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Jeder sechste Autofahrer in Deutschland soll während der EM 2012 eine Fahne an seinem Auto angebracht haben.

Foto: apa/RENE VAN BAKEL

Die Fußballfans finden anstelle ihrer Deutschlandfahne allerdings immer öfter diesen "netten" Hinweis am Auto picken.

aus: Anleitung zum "Deutschland knicken!"

Die Kopiervorlage aus dem Netz wird ausgeschnitten, gefaltet und an die Stelle der abgeknickten Fahne gesteckt.

aus: Anleitung zum "Deutschland knicken!"

"Sie legen Rohrbomben, zünden Autos an, besetzen Häuser. Und jetzt haben sie auch noch die Jagd auf unsere Deutschland-Fähnchen eröffnet", lautete vor wenigen Tagen ein Einstiegssatz der "Bild"-Zeitung. Auf einem Foto triumphierten Autonome mit Antifa-Symbolen über einem Haufen Fähnchen in Schwarz-Rot-Gold.

Seit Beginn der Fußball-EM haben antinationale Gruppen in Deutschland tatsächlich dazu aufgerufen, gegen das Fahnenmeer anzugehen. Im Internet bieten einschlägige Blogs Anleitungen wie "Techniken und Kniffe für das Fähnchenfangen" und eine Kopiervorlage für die "Ersatzfahne". So kann jeder, dem der verstärkte Patriotismus während der EM 2012 widerstrebt, aktiv werden.

"Diese Fahne steht nicht für Fußball ..."

Die Autofähnchen sind der Lieblings-Fanartikel der Deutschen. 17 Prozent wollten vor der EM laut einer Umfrage von Media Control die Flaggen an ihren Autofenstern anbringen. Umso erzürnter sind die Fußballfans, wenn stattdessen ein "Waschzettel" der Aktivisten an der abgebrochenen Fahnenstange hängt: "Liebe Autofahrerin, lieber Autofahrer, ich habe ihre Nationalfahne entfernt. Diese Fahne steht nicht für Fußball oder irgendein Team, sondern nur für deutsche Identität. Und Nationalismus hat für viele Menschen fatale Konsequenzen."

Die Botschaft kommt bei einigen gar nicht gut an. Aljoscha K.* aus Berlin findet die Aktion feige. "Die Fahnenknicker wollen damit politisch etwas ändern, doch in Wirklichkeit nehmen sie uns den Spaß und die Freude, die wir für unsere Mannschaft ausdrücken wollen", sagt er gegenüber derStandard.at. "Es gibt so viele andere Möglichkeiten, seine politsche Meinung kundzutun - diese Art ist einfach nur egoistisch."

Aus Schwarz-Rot-Gold wird Antifa

Schließlich empfiehlt die Broschüre im Internet, dass man mit den gestohlenen Fähnchen wunderbar Taschen nähen oder sie durch Abschneiden des gelben Streifens in eine schwarz-rote Fahne der Antifa verwandeln kann.

Daneben gibt es Tauschaktionen mit Punktesystem für den jeweiligen erbeuteten Fanartikel. Auch Rallyes und andere Ideen, wie das Fahnenknicken Spaß machen soll, werden auf der Plattform präsentiert.

Der gemeine Fahnenknicker

Kim G.* aus Hamburg knickt Fahnen im sportlichen Stil; manchmal in der Gruppe und manchmal fürs Tauschgeschäft - drei Fahnen für ein Bier. Mit einem Fußballverein mitzufiebern, in dem man sich selbst engagiert, findet er nicht bedenklich. Den Fußballpatriotismus für eine Nationalmannschaft lehnt er allerdings ab, weil Patriotismus gefährlich und unsozial sei. "Die Solidarität, das Mitgefühl und die Hilfsbereitschaft der Menschen werden durch die Konstruktion einer Volksgemeinschaft auf eine willkürlich nach Geburtsort ausgewählte Gruppe beschränkt", sagt Kim.

Denkanstoß

Auf öffentlichen Events bei Fußballgroßereignissen sei ihm aufgefallen, dass es "im Rahmen eines freude- oder frusttaumelnden Fahnenmeeres vermehrt zu Übergriffen verschiedenster Art kommt", sagt Kim G. Er kritisiert, dass das "sowieso schon zaghafte gesellschaftliche Korrektiv und die Zivilcourage gegenüber einem sich falsch verhaltenden Menschen, der aber die gleiche 'Uniform' trägt - also zum eigenen Team gehört -, noch weniger gut zu funktionieren scheint".

Mit dem Abknicken will G. sein "Unwohlsein beim Anblick der vielen Nationalflaggen lindern". Dafür benutzt er keine Kopiervorlage. Unter den "Ersatzfahnen" existieren einige, auf denen die Antinationalen den Fahnenbesitzern eine rassistische Grundhaltung vorwerfen. Das findet G. anmaßend. Er hofft lediglich, dass sich die Besitzer mit der Problematik des Nationalismus einmal gedanklich auseinandersetzen.

Die Polizei in Berlin, wo der Fahnenklau besonders populär sein soll, steht übrigens noch nicht in Alarmbereitschaft. Eine Großaktion einer autonomen Gruppe, wie in der Bild-Zeitung erwähnt, konnte die Polizei laut Internetportal Sport 1 nicht verzeichnen. (Maria von Usslar, derStandard.at, 14.6.2012)