Immer den Durchblick bewahren: Die kleinen Wölfe aus Ernstbrunn komplettieren die vier Rudel, die im Wolf Science Center gemeinsam mit Hunderudeln gehalten werden, um ihr Verhalten zu vergleichen. Die reizenden Knäuel werden in einem Jahr bis zu 50 Kilo wiegen.

Foto: Corn

Was einmal ein großer, starker Wolf werden will, der muss nicht nur viel fressen, sondern auch viel schlafen - und das tun die vier grauen Wolfswelpen im Wolfsforschungszentrum Ernstbrunn ausgiebig. Sie liegen eng an eine Betreuerin und aneinander gekuschelt direkt am Maschendrahtzaun ihres Geheges und gönnen sich eine kleine Auszeit. Die Menschen auf der anderen Seite, die ihnen begeistert dabei zusehen, stören sie offenbar nicht. Anfang Mai sind sie im zarten Alter von vier Wochen aus den USA eingeflogen worden und haben sich rasch eingelebt.

"Bis jetzt haben wir vier Rudel von erwachsenen und halbwüchsigen Wölfen" , sagt Friederike Range vom Messerli-Forschungsinstitut an der Veterinärmedizinischen Universität Wien, eine der Leiterinnen des Wolfsforschungszentrums, das im Weinviertler Wildpark Ernstbrunn Unterschlupf gefunden hat. Wer dabei Moglis vielköpfige Familie aus dem Dschungelbuch vor sich sieht, muss das Bild rasch korrigieren: Zwei der Ernstbrunner Rudel bestehen aus drei Tieren und die anderen beiden aus jeweils zwei. Zusätzlich gibt es drei Hunderudel zu vier bis fünf Tieren, die genauso aufgezogen und gehalten werden wie die Wölfe, um Verhaltensvergleiche zwischen den beiden Arten anstellen zu können.

Auch wenn die Welpen extrem knuddelig sind, sind sie nicht in erster Linie hier, um bestaunt zu werden, sondern um die Stichprobengröße der Forscher zu erhöhen. "Die ersten Tests haben sie im Alter von vier Wochen absolviert", erklärt Range, während sie uns das große Freigehege öffnet. Das Welpenhaus, in dem sie rund um die Uhr mit einer ihrer neuen Betreuerinnen leben, ist zusätzlich von einem kleinen Innengehege umgeben. Doch welche Tests kann man mit so jungen Tieren schon machen?

Präferenztests zum Beispiel, wie Range ausführt: Dabei wird der Welpe erst in einem ihm unbekannten Raum für kurze Zeit allein gelassen. Danach kommt er in ein Zimmer, in dem zwei Menschen sitzen, von denen er einen kennt, den anderen nicht. In den nächsten fünf Minuten wird festgehalten, wessen Nähe das Tier eher sucht. Dieselben Versuche werden auch mit den Ernstbrunner Rudelhunden durchgeführt, um zu klären, ob beide Arten imstande sind, den Menschen als einen Faktor zu verwenden, der ihnen Sicherheit gibt.

Auch, wie sie auf neue Objekte reagieren, wird untersucht: Besonders bewährt hat sich dabei ein kleines Auto, das mittels Fernsteuerung langsam vor sich hinfährt. "Man sieht da deutlich die verschiedenen Persönlichkeiten", erzählt die Wolfsforscherin, "die einen schrecken sich vor dem Fahrzeug, die anderen springen drauf oder knabbern es an." Diese Tests werden mit fortschreitendem Alter der Wölfe und Hunde immer wieder gemacht, um zu sehen, ob und wie sich die Persönlichkeit der Tiere im Lauf ihres Lebens verändert.

Nicht mit Wölfen anlegen

Außerdem trainieren die Jungwölfe die wichtigsten Anordnungen, wie "Sitz" oder "Platz", um notwendige Untersuchungen zu erleichtern. Allerdings: " Unsere Wölfe lernen kein richtiges Nein", sagt Range, "man kann sich als Mensch nicht erfolgreich auf eine Auseinandersetzung mit einem Wolf einlassen." Dann hebt sie ihre Kamera hoch. "Wenn sich also die Welpen die Kamera schnappen würden, hätte ich keine Möglichkeit, sie ihnen wieder wegzunehmen, außer ihnen stattdessen etwas Besseres anzubieten." Zusätzliche Instruktionen für den persönlichen Kontakt mit den Jungtieren: kein Festhalten, kein Zurückschrecken, auch nicht, wenn sie einem das Gesicht lecken. "Es ist sehr unhöflich, sich wegzudrehen, man kann aber die Lippen zusammenkneifen, damit man nicht einen Zungenkuss kriegt."

Wie sich gleich darauf herausstellt, kommen die Besucher nicht in Verlegenheit: Die Welpen ignorieren sie souverän und stürzen sich begeistert auf Guinness, Ranges Border-Collie-Hündin, die das erste Mal mit dabei ist. In der Zwischenzeit sind noch zwei Welpen auf der Bildfläche erschienen: Während die vier grauen Jungen von zwei Würfen aus den USA stammen, kommen der schwarze und der helle Welpe aus Kanada. Sie sind drei Wochen jünger als die restliche Meute, nicht einmal halb so groß wie diese und wirken noch etwas unsicher auf den Beinen. Sie dürfen auch noch nicht mit den Größeren spielen, sondern bleiben hinter dem Zaun.

Nach einigen Minuten nähert sich dann doch ein Welpe an, leckt oder knabbert vorsichtig an den dargebotenen Fingerknöcheln oder lehnt sich auch einmal ein bisschen an. Die Versuchung, ihn in den Arm zu nehmen, ist groß. "Bitte nicht über ihn drübergreifen", wirft Range ein, "das wird als bedrohlich empfunden. Und alles, was ihnen als Welpen Angst macht, gefährdet unsere eigene Sicherheit, wenn sie erwachsen sind." Angesichts der reizenden Kleinen ist es leicht zu vergessen, dass sie schon in einem Jahr eine Schulterhöhe von 70 bis 90 Zentimetern und ein Gewicht von 40 bis 50 Kilo haben werden.

Angst vor Menschen nehmen

Doch nicht nur wegen der Sicherheit der Forscher ist es wichtig, dass die Ernstbrunner Wölfe keine wie immer gearteten schlechten Erfahrungen machen: "Wenn die Tiere Angst vor Menschen haben, messe ich bei Versuchen nicht ihre Fähigkeiten zur Problemlösung, sondern nur ihre Fähigkeit, so schnell wie möglich aus dem Versuchsraum rauszukommen", erklärt Range.

Um eine stressfreie Zusammenarbeit zwischen Wölfen und Menschen überhaupt zu ermöglichen, müssen die Jungen innerhalb der ersten zehn Lebenstage von der Mutter getrennt und handaufgezogen werden. Mittlerweile machen das auch viele Zoos, die Wölfe halten, um ihnen die Angst vor Besuchern zu nehmen. Positiver Kontakt mit fremden Personen wird daher auch von den Forschern angestrebt - Gelegenheit dazu ergibt sich für Besucher bei Fotoshoots mit Welpen sowie durch Patenschaften, die für einzelne Tiere übernommen werden können. (Susanne Strnadl/DER STANDARD, 13.6. 2012)