Im Chinook-Transporthubschrauber auf dem Weg von Salerno zum Gefechtsvorposten Zormat, Paktiya-Provinz.

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Schild am Flugfeld der Forward Operating Base Salerno. "This is Sparta". Der Name der in der Provinz stationierten Brigade ist Task Force Spartan.

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Franz-Stefan Gady, freier Journalist und sicherheitspolitischer Analyst am EastWest Institute in New York, ist für ein paar Wochen mit der Task Force Spartan, 4. Brigade Combat Team (Airborne) der 25. amerikanischen Infanteriedivision in den Provinzen Khost und Paktia im Osten Afghanistans unterwegs. Derzeit ist er auf der Forward Operating Base Salerno (siehe Karte).

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Dieser Vorfall ereignete sich schon vor ein paar Tagen, doch wegen einer Nachrichtensperre - das US Militär bezeichnete es als "Blackout" - kann ich erst heute darüber berichten. Stirbt ein Soldat im Dienst, verhängt die Armee eine 48 Stunden lange Nachrichtensperre, um die Angehörigen des Gefallenen persönlich informieren zu können.

Kurz nach meiner Ankunft auf der Forward Operating Base Salerno im Osten Afghanistans sollte ich mich mit einem gewissen Unteroffizier, der einen Teil meiner Reise organisiert hatte, zum Frühstück treffen. Als ich morgens meine Unterkunft Richtung Cafeteria verließ, traf ich auf Captain Spears mit kreidebleichem Gesicht. "Unteroffizier XXX wurde heute Nacht verwundet! Ich muss sofort ins Krankenhaus, um nach ihm zu sehen." Das war also der Grund für die Lautsprecherdurchsagen mitten in der Nacht.

Spalier als Ehrerbietung

Später im Public Affairs Office wurde mir mitgeteilt, dass in den frühen Morgenstunden ein gepanzertes Fahrzeug eines Konvois auf eine IED (Improvised Explosive Device, eine unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung) gefahren war und drei Mann, inklusive Unteroffizier XXX, verwundet wurden. Ein Soldat starb. IEDs sind für 80 Prozent der NATO-Verluste hier in Afghanistan verantwortlich. Der Tote war mit seiner Einheit in Salerno stationiert.

Am Nachmittag wohnte ich also einer Zeremonie bei, die tausendmal in den letzten elf Jahren in Afghanistan und im Irak stattfand: die Hero Ceremony, Verabschiedung und letzte Ehrerbietung an einen gefallenen Kameraden. Um 4.15 Uhr am Nachmittag stand der ganze Stützpunkt (mit Ausnahme des Wach- und Flugpersonals) still. Soldaten fanden sich auf der langen, geraden Straße ein, die zum Flughafen führt, und formierten sich beiderseits zum Spalier.

"Sonnenbrillen abnehmen"

Auch ich reihte mich am Straßenrand inmitten der Soldaten ein. Ich musterte die jungen Gesichter der Soldaten und Soldatinnen. Alle blickten stumm und in Gedanken versunken zu Boden, die Arme am Rücken verschränkt. Auch einige ältere Zivilisten fanden sich ein. Die Nachmittagssonne brannte herunter. "Take your sunglasses off!", ertönte plötzlich ein Befehl. An die 400 bis 500 Soldaten standen wohl hier aufgereiht, um ihrem Kameraden die letzte Ehre zu erweisen. Ein weiteres Kommando: "Attention!" Obwohl ich in Zivilist bin, klickte auch ich instinktiv mit den Füßen zusammen und presste meine Fäuste gegen die Hosennaht.

Langsam zog die Prozession mit dem Gefallenen an uns vorbei: ein Geistlicher, die Bahre, geschoben von zwei Soldaten, auf der der Plastiksack mit dem Toten lag, geschmückt mit einer amerikanischen Flagge, dahinter ein paar Angehörige seiner Einheit, alle kreidebleich. Im langsamen und gleichen Schritt ging es Richtung Rollbahn, wo eine C-130 bereitstand. Soldaten salutierten, ich legte meine rechte Hand auf mein Herz und senkte meinen Kopf. Als die Bahre in das Flugzeug gehievt wurde, ertönte ein weiterer Befehl: "Prepare for prayer!" Alle Soldaten an der Straße knieten nieder und senkten ihre Köpfe.

Ich konnte einige Leute leise Gebete flüstern hören. Nach einigen weiteren Minuten ertönte der letzte Befehl: "Dismissed!" Der Sarg war endlich in den Bauch des Flugzeuges geladen, und die Rampe wurde geschlossen. Die sterblichen Überreste würden nun weiter nach Bagram und von dort in die USA, an seine Angehörigen überstellt werden. Der Tote war meines Wissens nur 20 Jahre alt. Nach einigen Augenblicken ging die ganze Truppe wieder zum Tagesgeschehen über und verstreute sich auf die einzelnen Ecken des Stützpunktes. 

Gefechtsabzeichen

Am Abend traf ich endlich Unteroffizier XXX. Er hatte einen Granatsplitter abbekommen, ansonsten aber war er in relativ guter Verfassung. "Das passiert, wenn du in der Cafeteria deine Essenskarte nicht dabei hast!", scherzte er. Ein Soldat in der Public-Affairs-Baracke erzählte mir später, dass Unteroffizier XXX über den toten Soldaten aus dem Wrack hatte gezogen werden müssen. "Das steckt man nicht so einfach weg, physisch vielleicht, aber psychologisch ist keiner mehr derselbe nach so einem Angriff. Glaub mir, ich weiß, wovon ich rede." Ich sah auf die Uniform des Soldaten. Er trug das Gefechtsabszeichen, das nur Soldaten verliehen wird, die in Kämpfe verwickelt waren. (Franz-Stefan Gady, derStandard.at, 12.6.2012)