Die Medien feiern den Busfahrer als Helden und berichten sehr emotional über seine Courage.

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Die chinesische Regierung wirbt schon seit langem in ihren Slogans für eine harmonische Gesellschaft und "zivilisierten Umgang" miteinander. Doch erst nach dem Tod eines zweijährigen Kleinkindes werden auch die Medien in großem Still mobilisiert. Nun hat die Heldentat eines Busfahrers die Diskussion erneut angeheizt.

Müllsammlerin als Heldin?

Ein zweijähriges Mädchen war Oktober letzten Jahres im südchinesischen Foshan eine Straße entlanggeschlendert, als es von eine weißen Van erfasst wurde. Der Van bremst erst als das Kind schon unter den Reifen liegt. Dann geschieht das, was später die ganze Nation entsetzt: Als der Fahrer sieht, was passiert ist, gibt er Gas und überfährt das Mädchen mit den Hinterreifen ein zweites Mal. Innerhalb von Tagen wurde das entsprechende Videomaterial hunderte Tausende von Malen in China angesehen. Neben der Kaltblütigkeit des Fahrers empörte auch die Reaktion der Passanten: Das Mädchen liegt längere Zeit schwer verletzt und sich windend auf der stark frequentierten Straße, wird aber keines Blickes gewürdigt, bis eine alte Müllsammlerin das Mädchen von der Straße auf die Seite zerrt.

Der Helfende als Opfer

Dies löste eine riesige Diskussion auf Weibo (chinesischer Twitter-Dienst) um Menschlichkeit und Hilfestellung bei Unfällen aus. Viele kommentierten, dass es zwar tragisch sei, aber dass das Eingreifen bei Unfällen den Helfenden selbst gefährde, weil dieser im Zweifelsfall von der Familie verklagt werden könne. Aus diesem Grund, argumentierten einige, hätte eben keiner eingegriffen.

Viele Diskutanten klagten aber auch über die "chinesische Mentalität". Chinesen sähen lieber zu, als zu helfen, kritisierten sie ihre Landsleute. Viele sahen in China die Menschlichkeit zugunsten eines universellen Egoismus untergehen. Die Müllsammlerin, die sich des Mädchens annahm, wurde dagegen in einigen Kommentaren prompt als "mediengeil" angeprangert.

Gesetzesänderung

Viele meiner chinesischen Freunde und Lehrer erzählten zu dieser Zeit immer wieder von Vorfällen, bei denen Helfende das Nachsehen hatten, wie etwa der Mann, der 2006 von der Familie einer alten Frau verklagt wurde, nachdem er ihr auf die Beine geholfen hatte. Er musste eine große Menge Geld für seine Hilfsbereitschaft zahlen.

Das damalige Urteil hatte einen starken psychologischen Effekt. Seitdem gab es etliche Fälle, in denen Menschen starben oder schwer verletzt wurden, weil kein Passant helfen wollte. Es wirkt fast, als wollten sich die Menschen selbst einreden, wie gefährlich das Eingreifen ist. Etliche Medien veröffentlichten dementsprechende Artikel und Kommentare. Daraufhin folgte dann tatsächlich eine Gesetzesänderung, die die Haftung von Helfenden bei Unfällen minimiert.

Der Held von Hangzhou

Einen neue Wendung in der Debatte um Menschlichkeit und Courage brachte die Geschichte von Wu Bin. Ein vollkommen unbescholtener, unbekannter Busfahrer wurde in 76 Sekunden zum Helden.

Anfang Juni 2012 fuhr der 48-Jährige eine Linienstrecke nach Hangzhou, als er von einem Metalstück, das von einem vorausfahrenden Lastwagen gefallen war, durchbohrt wurde. Eine Überwachungskamera nahm die 76 Sekunden auf, die ihn später berühmt machen sollten. Nachdem er von dem Metallstück getroffen wurde, windet er sich zunächst vor Schmerzen, bevor er sich besinnt und den Bus unter Kontrolle bringt. Er zieht die Bremse und parkt den Bus am Straßenrand. Dann steht er auf, öffnet die Türen, ermahnt die 24 Passagiere beim Auszusteigen auf die Sicherheit zu achten (ein Standardspruch in den chinesischen öffentlichen Verkehrsmitteln) und bricht daraufhin zusammen.

Der Busfahrer erliegt wenig später im Krankenhaus seiner Verletzung, aber das Video seines Martyriums ist in ganz China berühmt wie kein anderes. Unzählige Fernsehbeiträge wurden und werden ihm noch immer gewidmet, tausende Besucher kamen zu seinem Haus, um um ihn zu trauern. Emotionale Aussagen überschwemmten das chinesische Netz. Seine Frau sagte in einem Interview, sie wollten zu ihrem Jahrestag nach Yunnan reisen - "diese Reise werden sie jetzt erst im Himmel eines Tages machen können". Minutenlange Aufnahmen von weinenden Angehörigen und Trauernden folgten. Wer kann bei solchen Aussagen kalt bleiben? Die Medien sprangen sofort auf den emotionalen Diskurs auf - und das Rezept ist ja auch zu einfach: Er war ein einfacher Mensch, wird immer wieder betont, der durch eine solche Tat zum Helden wurde. Die Botschaft ist sehr klar: Jeder kann zum Helden werden - wenn er nur gut handelt.

China hat seinen Helden gefunden - ist das nun der Beginn einer "neuen Menschlichkeit"? (An Yan, 18.6.2012, daStandard.at)