Öl auf Raster: "Porträt A. H." (1969) von Reinhard Voigt.

Foto: Studio Schaub, Köln, Reinhard Voigt

Das Raster. Es trägt. Es ist Stützkorsett, Medium und Ausdruck. Es schafft Ordnung. Dazu Überblick und Regelmäßigkeit. Und es setzt Normen. Dicke Bücher über den Einsatz des Rasters und von Rastern gibt es mittlerweile für Designer. Die bildende Kunst hat dieses serielle Muster längst für sich entdeckt. Der Pop-Artist Roy Lichtenstein ist ohne Raster gar nicht vorstellbar, nichts von Op-Art oder Minimal Art und kaum etwas von Piet Mondrian. Umso verwunderlicher, dass es keine Ausstellung über das Raster in der Kunst seit 1945 gegeben hat. Bis jetzt. Denn Simone Schimpf, Kuratorin des Kunstmuseums Stuttgart, hat sich daran gewagt.

Wagemutig ist das, weil das Motiv kaum zu bändigen ist, scheint es doch in tausenderlei Variationen auf. Konstruktivistisch streng bei Horst Bartnig, der mit einem 70-teiligen Bilderzyklus vertreten ist. Asketisch konzeptuell bei Hanne Darboven und Olaf Nicolai. Spielerisch und subversiv aufgelöst tritt es bei Sigmar Polke auf, dreidimensional in einem für die Schau entstandenen begehbaren Raum Katharina Hinsbergs, bedrohlich in der Skulptur Cube Mona Hatoums, ins Negative gewendet auf den Architekturfotografien eines Günter Förg. Und atemnehmend bedrohlich in Chris Oakleys The Catalogue.

Schein von Aktualität

In vier Kategorien hat Simone Schimpf den Parcours mit 250 Arbeiten von 50 Künstlern in Erdgeschoß und Souterrain eingeteilt. Sie lauten: "Ins Raster passen", "Mediales Raster", "Durchs Raster fallen" und " Rasterfahndung". Letztere ist inzwischen allgegenwärtig. Denn auch die Suchalgorithmen von Google, Amazon e tutti quanti sind nichts anderes als Raster. In sich sind die Kapitel mit wenigen Ausnahmen chronologisch arrangiert. Dabei geht die gesellschaftliche Aktualität, die gleich zu Anfang mit Sarah Morris' Film Midtown von 1998 und vor allem mit Jürgen Klaukes Antlitzen aufblitzt, einer wandhohen Serie mit gerasterten Fahndungs- porträts, nie verloren.

Die Schau rutscht nie ins rein Dekorative ab, ist nie nur schön anzuschauende Kunst. Das bewirkt auch die kluge Hängung, die mit ironischen Brechungen spielt. So wird gleich im ersten Raum eine Arbeit Josef Albers' aus Homage to the Square konterkariert von einer meterlangen Serie von Attila Kovács, in der er sämtliche statistisch mögliche Quadratanordnungen von Albers durchspielt und dabei die Farbklangexerzitien des Bauhäuslers ins Leere laufen lässt - weil Kovács mit Bleistift auf Papier zeichnet und das Ganze unter Glas setzt.

Gerhard Richter ist ebenso vertreten wie Heimo Zobernig. Die Gruppe Zero mit Gitterarbeiten von Günther Uecker, François Morellet, Jan J. Schoonhoven und Gianni Colombos Spazio elastico. Dessen Nylonfadenrasterwerk verweist schon auf die Strenge und kompositorische Stringenz der Minimal Art Carl Andres oder Sol LeWitts. Sigmar Polke griff in den 1960ern wie Roy Lichtenstein das Raster als Signum der massenmedialen Konsumgesellschaft auf, ihre Rasterpunkte bliesen sie grotesk auf.

Renommierte Positionen, von Christopher Wool etwa, werden ganz junger Kunst zur Seite gestellt. Hie und da verschwimmt die Qualität sacht, rutscht die Auswahl ins Punktuelle ab. William Betts' Gemälde, vor allem Chris Oakleys Videoarbeit führen dann aber beängstigend vor Augen, wofür Raster auch dienen: als Einordnungs- und Kontrollkategorien. In Oakleys Film Catalogue, montiert aus den Rasterbildern von Überwachungskameras einer Shoppingmall, werden fiktive Kundenprofile erstellt. Dieser Bilder-Atlas ist Zuweisungszwang und Konsumunterwerfung in einem. Das Chaos hat uns wieder: als Raster. (Alexander Kluy aus Stuttgart, DER STANDARD, 12.6.2012)