die USA äußern Befürchtungen, dass die iranischen Atomanlangen dem Land ermöglichen würden, Uran anzureichern und Atombomben herzustellen. Der damalige russische Präsident Boris Jelzin beruhigt: "Im Iran wird nur ein Atomkraftwerk mit Leichtwasserreaktoren zur friedlichen Nutzung gebaut." Es werde nicht zur Lieferung einer Gaszentrifuge und damit zusammenhängender Anlagen kommen.

US-Präsident Clinton zeigt sich über die Lösung zufrieden – öffentlich. Denn hinter den Kulissen wächst die Besorgnis. In einem "New York Times"-Artikel aus dem Jahr 1995 warnen Vertreter der amerikanischen und israelischen Regierung davor, dass der Iran näher an der Herstellung von Nuklearwaffen ist, "als man bisher geglaubt hat". Der Iran werde in weniger als zehn Jahren Nuklearwaffen besitzen. Israelische Vertreter warnen, dass man einen Angriff in Betracht ziehen müsse, falls das Atomprogramm nicht gestoppt werde.

Als der Iran versucht, an Material und Technologie für die Herstellung von Mittel- und Langstreckenraketen zu gelangen, vervielfachen sich Artikel über das iranische Waffen- und Atomprogramm. 1998 berichtet die "New York Times" erstmals über die Herstellung der Shahab-3-Langstreckenrakete, die eine Reichweite von 800 Meilen (rund 1.300 Kilometer) haben sollen. Vor allem die russischen Materiallieferungen beunruhigen die Amerikaner: Unter anderem stoppen auch die österreichische Behörden eine Lieferung von Material, das zur Herstellung von Gefechtsköpfen verwendet werden kann. In einem Bericht an den US-Kongress 1998 warnt der ehemalige Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, dass der Iran Technologie und Material für eine Interkontinentalrakete bauen könnte, die fünf Jahre nach Erwerb einsatzfähig wäre und die USA bedrohen könnte.

2002 – "Die Achse des Bösen"

Nach dem 11. September 2001 – die USA marschieren in Afghanistan und später im Irak ein – bezeichnet der damalige US-Präsident George W. Bush den Iran als Teil der "Achse des Bösen" und markiert damit den Beginn von aggressiverer Rhetorik gegenüber der Islamischen Republik und ihrem Atomprogramm. Iranische Oppositionelle berichten 2002 vom Bau einer unterirdischen Einrichtung zur Anreicherung von Uran in Natanz.

2004 meint der damalige US-Außenminister Colin Powell, dass der Iran "ohne Zweifel" Atomwaffen baue. Ein Jahr später präsentieren die USA Dokumente, die aus einem Computer aus dem Iran stammen und Details über nukleare Waffenköpfe enthalten sollen. Wie schon beim Irak greift man auch dieses Mal auf eine Powerpoint-Präsentation zurück. Der Iran bezeichnet die Dokumente als Fälschung.

2006 – Zweifel

Ein Höhepunkt in der Kriegsrhetorik wird im Jahr 2006 erreicht. Der angesehene Journalist Seymour Hersh berichtet im Magazin "The New Yorker" von intensiven Kriegsvorbereitungen der Amerikaner. Dabei ist das Nuklearprogramm nur ein Teil der Doktrin. "Dieses Weiße Haus glaubt, dass das Problem nur durch eine Veränderung der Machtstrukturen im Iran gelöst werden kann, und das heißt Krieg," meint etwa ein Berater des Pentagon im Gespräch mit Hersh.

Doch durch das lauter werdende Kriegstrommeln wachsen auch die Zweifel an den Beweisen über das iranische Nuklearprogramm. Innerhalb des Pentagon wächst die Opposition gegen Angriffspläne von Präsident Bush. "Wo sind die Beweise?", wird ein ehemaliger Mitarbeiter eines Nachrichtendienstes im "New Yorker" zitiert. Der Iran sorgt unterdessen mit der Ankündigung, Touristen durch die Atomanlagen führen zu wollen, für einen bizarren Versuch der Entspannung.

Den nächsten Dämpfer bekommen Anhänger eines Angriffs auf den Iran im Jahr 2007, als im National Intelligence Estimate (NIE), in dem nachrichtendienstliche Erkenntnisse von 16 verschiedenen US-Geheimdiensten zusammengefasst werden, mit "hoher Sicherheit" davon ausgegangen wird, dass der Iran sein Atomwaffenprogramm im Jahr 2003 aufgegeben hat. Das unterstützt die immer stärker werdende Anti-Kriegsstimmung in den USA. Eine US-Mehrheit für einen Angriff scheint in weite Ferne gerückt – ebenso wie eine Mehrheit für einen republikanischen Präsidenten.

2009 – Obama und Verhandlungen

2009 zieht mit Barack Obama auch ein anderer außenpolitischer Ton ins Weiße Haus ein. Nach seinem Amtsantritt bemüht sich die amerikanische Regierung verstärkt um einen Dialog mit dem Iran. Ein Komitee des US-Senats beginnt seinen Bericht mit dem Satz: "Es gibt keine Anzeichen, dass die Führer des Iran einen Beschluss gefasst haben, eine Bombe zu bauen." Doch der Iran erwidert die auf Entspannung ausgerichteten Signale nicht. US-Außenministerin Hillary Clinton nennt die konziliantere Politik ein knappes Jahr später "einen Fehlschlag". Sanktionen von USA und EU folgen.

Zwar nimmt die aggressive Rhetorik von amerikanischer Seite im Vergleich zu den Bush-Jahren deutlich ab, das Atomprogramm wird allerdings weiterhin kritisch beobachtet. Hinter den Kulissen wird es auch bekämpft: So richtet der Computer-Virus Stuxnet erheblichen Schaden an den iranischen Zentrifugen an. Im November 2011 schlägt die IAEO Alarm: Zum ersten Mal gebe es "glaubwürdige" Hinweise auf ein Programm des Iran zum Bau von Atomwaffen. Der Sturm auf die britische Botschaft in Teheran und die iranische Verweigerung von Zugeständnissen führen zu Isolation und weiteren Sanktionen. Verhandlungen bleiben bis dato ergebnislos. Das nächste Treffen zwischen IAEO und iranischen Vertretern ist für Freitag angesetzt. (Stefan Binder, derStandard.at, 5.6.2012)