Wien - Der "Staat" ist ein abstrakter Begriff. Um ihn denkbar und greifbar zu machen, mussten Autoren, Filmemacher und Theoretiker in der Zwischenkriegszeit auf verschiedenste Konstruktionen und Zuschreibungen zurückgreifen. Diese "Bilder des Staates" untersuchte ein interdisziplinäres Forscherteam der Universität Wien, erklärt Projektmitglied und Germanistin Sabine Zelger im Gespräch. Die Ergebnisse, in drei Publikationen verpackt, werden unter dem Titel "Staat denken hören lesen" am Dienstag in Wien präsentiert.

Wie wurde Staat damals gedacht? "Am häufigsten sind dem Staat männliche Werte und maskulinistische Züge eingeschrieben. Stärke- und Dominanzaspekte stehen im Vordergrund. Es gab die Vorstellung eines homogenen Staates, Teile der Gesellschaft wurden schlicht ausgeblendet", so Zelger. Aber es existierten auch Alternativmodelle wie zum Beispiel die sozial-marxistischen Staatsvorstellungen, die Institutionen, die ökonomischen Verhältnisse und auch den Staat selbst infrage stellten. Die demokratischen Bemühungen der Zwischenkriegszeit wurden vor allem im analysierten Theoriediskurs kritisch betrachtet, erläutert Zelger.

Weg vom gängigen Kanon

Untersucht wurden Romane, Dramentexte, Filme aber auch staatstheoretische Texte der Zwischenkriegszeit. Dabei war das fünfköpfige Team aus Politikwissenschaftern und Germanisten darauf bedacht, nicht nur den gängigen Kanon einzubeziehen: "Wir wollten weg von den großen österreichischen Autoren und nicht immer nur Musil oder Broch, sondern auch unbekannte oder weibliche Autoren", sagt Zelger. Diese hätten sich eher mit zeitgenössischen Themen auseinandergesetzt. Zusätzlich wurden Experten aus den jeweiligen Gebieten herangezogen - so etwa Politikwissenschafterin Eva Kreisky und Filmhistoriker Frank Stern.

Im Fokus standen sowohl Gesamtkonzepte des Staates wie etwa demokratische, utopische oder autoritäre Vorstellungen, als auch einzelne Begriffe bzw. Topoi. Bilder des Staates sind also gleichzeitig auch Darstellungen einzelner Bestandteile wie etwa Masse, Parteien oder die Uniform als verstaatlichte Bekleidung.

Dabei kam es für die Forscher auch immer wieder zu Überraschungen und Abweichungen zwischen fiktionalen Vorstellungen und historischem Kontext. So tritt zum Beispiel die Polizei in Film und Literatur der Zwischenkriegszeit keineswegs nur als bedrohliche Staatsgewalt auf, sondern wird auch in ihrer ordnungsstiftenden Funktion wahrgenommen - etwa als Polizist, der ein kleines Kind nach Hause bringt, so Zelger. (APA, 11.6.2012)