Die Griechen haben verstanden, wie viel für sie, für ihr Land und für Europa bei dieser Wahl auf dem Spiel stand. Die Botschaft ist angekommen. Viele haben doch für die konservative Nea Dimokratia gestimmt: weniger aus Überzeugung sondern hoffend, dass damit eine Stabilisierung erreicht wird - als Signal an die Finanzmärkte und die anderen Europäer.

Immerhin 71 Prozent der Griechen gaben jüngst in einer Umfrage an, sie wollen den Euro als Währung behalten - aber gleichzeitig die Sparauflagen für die Hilfszahlungen gelockert sehen. Eine schlüssige Antwort auf die Frage, wie diese Quadratur des Kreises - ein Verbleib in der Eurozone bei gleichzeitiger Kündigung der Sparvereinbarungen - in der Praxis bewerkstelligt werden kann, blieb der Chef der radialen Linken Syriza, Alexis Tsipras, schuldig. Zumal die Geldgeber aus Europa und dem Internationalen Währungsfonds klar machten: Ohne Erfüllung des Sparprogramms kein Geld. Aber ohne Finanzspritzen aus dem Ausland hätte der griechische Staat nach Berechnungen der Zentralbank in Athen spätestens am 20. Juli weder seine Schulden bedienen noch Löhne und Gehälter zahlen können.

Allen war klar: Ein Sieg der radikalen Linken Syriza hätte auf längere Sicht Unsicherheit bedeutet - in Griechenland und darüber hinaus. Die Notfallpläne der Geldinstitute und der Nationalbanken in ganz Europa haben sicher nicht nur auf die Griechen Eindruck gemacht. Die Furcht vor einem sogenannten Bank-Run - dass noch mehr Griechen als in den vergangenen Wochen die Banken stürmen und ihre Konten leerräumen, um ihr Erspartes zu retten - war nicht unbegründet.

Aber auch die Europäer haben verstanden, wie viel für ihre Staaten und für die Union auf dem Spiel stand. Griechenland hat zwar nur drei Prozent Anteil an der Bevölkerung und zwei Prozent an der Wirtschaftsleistung des Euroraums. Aber ein Wahlsieg des Linksbündnisses und die folgende Vertiefung der Eurokrise mit einem Überschwappen auf die anderen Südländer hätte die ganze Konstruktion der Währungsunion vollends ins Wanken gebracht.

In den vergangenen Tagen gab es bereits Anzeichen, dass die Europartner auch verstanden haben, die Griechen sind an der Grenze der Belastbarkeit angekommen. Wenn die Arbeitslosigkeit auf über 22 Prozent steigt, zehntausende Unternehmen Pleite gehen und das Gesundheitssystem fast kollabiert, dann ist ein Punkt erreicht, an dem Einhalt geboten ist.

Die Kompromissformel, die von Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker und dem deutschen Außenminister Guido Westerwelle am Wochenende ausgegeben wurde: an den Sparauflagen wird festgehalten, aber der Zeitraum zur Erfüllung wird gestreckt. Damit kommen die Euro-Partner den Wunsch-Koalitionären in Athen entgegen. Nea Dimokratia und die sozialistische Pasok bekennen sich grundsätzlich zum vereinbarten Sparkurs, wollen ihn aber nachverhandeln und Fristverlängerungen erreichen. So haben beide Seiten ihr Gesicht gewahrt.

Die anderen Eurostaaten haben aber auch verstanden, dass sie den Widerstand einiger Länder - besonders Deutschlands - gegen Eurobonds nicht brechen können. Eine Light-Variante gemeinsamer Anleihen, sogenannter Euro-Bills mit kurzer Laufzeit und begrenzter Summe, ist ein Kompromiss. Der zweite Urnengang hat viele Einsichten bewirkt, die gezogenen Lehren sollten rasch umgesetzt werden. (DER STANDARD, 18.6.2012)