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BettlerInnen-Feindlichkeit ist Roma-Feindlichkeit.

Foto: AP Photo/Volker Wiciok, File

Vor ein paar Tagen hat der "Kurier" die BettlerInnen-Diskussion wieder aufgewärmt: "Trotz Verbots: immer mehr Bettler in den Städten", titelte er: Weder in Graz, noch in Wien, noch in Salzburg hätten die in den vergangenen Jahren eingeführten strengeren Gesetze gegen öffentliches Handaufhalten (gegen die beim Verfassungsgerichtshof Klagen anhängig sind), zu weniger Bedürftigen auf den Straßen geführt, werden ein Polizist, ein Politiker und eine Person zitiert, die den Bettlern zu helfen versucht. Dafür steige die Zahl von Anzeigen kontinuierlich an: In Wien etwa seien es heuer bis April 555 gewesen und damit schon halb so viele wie 2010 im ganzen Jahr (1100 Anzeigen).

Tatsächlich stören sich in ganz Österreich viele Mitmenschen an den ärmlichen Gestalten, die Passanten um Geld angehen. Die BettlerInnen seien "aggressiv", klagen etliche, in den Städten könne man keinen Weg mehr machen, ohne dass dieser durch mehrere Bittende verstellt werde. Agieren diese darüber hinaus offensiv, indem sie auf Passanten aktiv zugehen, statt einfach dazustehen oder -sitzen und zu warten, ob Münzen für sie abfallen, so wird das rasch als Bedrohung empfunden. Von "organisierten Banden" ist dann die Rede, gegen die man härter vorgehen müsse. Dem Salzburger Vizebürgermeister Harald Preuner (ÖVP) schwebt laut "Kurier" gar eine "eine österreichweite Bettlerdatenbank" vor.

Das wäre nichts anderes als eine AusländerInnen-Armenkartei. Und: Ihre Erstellung käme einer ethnischen Erfassung gleich, mit rassistischen Beiklängen. Auch insgesamt ist die Ablehnung der BettlerInnen in Österreichs Städten im Grunde Ablehnung, sich mit den erschreckenden Lebensrealitäten einer Volksgruppe zu konfrontieren: der europäischen Roma.

AußenseiterInnen seit Jahrhunderten

Tatsächlich gehören die öffentlich Hilfsbedürftigen fast alle dieser vor allem in Ost-, Südost- und Südeuropa großen Minderheit an; die Zahl einheimischer BettlerInnen ist verschwindend gering. BettlerInnen-Feindlichkeit ist Roma-Feindlichkeit, ist Abschätzigkeit einem Volk gegenüber, das in Europa bereits seit Jahrhunderten eine Außenseiterrolle einnimmt.

Wie massiv heute die Benachteiligung der Roma ist, sodass sie vielfach keinen anderen Ausweg haben, als durch Betteln über die Runden kommen, wird aus den Ergebnissen einer repräsentativen Studie der EU-Grundrechtsagentur (FRA) klar, die Ende Mai veröffentlicht worden ist. Sie bietet erstmals einen statistischen Bogen, einen Vergleich von sozioökonomischen Eckdaten aus elf EU-Staaten: Bulgarien, Tschechien, Griechenland, Spanien, Frankreich, Ungarn, Italien, Polen, Portugal, Rumänien und der Slowakei: jenen EU-Staaten, in denen am meisten Roma leben. Die mitfinanzierende Weltbank hat zusätzlich lokale Studien in Moldau, den Nachfolgestaaten Jugoslawiens sowie Albanien durchgeführt.

Dabei stellte sich zum Beispiel heraus, dass rund 90 Prozent der Roma in Haushalten leben, die weniger Geld als die im jeweiligen Land geltende Armutsgrenze zur Verfügung haben. Dass in 45 Prozent der Roma-Haushalte mindestens eine der folgenden Grundausstattungen fehlt: Stromversorgung, Küche, Toilette, Dusche/Bad. Und, dass in 40 Prozent der Roma-Haushalte im Monat vor Befragung jemand hungrig ins Bett gehen musste, weil schlicht das Geld für Essen gefehlt hatte. In Rumänien liegt dieser Anteil sogar knapp über 60 Prozent, in Griechenland knapp darunter, in Italien um die 50 Prozent: Akute Armut, wie man sie sonst aus Entwicklungsstaaten kennt. 

Elend "vor der Haustür"

Das sind die Zustände, aus denen die BettlerInnen kommen, die auf den Straßen in Österreichs Städten manche stören: Es sind Zustände sozusagen "vor der Haustür", in Europa selbst. Die Situation ist schlimmer geworden. In den Oststaaten - wo am allermeisten Roma leben, habe sich - so Roma-ExpertInnen, etwa von der Caritas - deren Lage in den vergangenen Jahrzehnten stark verschlechtert: Im realen Sozialismus hatten viele von ihnen immerhin Arbeit in der Schwerindustrie, überall dort, wo es gefährlich und giftig war, sodass Nicht-Roma die Jobs scheuten. Die Industrie ist weg, mit massiver Verarmung der Roma als Folge.

Menschen suchen nach Auswegen. Für etliche verarmte Roma liegen diese in Fahrten ins reichere Ausland, mit der Hoffnung auf Arbeit. Diese erfüllt sich meist nicht. Manche bekommen eine Chance als VerkäuferInnen von Straßenzeitungen, manche kommen direkt, um hier zu betteln. Die unlauteren Motive, die ihnen unterstellt werden, etwa, dass sie von reichen Roma gezielt zum Betteln geschickt werden, treffen nicht zu. Hier kommen bei den Einheimischen Bedrohungsbilder hoch, die althergebrachten Vorurteilen gegen die Gruppe der "Zigeuner" entsprechen. Das sollte mit bedacht werden, wenn wieder einmal von der "Bettel-Mafia" die Rede sein sollte. (Irene Brickner, derStandard.at, 9.6.2012)