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Foto: aPA/Schlager

Den Rücktritt oder die Abwahl Martin Grafs als Dritter Nationalratspräsident zu erzwingen ist zu einem Cause célèbre für all jene geworden, die Deutschnationalismus, Rassismus und NS-Nostalgie verabscheuen. Diese Forderung ist moralisch verständlich, aber politisch-taktisch ein Fehler.

Grafs parlamentarischer Posten ist zwar auf dem Papier wichtig, in der Realität aber unbedeutend. Grafs derzeit wichtigste Rolle ist eine innerparteiliche: Er ist ein Mühlstein für Parteichef Heinz-Christian Strache und könnte ihm bei der Nationalratswahl im kommenden Jahr schaden.

Deshalb sollte sich jeder, der Wahlerfolge der FPÖ als Gefahr für Österreichs Ansehen, demokratische Kultur und wirtschaftliche Aussichten betrachtet, sich wünschen, dass Graf noch möglichst lang im Amt bleibt.

Drei Dinge machen Graf für die FPÖ-Führung so problematisch:

Erstens ist er das Gesicht für die hässliche Seite der Partei - der führende Vertreter jener ewig gestrigen, manchmal rechtsextremen Burschenschafter, die für den Parteiapparat ganz wichtig sind, aber nur wenig Anklang bei den Wählern finden.

Je mehr Graf in der Auslage steht, desto eher werden sich manche bürgerliche Protestwähler überlegen, ob sie trotz all ihren Zorns wirklich dieser Truppe ihre Stimme geben wollen.

Zweitens ist er der Beweis für die Führungsschwäche Straches. Stellen wir uns einmal vor, wie Jörg Haider auf eine Affäre wie die Privatstiftung der Frau Meschar reagiert hätte. Er hätte Graf zwar zuvor, als es um Vorwürfe des Rechtsextremismus ging, immer die Stange gehalten. Aber spätestens bei Auftauchen von Indizien, dass Graf eine alte Frau übervorteilt haben soll, hätte er sich von ihm losgesagt - und wäre ihn auch losgeworden.

Strache hat das zwar kurz versucht, als er in einem "Presse"-Interview von einer "mehr als komischen Optik" sprach. Doch dann wurde er zurückgepfiffen, oder aber es verließ ihn der Mut. Schon wenige Stunden später, am Parteitag der Wiener FPÖ, stand er wieder treu zu seinem Gefolgsmann.

Schon seit einiger Zeit versucht sich Strache vom deutschnationalen, antisemitischen Burschenschafterlager, aus dem er selbst stammt, aus taktischen Gründen  zu distanzieren – siehe seine Israel-Reise oder sein Verzicht auf den Auftritt am 8. Mai am Heldenplatz. Doch es gelingt ihm nicht.

Straches Konfliktscheue und fehlende Durchschlagskraft sind Insidern bekannt. Anhand von Graf wird es öffentlich.

Das dritte Problem ist, dass Graf in der Öffentlichkeit als besonders mieser Charakter erscheint – als eigensüchtiger Intrigant, der auch bei seiner innerparteilichen Karriere nie Rücksicht auf andere genommen hat. Und - das macht die Stiftungsaffäre sichtbar - er kann offenbar auch zwischen persönlichen und beruflichen Interessen nicht unterscheiden. Das steht der Partei der "Fleißigen und Anständigen" nicht gut zu Gesicht.

Wenn sich selbst die "Kronen Zeitung" auf Graf einschießt, dann weil sie Strache von dieser Last befreien will, damit er in ihrem Sinne als populistischer Kreuzritter gegen Eliten, Europa und Einwanderung auftreten kann und sein Bild nicht von den rechtsextremen Strömungen seiner Biografie und seiner Partei verunstaltet wird. Doch selbst nach diesem Strohhalm konnte Strache  nicht greifen.

Graf soll im Wahlkampf 2013, wenn Strache zumindest formell den Anspruch auf den Kanzlerposten stellen wird, keine große Rolle spielen. Er kann allerdings für die Gegner der FPÖ nützlich sein – aber nur, wenn er dann noch in Amt und Würden ist.

Dann können sie darauf hinweisen, dass Graf, sollte die FPÖ tatsächlich Nummer eins werden, Erster Nationalratspräsident werden könnte - eine echte Schande für das Land. Und diese Aussicht könnte der Partei jene entscheidenden Prozentpunkte kosten, die über Sieg oder Niederlage entscheiden.

Der Mann ist viel zu wertvoll, als dass man schon jetzt auf ihn verzichten sollte. (Eric Frey, derStandard.at, 14.6.2012)