Sarah Spiekermann

Foto: Sarah Spiekermann

Der FWF hat mich gebeten, zum Thema Open Access Stellung zu beziehen und darzulegen, warum ich diese Initiative so sehr unterstütze. Gerade haben sich 52 Nobelpreisträger in den USA zu einem öffentlichen Brief (pdf) an die Regierung entschlossen, in der sie open access von wissenschaftlichen Veröffentlichungen fordern.

Wissen sollte frei geteilt werden

Die Standardantwort ist natürlich, dass das Wissen dieser Welt frei geteilt werden sollte. In allen (und vor allem armen Ländern!) wird Fortschritt durch verbesserten Zugang zu Wissen gefördert und das Wissen, was wir an öffentlichen Universitäten mit öffentlichen Geldern produziert haben, das sollten wir auch an die Gemeinschaft zurückgeben. Aber neben diesem wichtigsten Grund für open access, gibt es auch noch betriebswirtschaftliche Entwicklungen, die schlichtweg zu einer Selbstauflösung des klassischen wissenschaftlichen Zeitschriftenverlags führen: In Wertschöpfungsverbünden ist es üblich, dass jedes Element im System einen Beitrag leistet. Der klassische Wissenschaftsverlag wird dieser Rolle nicht mehr gerecht. Warum?

Früher noch ein fairer Deal

Lange Zeit war das Publizieren von Artikeln in wissenschaftlichen Zeitschriften von einem fairen Deal geprägt: Wissenschaftler waren für den intellektuellen Teil der Wertschöpfung zuständig und Verlage kümmerten sich um Druck und Distribution. Dieses System ist hat sich überlebt. Und dies nur wegen des Internets? Nicht wirklich. Vielmehr ist es so, dass sich die Wissenschaftsverlage auf eigenen Wunsch seit Jahren aus ihrem Wertschöpfungsteil zurückziehen und sich viele dadurch selbst überflüssig gemacht haben. Ihr Streben nach Kostenreduktion und Gewinnoptimierung hat dazu geführt, dass es nun wir sind, die Wissenschaftler, die ihren Wertschöpfungsteil übernommen haben.

Wir sind es, die enorm viel Zeit aufwenden, nicht nur um Artikel zu schreiben und zu begutachten, sondern auch um Artikel zu setzen, um Grafiken zu optimieren, um Makellosigkeit zu garantieren, um Minimaldetails bibliographischer Besonderheiten auszubessern, Lektoren und Übersetzer engagieren, ja oft sogar noch pro Veröffentlichungsseite zahlen. Wenn wir Probleme mit schlechten Einreichungsplattformen für unsere Artikel haben, müssen wir uns mit spärlich besetzten Help-Desks abkämpfen. Im Gegenzug erhalten wir in der Regel noch nicht einmal ein gedrucktes Exemplar unseres Artikels.

Damokles Schwert einer Klage

Alles was wir dürfen, ist unerhörte Copyright-Bestimmungen unterschreiben, die uns vom Verbreiten unserer Artikel abhalten und uns dem Damokles Schwert einer Klage ausliefern, wenn wir es doch tun. Mehr noch: Verlage haben die Preise für unsere Arbeiten teilweise verfünffacht, bis zu dem Punkt, wo sich unsere eigenen Arbeitgeber, die Universitäten, noch nicht mal mehr die Artikel leisten können, für die sie uns bereits bezahlt haben. Und die Profite? Sie fließen in die unsichtbaren Taschen uns unbekannter Verlagsinvestoren.

Zusammengefasst: Eine Entität, die auf eigenen Wunsch genau Nichts (!) zum Wertschöpfungsprozess beiträgt, schöpft derzeit 100% der Gewinne ab, bei gleichzeitiger Destabilisierung des Wertschöpfungsverbunds (durch Kriminalisierung der Wertschaffenden). Vor diesem Hintergrund erscheint es mir völlig natürlich, dass Wissenschaftler ihre Loyalität gegenüber Verlagen hinterfragen, sich abwenden und neue Wege gehen, ihre Arbeit öffentlich und frei verfügbar zu machen. (Sarah Spiekermann, derStandard.at, 18.6.2012)