Zieht nur ein heimischer Klub in die Eurobowl XXVI ein, dann wäre das bereits ein zehnjähriges Jubiläum. Das letzte Mal stand im Jahr 2002 kein Verein aus Österreich im Finale der europäischen Klubmeisterschaft. Seit 2003 gab es zehn Finalteilnehmer aus der Bundesliga (7 x Vikings, 4 x Raiders) und sieben Titel (4 x Vikings, 3 x Raiders).
Die bisherigen 28 Pokale gingen auch sieben Mal nach Deutschland (1995 Düsseldorf, 1996-98 Hamburg, 1999 und 2003 Braunschweig und 2010 nach Berlin). Die anderen Nationen sind nun seit längerer Zeit eben nur mehr ehemalige Größen. Vorneweg Italien (vier Titel, Legnano 1989, Bergamo 2000-2002), Großbritannien (Manchester 1990, London 1993,1994), Niederlande (Amsterdam 1991,1992) und Finnland (1986,1988).
Die Wahrscheinlichkeit, dass es nach 2008 vier Jahre später erneut ein rein österreichisches Endspiel in Europa gibt, ist gegeben und sogar relativ hoch. Wobei durchaus auch die Gefahr besteht, dass dieses auch ohne ein AFL-Team über die Bühne geht.
Wieder Berlin
Die Berlin Adler erklommen unter Shuan Fatah, heute Cheftrainer der Swarco Raiders, 2010 den europäischen Thron, stießen auch 2011 in das Endspiel vor, scheiterten dort aber an der Creme de la Creme ihres Ex-Teams. Innsbruck hat, nach dem Finalerfolg der Berliner in Wien 2010, den Deutschen ihre Coaches Fatah und Rowland samt der offensiven Schlüsselspieler Wise und Callahan abgeworben und die holten 2011 für die Raiders erstmals das Double aus Eurobowl und Austrianbowl.
2012 sind die Berliner der Halbfinalgegner der Raiffeisen Vikings (Sonntag 15:00 Uhr, Hohe Warte) und es gibt mehrere Indizien, die dafür sprechen, dass sie Döbling dieses Mal nicht als Gewinner verlassen werden. Da wäre mal dieses Viertelfinalspiel gegen London. Der britische Football spielt in Europa schon länger nicht mehr die erste Geige und für die Topteams gehört es zum guten Ton, Teilnehmer von der Insel klar in die Schranken zu weisen. Das gelang den Adlern überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil, brachten die Briten sie in ärgste Bedrängnis. Nach einer Turnover-Orgie fuhr man vor heimischen Publikum noch einen bis zur Schlusssekunde gefährdeten 21:15-Erfolg ein. Dann gäbe es Ergebnisse aus der German Football League. Die schauen für Berlin auf den ersten Blick - fünf Spiele und fünf Erfolge - sehr erfreulich aus.
Auf den zweiten Blick erkennt man aber, dass der Spielplan für sie bisher, was die Spielstärke der Gegnerschaft angeht, sehr überschaubar war. Vier der fünf Siege kamen gegen Aufsteiger aus der zweiten Liga und selbst da war nicht alles klar. Gegen die eigene Splittergruppe Berlin Rebels gewann man um einen Punkt, gegen Lübeck und Hamburg geriet man jeweils in Rückstand, bevor man der Sache noch einen Dreh in die Berliner Richtung gab. Bleibt Braunschweig als einziger Nichtaufsteiger, welchen man schlug. Aber das schaffte selbst der dänische Meister im europäischen Cupbewerb. Da fehlt also noch komplett die Standortbestimmung. Erst nach den Spielen gegen Kiel, Düsseldorf und Dresden wird man in der Hauptstadt wissen, wohin die Reise 2012 gehen wird. Das heißt gleichzeitig, dass im EFL Bewerb mit Wien die heuer erste wirkliche Herausforderung auf die Adler zukommt.
Bei den Wienern ist das ganz anders, da es für diese das nominell bereits fünfte schwere Spiel in der Saison wird. Vor zwei Wochen zog man sich in Graz den ersten Schiefer ein, der den Wiener Traum von einer Perfect Season platzen ließ. Gerade rechtzeitig sagen viele, auch die Vikings selbst, die bei Siegesserien historisch zur Selbstgefälligkeit tendieren. Davor hatte man es im Viertelfinale gegen den amtierenden deutschen Champion zu tun, den man mit 25:13 niederrang. Das hört sich deutlicher an, als es war, denn Schwäbisch Hall, das auch 2012 wieder zum engeren German Bowl-Favoritenkreis zählt, stellte zu Beginn des Spiels das deutlich bessere Team. Das änderte sich im Verlauf der Partie aber radikal, die Unicorns konnten nach der Pause den Gamespeed der Wiener nicht mehr mitgehen und sahen im weiteren Verlauf auch kein Land mehr. In Sachen Kondition und Fitness haben die Wiener gegen Berlin ebenso Vorteile wie beim Coaching - quantitativ wie qualitativ.
Sollten die Vikings ihr Potential am kommenden Sonntag (Live im FA Webradio) abrufen können, dann sehe ich für die Adler nur wenig Möglichkeiten, um ins Finale einzuziehen. Jedenfalls müssen die Deutschen ihre Fehlerquote runter bringen, denn mit einem halben Dutzend Turnovers, wie zuletzt gegen London, wären sie selbst gegen nicht ganz so starke Vikings ohne Chance. Ihr Vorteil liegt vor allem darin, dass dem Gegner bewusst ist, eine vermutlich deutlich stärkere Mannschaft aus ihrer Liga bereits bezwungen zu haben. Was sollte also passieren? Das ist ein wenig trügerisch. Andererseits sitzt der Stachel der Finalniederlage bei den Vikings tief und man will diese Sache unbedingt gerade rücken. Für mich sind die Vikings hier 75-25 Favorit, auch wenn sie das selbst nicht gerne hören. Das ist, im Vergleich zu Innsbruck, der doch deutlich einfachere Gegner.
Raiders neu vs. Raiders alt
In Innsbruck kommt es beim Spiel der Swarco Raiders gegen die Calanda Broncos (Samstag 20:00 Uhr, Tivoli Stadion) zu einem kollektiven Wiedersehen. Mit den Coaches Geoff Buffum, Dave Likins, Jakob Dieplinger und den Spielern Marko Glavic, Stefan Becker, Pascal Maier und Robert Zernicke kehren gleich sieben ehemalige Akteure der Innsbrucker auf den Tivoli zurück. Allerdings stehen sie dieses Mal auf der anderen Seite. Obwohl bei der Trennung der Raiders von Jakob Dieplinger, der kurz nach seinem Bruder und Manager Daniel den Verein im Vorjahr nach 15 Jahren verließ, nicht alles rund und so, wie man es sich erhofft lief, wie er selber sagt, befindet er sich mit den Broncos nicht auf einem Rachefeldzug.
Für den Offense Coordinator des österreichischen Junioren Nationalteams ist es eigentlich ein ganz normales Spiel und Calanda für ihn eine Gelegenheit, sich bezahlter Weise als Coach weiter zu entwickeln. Dass der derzeit eingeschlagene Weg der Churer nicht der Weisheit letzter Schluss sein kann, dass sei nicht nur ihm klar, sondern auch den Verantwortlichen im Klub selbst. Dahinter würde ein eigenes Programm bereits anlaufen. Derzeit verlässt man sich aber noch auf die exzessive Hilfe aus dem Ausland und damit auf mehr als 20 Legionäre. In der Schweiz gibt es damit keine Mannschaft mehr, die die Broncos fordern könnte, obwohl man dort mit weniger Söldnern als international zu Werke geht.
Die Schweizer haben im Viertelfinale die JCL Giants Graz eliminiert und damit nicht nur den bislang größten Erfolg in der Klubgeschichte, sondern auch in der Footballgeschichte der Schweiz eingefahren. Noch nie stand ein Team der Eidgenossen unter den letzten vier in Europa. Zwar mühten sich die Broncos gegen Graz, man sah aber die individuelle Klasse ihrer Spieler deutlich aufblitzen. Der US-Schweizer Marko Glavic ist immer noch ein formidabler und vor allem sicherer Spielmacher. Stellt man den Runningback DJ Wolfe kalt, was den Giants gelang, hat Glavic mit dem US-Legionär Steve Valentino, dem Österreicher Christian Steffani und dem deutschen Nationalspieler Pascal Maier verlässliche Anspielstationen für sein, zumindest gegen Graz bevorzugtes Kurzpass-Spiel. Nicht zu vergessen, gibt es auch noch vereinzelt Schweizer, die zur Not auch zugreifen können. So erzielte Lukas Lütscher einen Touchdown gegen die Steirer.
Die Tiroler können international auf ihren gesamten Kader zurück greifen. In der AFL sind derzeit nur zwei sogenannte A-Klasse Spieler erlaubt, in der EFL dürfen alle fünf nominellen Imports der Raiders auflaufen. Neben Quarterback Kyle Callahan, Safety John Clements und Wide Receiver Talib Wise handelt es sich dabei um Kicker Dennis Wiehberg (GER) und den Linebacker Chris James (Trinidad & Tobago). Wiehberg gilt in Österreich deshalb als Import, weil er auf einem US-College gespielt hat, bevor er nach Österreich kam. Das offenbart auch eine veritable Schwäche des Regulativs, da der Mann in Salzburg lebt und arbeitet, aber de facto in Österreich nicht Football spielen kann, da niemand einen Kicker als einen von zwei erlaubten Legionären anmelden wird. James ist ein sogenannter „Dual", also ein US-Amerikaner mit Zweitpass. Damit kann man dem Regulativ der EFAF in seine Nischen schlagen, hierzulande gelten jedoch mit anderen Landesfarben dekorierte US-Spieler seit geraumer Zeit als Legionäre.
Wie stark dieses „gepimpte" Raiders-Team in der Konstellation ist, das konnte man im Viertelfinale gegen die Prague Panthers zumindest erahnen. Bevor die Tschechen zum Durchatmen kamen, stand es Mitte des zweiten Viertels 35:0 für die Raiders. Die Tiroler nahmen dann merklich den Fuß vom Gas, brachten in Folge noch Frank Roser (GER, zuvor bei Valencia) und das gerade 17 Jahre jung gewordene Eigengewächs Adrian Platzgummer auf der Spielmacherposition. Der Endstand von 56:14 war für die Gäste damit doch noch recht erfreulich, denn das hätte alles weit schlimmer kommen können.
Shuan Fatah zeigt sich gegenüber dem Ansinnen der Calanda Broncos, die Eurobowl nach Chur zu entführen, naturgemäß völlig uneinsichtig. Die Broncos seien zwar individuell gut besetzt, aber nicht fehlerlos. Welche Fehler der Broncos Fatah bei ihrem Spiel gegen Graz ausmachte, das möchte er ihnen dann erst am Spielfeld zeigen. Der neue Erfolgstrainer der Raiders gegen den alten. Das verspricht doch einiges an Spannung. Ich sehe die Raiders hier mit Heimvorteil als 60-40 Favoriten. Es wird aber eine perfekte Leistung der Tiroler brauchen, um erneut ins Finale einzuziehen. Sollten die Broncos in der Lage sein kompakter als in Graz aufzutreten, dann ist ihnen auch gegen eine in Hochform spielende Raiders Mannschaft der Sieg zuzutrauen. Ein absolutes Pflichtspiel, live und dieses Mal auch in HD auf raidersTV zu sehen.
European Football League Halbfinalspiele:
Swarco Raiders Tirol vs. Calanda Broncos (CH)
16. Juni 2012 20:00 Uhr, Tivoli Innsbruck
Raiffeisen Vikings vs. Berlin Adler (GER)
17. Juni 2012 15:00 Uhr, Hohe Warte Wien
Viertelfinalspiele:
JCL Giants Graz vs. Calanda Broncos (CH) 14:19
Swarco Raiders Tirol vs. Prague Panthers (CZE) 56:14
Raiffeisen Vikings vs. Schwäbisch Hall Unicorns (GER) 25:13
Berlin Adler (GER) vs. London Blitz (GB) 21:15
Das Endspiel 2012, die Eurobowl XXVI ist für das Wochende 21./22. Juli 2012 angesetzt.