Dauerbaustelle Uni Wien. - Seit Jahren werden weder Kosten (ca. 30 Mio. Euro) noch Mühen gescheut, um die akademischen Hungerleider mit Hightech-Sicherheitsarchitektur zu beglücken.

Foto: Standard/Cremer

Betrete ich die luxuriöse Ruinenbaustelle des Hauptgebäudes der Universität Wien am Lueger-Ring, bin ich sofort deprimiert. Seit Jahren wird mit gigantischem Aufwand gestemmt, gebohrt, eingerüstet, abgerissen, aufgerissen, verlegt, gefliest, ausgetauscht, gestrichen, geschleift und geschliffen und oft gleich wieder von vorn - in erster Linie nicht zur Erhaltung der Substanz, sondern zur Erfüllung einer ominösen EU-Vorgabe in Sachen Brandschutz, deren Verbindlichkeit nicht zu überprüfen ist, weil sie nie jemand zu Gesicht bekommen hat.

Gut, für Neubauten gibt es gewisse Auflagen. Dass aber die Eigentümer denkmalgeschützter öffentlicher Gebäude nicht einfach von Brüssel dazu vergattert werden können, monströse Summen in deren Umbau zu stecken, sagt einem der Hausverstand. Man stelle sich vor, die EU würde Rumänien, Bulgarien oder Griechenland zwingen, ihre Universitäten so lange umzubauen, bis sie Gnade vor den Augen der Hardcore-Brandschützer finden.

"Brandschutz" ist jedenfalls eine Zauberformel, die infrage zu stellen sich niemand getraut. Mit dem Totschlagwort "Sicherheit" lässt sich jede ökonomische Wahnsinnstat rechtfertigen. Entscheiden tut das nicht die vermeintlich autonome Universität, sondern ihre Hausherrin, die Bundesimmobiliengesellschaft BIG, die zu 100 Prozent der Republik Österreich gehört. Und sie tut das mit gottvaterähnlicher Autorität, ihre Entscheidungen sollen tunlichst wie Orakelsprüche hingenommen werden, das heißt: als alternativlos. Das Letzte, was hier zählt, sind die Bedürfnisse des Universitätspersonals oder gar studentisches Wohlbefinden. Offenbar werden die Zeit- und Energieverluste der Betroffenen sowie die Aushöhlung des Denkmalschutzes durch beträchtliche Firmenprofite mehr als aufgewogen.

So wurden an der Uni aufwändigst Brandmeldeleitungen verlegt, massenweise Original(schwing)türen samt Messingbeschlägen herausgerissen und durch sündteure Konstruktionen ersetzt, ohne jede Sicherheitsrelevanz auch die klassischen Kugellampen durch lichtscheue Design-Ungetüme; nun geht man sogar daran, in jedem Büro zum Teil frisch gestrichene Holztüren gegen das Auge beleidigende Sicherheitstüren zu tauschen.

Während also Forschung und vor allem Lehre in diesem Hause am Hungertuch nagen - das Institut für Germanistik etwa kann sich zum ersten Mal die Zierde externer Lehrender nicht mehr leisten - , während die Strukturen bröckeln und der Betrieb nur durch das überdurchschnittliche Engagement der Beteiligten aufrechterhalten werden kann, ersteht vor uns die allumfassende Pracht garantiert feuerfester Hightech-Aufrüstung. Staunend und neidisch stehen wir akademischen Hungerleider vor dem Wunder schier unerschöpflicher Ressourcen. Ja, ich weiß: das im Baurausch verprasste Geld kommt aus einem anderen Topf, aber es trägt bekanntlich kein Mascherl. Es handelt sich um Steuergeld, unser Geld also.

Nach jahrelangen Dauerattacken durch Dreck und Lärm auf die ein gewisses Maß an Konzentration erfordernde "Kernkompetenz" dieser Einrichtung kommt nun der Höhepunkt im schildbürgerlichen Trauerspiel.

Glücklicherweise - für die mitschneidenden Akteure - hat man entdeckt, dass das germanistische Institut über ein zwar altbewährtes, aber bürokratisch gesehen zu schmales Stiegenhaus samt Lift verfügt. Man beschloss also - Think BIG! -, zwecks Raumgewinn nicht bloß den Lift zu entfernen, sondern gleich alles abzureißen und richtig schön groß wieder aufzubauen. Es gibt zwar noch zwei andere "Fluchttreppen", und durch die Erweiterung des Stiegenhauses würden in dem von Raumnot geplagten Haus kostbare Büro- (und Klo-)Flächen verlorengehen. Macht nichts, das ist es uns wert! Die angrenzenden Büros werden für ein Jahr in ein zu mietendes Ersatzquartier ausgelagert. Im Hof, hieß es, werde eine provisorische Treppe samt Aufzug gebaut. Und jetzt, wo beides nach etlichen eher peinlichen Pannen (wie Bestellung eines Innenlifts statt Außenlifts, Vergessen einer Fassaden-Abstützung), Formen annimmt, erfährt man: o nein, das bleibt. Damit aber wäre ja der Abriss des Stiegenhauses schlicht überflüssig. Gnade! Baustopp! Endlich Ruhe. Aber sagen Sie das einmal der BIG!

Kolportierte Kosten allein dieses absurden Projekts, ohne Übersiedlung und Quartieranmietung: 30 Millionen. Angeblich hätte es zu alldem eine Alternative gegeben: einen Probealarm, um festzustellen, wie lange es jetzt wirklich dauert, bis die Leute im Arkadenhof unten sind. Man hat lieber darauf verzichtet, es standen ja Millionenaufträge auf dem Spiel. Und die Baulobby hat den Rektor unter Druck gesetzt: im Brandfall würde er persönlich (!) haften.

Zu untersuchen, wer hier warum und zu wessen Nutzen, doch jedenfalls zum Schaden der Betroffenen und des Steuerzahlers das Hirn ausgeschaltet und die Spendierhosen angezogen hat, fällt nicht in die Kompetenz der Germanistin, sondern des Rechnungshofs. Vielleicht erfahren wir es erst in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Jahres 2022. (Daniela Strigl, DER STANDARD, 23.6.2012)