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Swoboda: "Die Minister wollen mehr freie Hand, um auf populistische Forderungen einzugehen. Der Rat will allein entscheiden, was ein Sicherheitsproblem ist."

Foto: EPA/PATRICK SEEGER

Die EU-Innenminister haben sich vergangene Woche auf eine Schengen-Reform geeinigt: Künftig soll es einen "Notfallmechanismus" geben, wonach bei "außergewöhnlichen Umständen" Grenzkontrollen für bis zu zwei Jahre erlaubt sind. Das EU-Parlament darf nicht mitentscheiden. Nun greift es zu drastischen Maßnahmen und kündigt die Zusammenarbeit mit dem Rat auf. Eine "Kriegserklärung", sagt Hannes Swoboda, Vorsitzender der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Europas, im Gespräch mit derStandard.at. Für die Beilegung des Konflikts gebe es mehrere Möglichkeiten. Nun sei aber zunächst der Rat am Zug.

derStandard.at: Das EU-Parlament hat aus Protest gegen die jüngsten Schengen-Beschlüsse des Rates die Zusammenarbeit mit den Innenministern auf Eis gelegt. Hat es so eine "Kriegserklärung" je gegeben?

Swoboda: Seit 1996 bin ich im Parlament, aber an eine solche "Kriegserklärung" - unter Anführungszeichen, denn wir sind ja friedliche Menschen - kann ich mich nicht erinnern. Zur Klarstellung: Wir haben ja die Zusammenarbeit nicht vollständig aufgekündigt, sondern nur beschlossen, alle Schengen- und schengenähnlichen Dossiers nicht mehr weiterzuverhandeln. Die Ausschaltung des Europäischen Parlaments als dem Fürsprecher der Reisefreiheit in Europa können wir nämlich auf keinen Fall akzeptieren.

derStandard.at: Was fordern Sie vom Rat? Wie geht es jetzt weiter?

Swoboda: Momentan haben wir eben mal den Beschluss gefasst, nichts mehr zum Thema auf die Tagesordnung zu setzen, solange der Rat sich nicht bewegt. Eine Möglichkeit wäre natürlich, dass die EU-Kommission ihren Vorschlag zurückzieht, damit wäre auch der Beschluss des Rates hinfällig. Natürlich könnten sich auch Rat, Kommission und Parlament zusammensetzen, um einen Kompromiss auszuarbeiten, damit der Rat sein Gesicht wahren kann und nicht einseitig zurückziehen muss. Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Zuerst muss sich allerdings der Rat bewegen, wir bewegen uns jetzt mal nicht.

derStandard.at: Sollte sich der Rat nicht bewegen, wird dann der Europäische Gerichtshof damit befasst?

Swoboda: Das werden wir sehen. Ich bin eher skeptisch, was die Chancen vor Gericht betrifft. Es stellen sich ja zwei Fragen: Ist die Reform rechtlich möglich und ist sie rechtlich sinnvoll? Der EuGH kann ja nur darüber entscheiden, was rechtlich möglich ist. Es mag ja sein, dass es rechtlich möglich ist, wir halten es aber für den falschen Schritt. Für mich ist das eine politische Frage und keine rechtliche.

derStandard.at: Dänemarks Justizminister Morten Bödskov meinte, die geplanten Einschränkungen beim Schengen-Abkommen seien gerechtfertigt und die "einzige Lösung", weil der Schengen-Raum vor "neuen Herausforderungen" stehe.

Swoboda: Dass diese Schengen-Reform zwingend notwendig ist, dafür führt er keinerlei Argumente an. Es war vielleicht der einzig mögliche Kompromiss, der unter den EU-Innenministern gefunden werden konnte. Aber das kann man nicht unter Ausschaltung des Europäischen Parlaments tun. Das Ganze hat angefangen mit dem prognostizierten Massenansturm der Flüchtlinge aus Tunesien, der ja dann ausgeblieben ist. Ausgeblieben sind aber zum Beispiel nicht die libyschen Flüchtlinge in Tunesien. Es ist also grotesk, wie die Minister da vorgehen.

derStandard.at: Gibt es also keinerlei Änderungsbedarf?

Swoboda: Es gäbe schon Änderungsbedarf. Eine wesentliche Verbesserung wäre zum Beispiel eine Zusammenarbeit beim Vorgehen gegen illegale Zuwanderung an der griechisch-türkischen Grenze. Oder mehr Solidarität mit Griechenland und Hilfe im Umgang mit den Flüchtlingen. Aber das wären Verbesserungen und keine Verschlechterungen, wie es die Innenminister planen.

derStandard.at: Wenn es keinen Grund für die Verschärfung der Schengen-Regeln gibt, worum geht es dann bei der Sache? Was wollen die Innenminister?

Swoboda: Die Minister wollen mehr freie Hand, um auf populistische Forderungen einzugehen. Der Rat will allein entscheiden, was ein Sicherheitsproblem ist. Zum Beispiel könnte man mit der Reform vor einem Gipfelereignis Schengen für 30 Tage aussetzen und dann auf sechs Monate verlängern. Das ist sinnlos, unsinnig und beliebig und zeigt, was passiert, wenn die Innenminister zu Hause populistischen Druck haben.

Ich kenne auch keinen Innenminister - auch nicht in Österreich -, der nicht binnen weniger Wochen ein Hardliner geworden ist, wenn er es nicht schon vorher war. Sie fühlen sich wie die Sheriffs und wollen von niemandem begrenzt werden. Der Herr Sarkozy hat angefangen, aus politischen Gründen mit Ängsten zu spielen, und davon ist man anscheinend nicht mehr weggekommen. (Manuela Honsig-Erlenburg, derStandard.at, 14.6.2012)