Foto: Christoph Pirnbacher
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Nein, eine Kollektion über den Arabischen Frühling sei das nicht - definitiv nicht. Für einen Moment klingt Nedra Chachoua sehr bestimmt. Sie hat sich in ihrer Diplomkollektion an der Universität für angewandte Kunst in Wien mit ihrem Herkunftsland Tunesien auseinandergesetzt. Mit den Erinnerungen, die sie an ihre Kindheit in Bizerte hat, dem Haus auf dem Hügel, den intensiven Farben, der Natur und dem Strand. Politik, sagt sie, interessiere sie dagegen weniger.

Muss sie ja auch nicht. Die Neunundzwanzigjährige schwärmt lieber von den luftig-leichten Djellabbas, den traditionellen Übergewändern, die man in Tunesien trägt, von den tollen Stoffen und den handwerklichen Raffinessen, die sie bereits seit ihrer Kindheit faszinieren. Das ist das Bild von Tunesien, dem sie mit ihrer Kollektion Tribut zollen wollte.

Modische Wurzeln

Es ist das erste Mal, dass sich Chachoua modisch mit ihrer Herkunft auseinandersetzt. Geboren ist sie in Österreich, gemeinsam mit ihrer Familie verbrachte sie aber immer wieder Zeit in Tunesien. Lange, sagt sie, habe sie das Land weniger interessiert. "In meiner Familie gelte ich als die Österreicherin." Im Unterschied zu ihren zwei Geschwistern spricht sie Arabisch mit einem kleinen Akzent, für arabische Musik konnte sie sich nie erwärmen. Im Zuge der Revolution in Tunesien sei ihr das Land aber wieder nähergerückt. "Ich habe mir Sorgen um meine Familie gemacht, habe häufig mit meinen Cousinen telefoniert." Über Politik wurde dabei wenig geredet, dafür umso mehr über das Schicksal der Familie. Keine Frage, eine Kollektion über den Arabischen Frühling hat Nedra Chachoua nicht entworfen, ohne den Umsturz in Tunesien hätte ihre Abschlusskollektion aber anders ausgesehen.

Chachoua ist jemand, der sich über ein Bild, eine Stimmung an Mode annähert - und ihr dann am liebsten über das Handwerkliche zu Leibe rückt. Mit 14, sagt sie heute, wäre ihr bereits klar gewesen, dass sie Mode machen wolle. Sie näht und stickt und besucht nach der Matura das Modekolleg in der Herbststraße. "Da habe ich gelernt, wie wichtig gute Stoffe sind, dass die Verarbeitung perfekt sein muss." In der Modeklasse der Wiener Angewandten lernt sie dann zuerst unter Professorin Veronique Branquinho, später unter Bernhard Willhelm, dass das Handwerkliche zwar wichtig, aber nicht alles ist. Sie experimentiert und lotet Extreme aus. "Schlussendlich bin ich dort gelandet, wo mein Herz am lautesten schlägt" - bei cleanen Looks, aufwändigen Details und hochwertigen Materialien. "Es war mir wichtig, dass ich jedes Stück auch selbst gern tragen würde."

Palmen und Holz

Diese persönliche Note merkt man der Mode der Designerin an. Sie verwendet ausschließlich hochwertigste Naturfasern, auf Blusen und Strickpullis stickt und appliziert sie kleine Palmen, eine luftige Tunika bedruckt sie so mit einem Schaumdruck, sodass eine Art Holzmaserung entsteht, bei Shorts kombiniert sie Glatt- und Rauleder, Bananen zieren streng geschnittene Blusen und Karottenhosen, die grüne Marlene-Hose ist aus Crépe Marocain. Keine Frage: Chachouas Kollektion könnte eins zu eins in jedem Showroom hängen. Das ist bei einer Studentenkollektion selten der Fall.

Und dann natürlich die Accessoires: Die hölzernen Brillen, die mit Stoffen überzogenen Schuhe und die metallenen Armreifen mit Baumrinde sind in Zusammenarbeit mit Nedra Chachouas Mann entstanden, der sich gerade auf Produktdesign spezialisiert. Sie nehmen das auch in manchen Innenfuttern präsente Holzmotiv auf und geben der Kollektion zusätzlich eine verspielte Note. Der cleane Look wird ein Stück weit aufgebrochen. Die Gegensätze, die das Leben der Designerin bestimmen, finden sich in ihrer Mode wieder.

Das gefiel auch der Jury des Modepreises des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur. Gemeinsam mit der Designerin Tina Elisabeth Reiter war Chachoua für den Preis nominiert. Bekommen hat sie ihn schlussendlich nicht. Dafür heimste sie dann allerdings den Rondo-Vöslauer-Modepreis ein. (Stephan Hilpold, Rondo, DER STANDARD, 8.6.2012)