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Der genetische Fingerabdruck der Tumorzellen entscheidet über die Therapie.

Foto: APA/Barbara Gindl

Die Zahlen lesen sich vollkommen emotionslos. Etwa 5000 Frauen und 50 Männer, so ist es in den Listen der Statistik Austria nachzulesen, werden auch in diesem Jahr in Österreich an Brustkrebs erkranken. Langfristig ist die Tendenz steigend. Einen Knoten in der Brust spüren viele der Patientinnen schon im Vorfeld, spätestens nach einer Gewebeentnahme ist eine sichere Diagnose möglich.

Der Schock mag für jede und jeden bei der Diagnose ganz ähnlich sein. Doch das ändert sich bald. Denn: Tumor ist nicht gleich Tumor. Es gibt solche, die schnell, andere, die langsam wachsen. Manche Tumoren bilden Tochtergeschwulste, andere verkapseln sich, zudem unterscheidet man groß- von kleinzellige Varianten. Was für Betroffene zählt: Habe ich einen Tumor, der sich gut behandeln lässt, oder einen, der sich der Therapie entzieht?

Seit Jahrzehnten versuchen Wissenschafter den Eigenschaften der Tumoren auf den Grund zu gehen - und stellen fest: Nicht Äußerlichkeiten sind es, die den Krebs kennzeichnen. Es ist das, was im Kern steckt - seine Gene.

Das weiß niemand besser als die Mediziner in den Brustkrebszentren rund um den Globus. Vor knapp 15 Jahren schrieben sie Geschichte. Damals brachte das kalifornische Biotech-Unternehmen Genentech den ersten Antikörper auf den Markt, der gezielt an Krebszellen bindet und so deren Wachstum unterbindet. Doch das Mittel mit dem Namen Herceptin hat einen Haken: Es wirkt nur bei einer ganz bestimmten Gruppe von Patientinnen, nämlich bei solchen, die übermäßig viele Bindungsstellen, den sogenannten HER2-Rezeptor, auf der Zelle tragen. Um sie aus der Masse der Patientinnen herauszufinden, musste man die Erbanlagen der Frau untersuchen. Gentests hielten Einzug und entscheiden über Diagnose und Therapie - das Schlagwort "personalisierte Medizin" nahm seinen Erfolgskurs auf.

Nur: Dabei blieb es dann auch. Statt zwei unterschieden die Onkologen nun drei große Arten des Brustkrebses. Der Gentest machte dem weitaus preiswerteren Bluttest Platz. Doch die groß angekündigten Durchbrüche von "personalisierten Maßnahmen" ließen auf sich warten. Auch nach mehr als einer Dekade ist die Therapie der Wahl bei metastasierendem Brustkrebs die Chemotherapie in Kombination mit Herceptin oder Präparaten, die die Weiterleitung der hormonvermittelten Wachstumssignale hemmen.

Wer profitiert?

Dabei wüsste man mittlerweile aus großangelegten Auswertungen, dass lediglich vier Prozent der Patientinnen sicher von einer Chemotherapie profitierten, sagt Randy Scott, der mit seinem Unternehmen Genomic Health nicht weniger will, als die Krebstherapie revolutionieren.

Genomic Health, das seit Oktober letzten Jahres auch in Deutschland einen Firmensitz hat, hat ein Test entwickelt, der ein genetisches Risikoprofil von Mammakarzinomen erstellt. Aus etwa 1000 analysierten die Wissenschafter rund um Scott 21 Gene, die Aussagen zum Verlauf der Erkrankung zulassen. Multi-Gentest nennt sich diese Technologie, mit der es möglich ist, gleichzeitig viele verschiedene Markergene zu analysieren. "Multigentests werden es möglich machen, Tumoren nach ihren Eigenschaften und nicht länger nach ihrer örtlichen und zellulären Beschaffenheit zu klassifizieren", erklärt Felix Offner, der Leiter der Pathologie des LKH Feldkirch.

Zwei Gentests sind derzeit auf dem Markt: Mammaprint von der niederländischen Firma Agendia. Er analysiert 70 Gene gleichzeitig. Und Oncotyp DX von Genomic Health, der sich derzeit vor allem in den USA durchsetzt. "Er gibt uns zwei Informationen. Erstens: Wie hoch ist das Risiko, in den nächsten Jahren wieder an Brustkrebs zu erkranken? Und zweitens: Inwiefern profitiert eine Patientin von einer Chemotherapie", erklärt Christian Singer, Leiter des Cancer Comprehensiv Centers und Gynäkologe an der Medizinischen Universität in Wien. Auch er hält viel von der Aussagekraft der Gene im Hinblick auf den Charakter von Brusttumoren. Er geht sogar noch einen Schritt weiter und formuliert die Hypothese, dass "auch bei Frauen vor den Wechseljahren, die an hormongetriebenem Brustkrebs erkranken, die Standardtherapie nicht immer gleichermaßen wirkt", so Singer. Tamoxifen blockiert den Östrogen-Rezeptor auf der Zelloberfläche und verhindert so, dass das Wachstumssignal die Zelle erreicht. So verglich Singer im Rahmen einer Studie der österreichischen Studiengruppe ABCSG die Gene von Tumoren untereinander. Seine Ergebnisse stellte er auf dem weltgrößten Krebskongress in Chicago vor. "Es gibt tatsächlich eine Gruppe von Karzinomen, in denen dieser sogenannte ER-Rezeptor in vielen Kopien vorliegt - und bei diesen Patientinnen wirkt Tamoxifen weitaus besser", sagt er. Das hat weitreichenden Einfluss auf die Behandlung.

Fein justieren

Künftig kann man die Therapie besser auf die Patienten einstellen. Frauen mit ausgeprägt vielen ER-Rezeptoren kämen mit einer schonenderen Therapie aus, während man weiß, dass solche bei denen diese Rezeptoren nicht im Übermaß vorhanden sind, intensiver behandelt werden müssen.

Das Wissen um die genetische Beschaffenheit des Tumors beschert Ärzten unverhoffte Behandlungsoptionen. So stellen sie zunehmend fest, dass Tumoren aus unterschiedlichen Organen durchaus derselbe Entartungsmechanismus zugrunde liegt. Die amerikanische Medikamentenzulassungsbehörde FDA hat inzwischen auf diese neuen Erkenntnisse reagiert und forciert die Zulassung von erfolgreichen Therapien, die die Tumoren vollständig bekämpfen, indem es Eilverfahren einsetzt. (Edda Grabar, DER STANDARD, 25.6.2012)